Heikler Nebenverdienst Ärzte profitieren von eigenen Produkten
Hamburg - Der 16. November 2000 war ein wichtiger Tag im Leben des Klaus Bittmann. Der Frauenarzt aus dem schleswig-holsteinischen Städtchen Plön verkündete vor der Presse stolz die Gründung einer neuen Firma: Die Q-Pharm AG mit Sitz in Flensburg sollte Nachahmerprodukte, so genannte Generika, vertreiben.
Das Unternehmen gehört mehrheitlich der Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein. Die Genossenschaft hatten Bittmann und Kollegen erst wenige Monate vorher ins Leben gerufen, um die "politische Schlagkraft der Mitglieder" zu stärken. Innerhalb kurzer Zeit hatte sie fast 2000 Mitglieder.
Die Vorteile der Genossenschafts-Tochter Q-Pharm schilderte Bittmann in den rosigsten Farben: Ärzte, Apotheker, Kassen und Patienten sollten gleichermaßen davon profitieren. Die Präparate seien von "anerkannt hoher Qualität", schwärmte er, und immer im untersten Preissegment angesiedelt. Ärzte könnten damit "selbst aktiv zur Kostenreduzierung im Gesundheitswesen beitragen". Apotheker, so Bittmann, "werden den Vorteil der Konzentration auf einen Hersteller positiv bewerten".
Inzwischen, knapp vier Jahre später, zeigt sich jedoch, wer in erster Linie von der vordergründig so ehrenwerten Einrichtung profitiert: Die Ärzte, natürlich auch Bittmann und sein Kompagnon Christoph Meyer selbst.
Seit Gründung der Q-Pharm verschreiben die Ärzte in Norddeutschland den Patienten fleißig ihre Generika. Der Umsatz stieg von bescheidenen 7500 Mark monatlich im ersten Geschäftsjahr auf mehr als 400.000 Euro pro Monat im laufenden Geschäftsjahr. Wenn die Geschäfte so weiter gehen, setzt Q-Pharm in diesem Jahr fünf Millionen Euro um, wie Meyer per Fax bestätigte. Er ist, ebenso wie sein Kollege Bittmann, sowohl Vorstand der Q-Pharm als auch im Vorstand der Ärztegenossenschaft.
Gewinn der Q-Pharm fließt überwiegend in die Taschen der Ärzte
Dass sich aus ihrer Tätigkeit als Ärzte und ihrer Funktion als Multi-Vorstände Interessenkollisionen ergeben könnten, weisen Bittmann und Meyer von sich. Sie beteuern stattdessen, nicht an ihren eigenen Verschreibungen zu verdienen. Begründung: Es gebe seitens der Genossenschaft keine Ausschüttungen an die Mitglieder. "Es gibt keinen Interessenkonflikt", stellt Meyer gegenüber SPIEGEL ONLINE fest. Auch Bittmann sagt: "Die Ärzte können bei der Verschreibung frei entscheiden."
Das ist zwar nicht falsch, aber auch nur die halbe Wahrheit. Fest steht: Die Gewinne der Q-Pharm fließen zu zwei Dritteln in die Kassen der Genossenschaft und zu einem Drittel an Praxisnetze, örtliche Zusammenschlüsse von Ärzten. Das wurde im Mai 2002 in einem Vertrag festgehalten, so steht es im Handelsregister der Stadt Bad Segeberg. Für die Gewinne der Genossenschaft wurde eine feinsinnige Formulierung gefunden: Sie werden nicht ausgeschüttet, sondern vergütet. So steht es in Unterlagen beim Bad Segeberger Amtsgericht. Dort heißt es, die Aufgaben der Genossenschaft seien unter anderem "die Unterstützung der wirtschaftlichen Zwecke der Mitglieder" und "die Auszahlung der Vergütung".
Den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen Ausschüttung und Vergütung erklärt Peter Neu, Anwalt für Gesellschaftsrecht bei der Kanzlei Meiski Teubler & Partner: "Eine Ausschüttung richtet sich danach, wie viele Genossenschaftsanteile der Arzt erworben hat. Eine Vergütung richtet sich danach, wie viel Umsatz der Arzt macht." Will heißen: Je mehr Medikamente der Q-Pharm die Ärzte verschreiben, desto höher ist der Gewinn der Genossenschaft und damit auch die Vergütung der Ärzte.
Auch das Firmengeflecht, in das die Q-Pharm eingebunden ist, hat ein Geschmäckle. Das Unternehmen kooperiert mit den Flensburger Pharmafirmen Juta Pharma, Anto Pharma und MW Pharma. Doch was offenkundig den Anschein erwecken sollte, Q-Pharm greife auf ein breit gefächertes Netzwerk von Lieferanten zurück, erweist sich als Trugschluss. Die drei Pharmafirmen haben nicht nur dieselben Adressen, sondern werden auch von denselben Geschäftsführern geleitet - und sie gehören alle einer gewissen "Gaja Investments".
