Scholz und die schwarze Null Fataler Fetisch

Olaf Scholz
Foto: Kay Nietfeld / DPASelten wird ein Fehler durch Wiederholung richtig. Zum dritten Mal bringe er nun einen Bundeshaushalt ein, "der ohne neue Schulden auskommt", sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) am Dienstag vor dem Bundestag. Gerade einmal zwölf Sekunden brauchte er vom Beginn seiner Rede bis zum Treueschwur. Die Reizvokabel "schwarze Null" vermied er wie stets. Die überlässt er wegen der politischen Farbgebung - schwarz gilt als Farbe der Union - lieber den Koalitionskollegen von CDU und CSU. Trotzdem wusste jeder bei der Eröffnung der Bundestagsdebatte um den Etat des nächsten Jahres, was gemeint war.
Auch im kommenden Jahr will die Regierung also wieder ihrem sattsam bekannten Fetisch hinterherjagen. Sie tut dies ohne Zwang, denn die häufig kritisierte Schuldenbremse würde ihr eine, wenn auch kleine, Neuverschuldung erlauben. Den sollte Scholz nutzen, schon weil die Konjunktur, anders als in den Vorjahren, schwächelt. In einer solchen Situation kann die deutsche Wirtschaft jede Art Schub gebrauchen, und sei er noch so klein.
Trophäe für die Regierungsparteien
Vieles würde zudem einfacher, wenn Scholz zum Beispiel mit zehn Milliarden Euro in den Dispo ginge, doch davon will Scholz nichts wissen. Er mag nicht der erste sein, der den auch in der Bevölkerung beliebten ausgeglichenen Haushalt willentlich aufgibt. Zudem klammern sich CDU und CSU an das Ziel, weil es eine der wenigen Trophäen ist, die beide Parteien für sich beanspruchen können.
Doch mit jedem Jahr, in dem die Bundesregierung die schwarze Null hochhält, diskreditiert sie die Schuldenvorgabe des Grundgesetzes (siehe "Regeln des Schuldenmachens" im Kasten unten) ein wenig mehr. Das hat sie nicht verdient. Ohne dieses Instrument, das dem Bund eine maximale konjunkturunabhängige Neuverschuldung von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung erlaubt, wäre es nie zur schwarzen Null gekommen. Mit dem weitgehenden Verschuldungsverbot bremst es auch die Neigung von Politikern aus, zum Beispiel soziale Wohltaten auf Pump zu finanzieren.
Die Regeln des Schuldenmachens
»Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen«, steht in Artikel 109 des Grundgesetzes. Die Länder dürfen künftig keine von der Konjunktur unabhängigen Schulden mehr machen, die des Bundes werden auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt.
Gültig seit
Für den Bund seit 2016, für die Länder ab 2020.
Verbindlichkeit
Die Schuldenbremse hat Verfassungsrang. In Wirtschaftskrisen oder Notlagen wie einer Naturkatastrophe darf die Verschuldung höher ausfallen. Es muss aber einen verbindlichen Plan für die Tilgung der Kredite geben.
Schuldenspielraum für Deutschland (gemessen am BIP 2018)
Für den Bund rund zwölf Milliarden Euro.
Umsetzung
Der Bund hat die Schuldenbremse bis 2020 eingehalten. Seitdem ist sie wegen der Coronakrise ausgesetzt.
Die Konvergenzkriterien des Maastricht-Vertrags müssen Länder erfüllen, die den Euro einführen wollen. Demnach darf die Neuverschuldung (Defizit) maximal drei Prozent und die Gesamtverschuldung maximal 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) müssen diese Vorgaben auch nach dem Beitritt zum Euro eingehalten werden.
Gültig seit
1993 (Maastricht-Vertrag) und 1999 (SWP).
Verbindlichkeit
Die Maastricht-Kriterien sind zwar im EU-Recht verankert, wurden aber schon oft verletzt. Die EU-Kommission hat deshalb zahlreiche sogenannte Defizitverfahren eingeleitet, die aber ohne finanzielle Konsequenzen blieben.
Schuldenspielraum für Deutschland (gemessen am BIP 2018)
Knapp 102 Milliarden Neuverschuldung und gut zwei Billionen Gesamtverschuldung.
Umsetzung
Deutschland verstieß frühzeitig gegen beide Regeln. Die Gesamtverschuldung fiel 2019 erstmals seit 17 Jahren unter 60 Prozent, überstieg diese Marke im Folgejahr wegen der Coronakrise aber schon wieder deutlich. Auch die Neuverschuldung lag 2020 mit knapp fünf Prozent weit über der Maastricht-Hürde. Wegen der Coronakrise setzte die EU ihre Defizitregeln in der Pandemie aber ohnehin aus.
Der Fiskalpakt wurde als Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts beschlossen, nachdem dieser die europäische Schuldenkrise nicht verhindern konnte. Statt nur die Drei-Prozent-Grenze der Maastricht-Kriterien einzuhalten, sollen die Unterzeichner des Fiskalpakts mittelfristig ausgeglichene Haushalte anstreben. Die von der Konjunktur unabhängige Verschuldung des Gesamtstaates darf dabei maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. Liegt der Gesamtschuldenstand deutlich unter 60 Prozent, so erhöht sich dieses Limit auf 1,0 Prozent.
