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Heiße Luft und Schweigegeld

Die Schiebereien bei der co op waren nicht nur das Werk des Vorstands. Die Anklage gegen führende Manager des Handelskonzerns belegt die Verwicklung der Gewerkschaften in die Affäre. Die co-op-Spitze, die sich persönlich bereichert haben soll, handelte in enger Abstimmung mit der Gewerkschaftsholding BGAG.
aus DER SPIEGEL 17/1991

Im Restaurant Alt Niederrad, einem bekannten Frankfurter Spesenlokal, kamen Werner Casper und Rolf-Jürgen Freyberg schnell zur Sache. Die Probleme bei zwei Gewerkschaftsunternehmen, dem Handelsunternehmen co op und der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG), erforderten eine rasche Lösung.

Seit Monaten hatten Manager der co op und der Gewerkschaftsholding BGAG in einer eigens dafür gegründeten Arbeitsgruppe nach Wegen gesucht, die gewerkschaftliche Unternehmensgruppe aus einer gefährlichen Schieflage zu bringen. Die heimlichen BGAG-Ableger GfH und Skan, die nach außen als eigenständige Hauptaktionäre der co op auftraten, waren überschuldet, und das hatte bereits zu Problemen bei ihrer Hausbank BfG geführt.

Am 8. März 1984 klopften co-op-Finanzchef Casper und BGAG-Vorstandsmitglied Freyberg beim Essen in Frankfurt die letzten Details des entlastenden Deals fest. Trotz der angespannten Finanzlage übernahm die co op einen Teil ihrer eigenen Aktien von den BGAG-Ablegern und sorgte damit dafür, daß die GfH ihren Kredit bei der BfG von 210 Millionen auf 145 Millionen Mark reduzieren konnte.

Die Frankfurter Staatsanwaltschaft hat den Fall in den vergangenen Monaten in allen Einzelheiten ermittelt. Die dubiose Transaktion belegt, wie sehr die Gewerkschaften in den größten Wirtschaftskrimi der Nachkriegszeit verwickelt sind.

Die Vorgänge bei der co op, die mit fast 50 000 Beschäftigten und einem Umsatz von zwölf Milliarden Mark einst zu den größten Handelskonzernen der Republik zählte, waren nicht nur das Werk eines skrupellosen Vorstands. Bernd Otto, Werner Casper, Dieter Hoffmann und Michael Werner führten die co op in enger Abstimmung mit den Gewerkschaftsmanagern der BGAG. Auch führende Gewerkschafter waren offensichtlich stets informiert über die zahllosen Versuche, die gewaltigen finanziellen Probleme der Unternehmensgruppe zu verschleiern.

Die Zeugenliste der jetzt dem Frankfurter Landgericht zugestellten Anklage in Sachen co op (SPIEGEL 16/1991) liest sich denn auch wie die Teilnehmerliste eines hochrangigen Gewerkschaftskongresses: Von Walter Hesselbach, der grauen Eminenz der Gemeinwirtschaft, bis zum amtierenden DGB-Chef Heinz-Werner Meyer müssen etliche ehemalige und amtierende Gewerkschaftsfunktionäre damit rechnen, im Herbst vor der 2. Wirtschaftsstrafkammer in Frankfurt als Zeugen vernommen zu werden.

Einige von ihnen, etwa Walter Hesselbach, Rolf-Jürgen Freyberg und Günther Döding (bis 1989 Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten), gehören sogar zu dem Kreis von etwa 40 bis 50 Personen, gegen den die Staatsanwälte noch weiter ermitteln. Sie müssen sich möglicherweise ebenso wie der nach Kanada geflüchtete Werner Casper in späteren Verfahren vor Gericht verantworten; Casper wurde in Kanada verhaftet, ist aber gegen Kaution auf freiem Fuß.

Richter Gernot Bockelmann wird im Herbst das erste Verfahren gegen den früheren Gewerkschaftsfunktionär Alfons Lappas, 61, sowie sechs ehemalige Topmanager der co op eröffnen. Es geht dann um mehr als die Kredite in Höhe von fast zwei Milliarden Mark, um die 117 Banken geschädigt wurden.

Mit Sicherheit werden in dem Prozeß auch zahllose für die Gewerkschaften peinliche Details zur Sprache kommen. Die 329 Seiten starke Anklageschrift bestätigt im wesentlichen die Enthüllungen des SPIEGEL, die Ende 1988 den Zusammenbruch des hoch verschuldeten Handelskonzerns einleiteten.

Der »maßgebliche Gründungszweck« der aus mehr als hundert Konsumgenossenschaften zusammengezimmerten co op, das ergaben die Ermittlungen von Staatsanwalt Heinz-Ernst Klune, bestand von Anfang an darin, die Gewerkschaftsbank BfG von einem gewaltigen Kreditrisiko zu befreien. Anfang 1974 waren die nicht mehr wettbewerbsfähigen Genossenschaften bei der BfG mit insgesamt etwa 800 Millionen Mark verschuldet. Die Bank und die gesamte gewerkschaftliche Unternehmensgruppe waren damals akut gefährdet.