Firmensitz am Amsterdamer Flughafen
Fritz Orth, einer der Geschäftsführer der Flensburger Firmen, bestätigt gegenüber SPIEGEL ONLINE, dass Gaja seinen Sitz in den Niederlanden habe und alleiniger Gesellschafter des Flensburger Unternehmensverbundes ist. Der weitere Hintergrund bleibt im Unklaren. In einer Firmendatenbank steht lediglich, dass der Firmensitz am Amsterdamer Flughafen ist, und wie viele Angestellte die Gaja hat: null. Alles deutet auf eine Briefkastenfirma hin. Klaus Bittmann: "Dazu kann ich nichts sagen."
Orth erklärt per Fax, dass Gaja Investments zur Arrow Group gehört: "Die Arrow Group ist ein selbstständiges Unternehmen, das weltweit preisgünstige Arzneimittel entwickelt." Die Firma habe Niederlassungen unter anderem in Brasilien und Neuseeland.
Ein Ärzte-Funktionär, der nicht genannt werden möchte, staunt nicht schlecht, als SPIEGEL ONLINE ihm die Rechercheergebnisse vorlegt: "Von so einem Geschäft müsste sich jeder seriöse Mediziner eigentlich fernhalten", warnt er. Ein Bundestagsabgeordneter aus dem Ausschuss für Gesundheit und soziale Sicherung lässt - ebenfalls anonym - über seinen Sprecher mitteilen: "Dieses Verhalten verstößt eindeutig gegen Paragraph 34 der ärztlichen Berufsordnung." Dort wird dem Arzt verboten, für die Verordnung bestimmter Medikamente eine Vergütung anzunehmen. Bittmann beteuert jedoch, dass die Genossenschaft die Mitglieder lediglich über Fortbildungen entlohne: "Kein Arzt hat einen direkten materiellen Vorteil."
Bei den Apothekern der Region stößt die Genossenschaft inzwischen auf immer größere Skepsis. Sie stören sich daran, dass ihnen die Ärzte immer häufiger auf der Verschreibung notieren, dass die Apotheker nur das von ihnen verordnete Medikament an den Patienten verkaufen dürfen. Sie können sich dabei auf ihre gesetzlich festgeschriebene ärztliche Behandlungsfreiheit berufen. Und genau die nutzt die Genossenschaft aus. "Wir haben dabei Bauchschmerzen", sagt ein Apotheker, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. Aber etwas gegen das Geschäft unternehmen können sie nicht: "Die Ärzte sitzen am längeren Hebel."
Manche Apotheker boykottieren die Produkte der Q-Pharm und verkaufen demonstrativ gleichwertige Medikamente anderer Firmen, so genannte Substitute. Auf der Internetseite der Q-Pharm heißt es dazu: "Der stellenweise immer noch vorkommenden Substitution konnte in vielen Regionen durch persönliche Gespräche mit dem Apotheker begegnet werden." Ein Apotheker, der ebenfalls unerkannt bleiben will, wird deutlicher: Man habe ihm unmissverständlich klar gemacht, dass er sich selber schade, wenn er sich nicht an die Verschreibung der Genossenschaftsärzte halte. Nach dem Motto: Wenn Du unsere Präparate nicht verkaufst, schicken wir die Patienten in eine andere Apotheke. Sein Resümee: "Das Geschäft ist total heuchlerisch."
Q-Pharm fasst in immer mehr Regionen Fuß
Auch die Krankenkassen, deren Budgets die Genossenschaft eigentlich entlasten wollte, sehen die Angelegenheit mehr als kritisch: "Im Grunde ist so eine Ärztegenossenschaft ein Kartell", sagt Manfred Partsch vom AOK-Bundesverband. Partsch: "So etwas ist wettbewerbswidrig." Klaus Bittmann meint: "Wir wissen, dass wir in der Kritik stehen. Aber wir finden unsere Lösung löblich."
Das Risiko geht die Ärztegenossenschaft offenbar ein: Die Tochterfirma Q-Pharm fasst in immer mehr Regionen Fuß, unter anderem in Niedersachsen und Baden-Württemberg. Freimütig gibt sie zu, in Regionen ohne Ärztegenossenschaft "keine nennenswerten Umsätze" zu machen.
Andreas Rinck, Vorstandsmitglied der Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein, wies vor einigen Tagen in einem Internet-Forum für Ärzte noch einmal auf die vermeintlichen Vorteile des Geschäfts hin: "Würden alle Ärzte zu dem gleichen Mittel greifen, wäre der Gewinn pro Mitglied unendlich hoch."
Q-Pharm-Vorstand Klaus Bittmann ist übrigens inzwischen in einer anderen Angelegenheit ins Visier der Justiz geraten. Der Lübecker Oberstaatsanwalt Werner Spohr bestätigt, dass gegen Bittmann Anklage erhoben wird. Es geht um Bestechlichkeit, Untreue und Betrug im Zusammenhang mit falschen Abrechnungen. Die Ärztegenossenschaft stützt Bittmann: "Der Vorstand wehrt sich entschieden gegen diese Rufmordkampagne."