Gültig seit
2013
Verbindlichkeit
Die unterzeichnenden Staaten müssen ihre Ziele in der Verfassung verankern, wie es Deutschland mit der Schuldenbremse getan hat. Der Fiskalpakt sieht erstmals die Möglichkeit finanzieller Sanktionen bei Nichteinhaltung vor. Bislang wurde von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht.
Schuldenspielraum für Deutschland (gemessen am BIP 2018)
Knapp 17 Milliarden, solange die Gesamtverschuldung über 60 Prozent liegt.
Umsetzung
Bislang hat Deutschland die Schuldenregeln des Fiskalpakts eingehalten. Wegen der Coronakrise sind sie derzeit ausgesetzt.
Wenn staatliche Einnahmen und Ausgaben gleich hoch sind, steht unterm Strich die sprichwörtliche schwarze Null. Neue Schulden sind in diesem Fall nicht nötig. Man spricht auch von einem ausgeglichenen Haushalt.
Gültig seit
-
Verbindlichkeit
Die schwarze Null ist keine gesetzliche Vorschrift. Als gemeinsames Ziel von Union und SPD findet sie sich aber im aktuellen Koalitionsvertrag.
Schuldenspielraum für Deutschland (gemessen am BIP 2018)
Keiner
Umsetzung
Im Bund wurde die schwarze Null 2014 zum ersten Mal seit 45 Jahren erreicht und bis 2020 gehalten. Dann machte der Staat wegen der Coronakrise neue Schulden in Höhe von rund 130 Milliarden Euro.
Derzeit steht der Bundeshaushalt auch unabhängig vom unsicheren Konjunkturverlauf, der Lücken in die Planung reißen kann, vor enormen Herausforderungen. Die beabsichtigten Investitionen zum Schutz des Klimas sind noch nicht einmal im Etatentwurf berücksichtigt. Wie üblich, wenn man keinen Plan hat, aber Großes leisten will, regiert Tonnage-Denken nach dem Motto "Viel hilft viel."
Schuldenbremse wörtlich nehmen
Die Ressorts haben mehr als 30 Milliarden Euro für die kommenden fünf Jahre für Klimaschutzmaßnahmen angemeldet. Scholz' Job besteht nun darin, die überbordenden Wünsche seiner Kollegen einzudampfen, damit keine neuen Schulden nötig sind. Würde er sich den Spielraum der Schuldenbremse gönnen, fiele ihm das deutlich leichter. Den neuen Ausgaben sollen zwar auch zusätzliche Einnahmen aus einer Klimaabgabe gegenüberstehen, doch noch weiß niemand, wann die fällig wird oder wie sie erhoben werden soll. Ihr Klimapaket will die Koalition erst Ende September beschließen.
- So oder so: Für den Kassenwart könnte es hilfreich sein, bei seinem Bemühen um ein gesundes Klima und gesunde Staatsfinanzen ökonomische Überlegungen nicht zu ignorieren. Scholz steht vor der Aufgabe, ein gegebenes Ziel mit möglichst wenig Aufwand zu erreichen. Konkreter: Wenn er vor der Entscheidung steht, eine Million Tonnen Kohlendioxid mit einer Maßnahme, die zwei Milliarden Euro kostet, einzusparen oder mit einer für vier Milliarden Euro, dann sollte er sich für die billigere Variante entscheiden, unabhängig von Wünschen seiner Kabinettskollegen.
- Auch könnte der Gedanke erwägenswert sein, dass Klimaschutz nicht unbedingt immer nur Kosten verursachen muss. Ganz im Gegenteil. Manche Ausgabe des Staates fördert den Ausstoß von Kohlendioxid. Deshalb gehören als erstes klimaschädliche Subventionen auf den Prüfstand. Das fängt etwa bei Fördermitteln für Ölheizungen an und hört bei der Pendlerpauschale auf. Eine solche Maßnahme würde gleich zweifach segensreich wirken: Sie reduziert Treibhausgase und erhöht den finanziellen Spielraum.
- Schließlich sollte sich Scholz entschlossen gegen die gröbsten ökonomische Dusseligkeiten stemmen, die jedes Bemühen um den großen Wurf zwangsläufig mit sich zu bringen scheint. Dazu zählt zum Beispiel der Vorschlag von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), eine staatliche Klimastiftung zu gründen. Sie soll 50 Milliarden Euro für den Klimaschutz über eine mit zwei Prozent verzinsten Anleihe mobilisieren.
Die Idee könnte direkt einem Lehrbuch der Hogwarts-Business-School für ökonomische Zauberlehrlinge entnommen sein. Warum soll sich eine staatliche Stiftung für zwei Prozent Geld leihen, wenn der Staat selbst die gleiche Summe für weniger als null Prozent borgen könnte? Für die Zinsen müsste der Bundeshaushalt aufkommen. Altmaiers Vorschlag hat nur ein Verdienst: Es zeigt, welche grandiose Fehlbesetzung zur Zeit das Amt des Bundeswirtschaftsministers versieht.
An ihm sollte sich Scholz kein Vorbild nehmen.