Der neugeschaffene Handelskonzern litt an einem Geburtsfehler: Da nur schwer angeschlagene Genossenschaften unter dem Frankfurter Konzerndach Schutz suchten, war die co op von Anfang an defizitär. Sie war angewiesen auf die Zuschüsse der Gewerkschaften, die nach Ermittlungen des Staatsanwalts viele Jahre - getarnt über die Firmen GfH und Skan - für mehr als 90 Prozent der Aktien verantwortlich zeichneten. Allein in den Jahren von 1975 bis 1983 summierten sich die Verluste der co op auf mehr als 500 Millionen Mark.

Um die verlustreiche co op nicht in ihrer Bilanz konsolidieren zu müssen, schaltete die Gewerkschaftsholding BGAG die Tarnfirmen GfH und Skan ein. Sie übernahmen einen Großteil der co-op-Aktien: Der BGAG-Anteil blieb unter 50 Prozent.

Doch das alles reichte nicht. Bereits 1983 führte die permanente Schieflage der BGAG und der co op bei der Hausbank BfG zu neuen Problemen.

Spitzenmanager von BGAG und co op suchten deshalb in einem »Arbeitskreis zur Umgestaltung der Gesellschafterverhältnisse bei der co op AG« nach anderen Lösungen. Über die Beratungen dieses Gremiums wurden nicht nur die Vorstände beider Unternehmen informiert, sondern auch der Alt-Gewerkschafter Walter Hesselbach.

Die Überlegungen des Arbeitskreises bildeten schließlich das Strickmuster all der Tricks und Täuschungsmanöver, mit denen der Handelskonzern auch nach dem Ausstieg der Gewerkschaften (Ende 1985) Öffentlichkeit und Banken hinters Licht führte. Für den Staatsanwalt besteht gar der »Verdacht, daß Zweck und Tätigkeit des Arbeitskreises auf Begehung von Straftaten gerichtet« waren. Er leitete deshalb weitere Ermittlungen ein »wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung«.

Das Ziel der Finanzexperten von BGAG und co op war klar: Um das Vertrauen von Anlegern und Banken zu gewinnen, mußten die co-op-Aktien attraktiv gemacht werden. In einem internen Vermerk schlug der Arbeitskreis deshalb vor, daß »die co op AG 1983 und in den nächsten drei Jahren trotz hierzu erforderlicher hoher Gestaltungsnotwendigkeiten eine Dividende ausschütten« sollte. Die Handelsfirma erwirtschaftete aber gar keine Gewinne, aus denen sie eine Dividende hätte zahlen können. Anschließend sollte die BGAG das Geld der co op wieder zurückerstatten.

Um »die Nutzung des Kleinaktionärspotentials zu ermöglichen«, empfahl der Arbeitskreis, co op und Verbraucher AG, in der sich die früheren Genossenschaftsmitglieder zusammengeschlossen hatten, noch im Jahre 1984 zu einer Aktiengesellschaft zu verschmelzen. Anschließend sollte die co op durch »eine möglichst intensive Kurspflege« den Preis ihrer Aktien in die Höhe treiben.

Es blieb nicht bei den Plänen. Die Fusion wurde verabredungsgemäß durchgezogen, die Schulden von GfH und Skan bei der BfG wurden reduziert, und die co op begann mit einem Gewinnaufbau in kleinen Schritten.

Doch die Lage der gewerkschaftlichen Unternehmensgruppe verschlechterte sich weiter. Insbesondere durch die Probleme beim Wohnungsbau-Konzern Neue Heimat benötigte die BGAG dringend liquide Mittel. Die Gewerkschafter beschlossen deshalb 1985, ihre co-op-Anteile ganz abzugeben. Nachdem die BGAG zuvor schon einen Großteil ihrer co-op-Aktien an die co op selbst verkauft hatte, ging es nun noch um ein Restpaket von etwa 40 Prozent.

Zunächst wollte die DG Bank in Frankfurt die Papiere übernehmen; sie verlangte indes ein Gutachten neutraler Wirtschaftsprüfer. Die co op ließ zwar das Gutachten anfertigen, aber als die Experten nicht zu dem gewünschten positiven Ergebnis kamen, hielt sie das Papier unter Verschluß. Daraufhin zog die DG Bank ihre Zusage zurück.

Da sich kein Käufer für die Aktien fand, übernahm schließlich wieder die co op mit vielen Tricks selbst das Aktienpaket. Die BGAG, die den Käufer genau kannte, kassierte bei dem Deal 190 Millionen Mark.

Über all die Merkwürdigkeiten in den Geschäften zwischen co op und BGAG waren nicht nur die Führungsspitzen beider Unternehmen informiert. Auch zahlreiche prominente Gewerkschafter waren offensichtlich eingeweiht.

Einen deutlichen Bericht über die bedrohliche Lage erstattete co-op-Chef Otto dem mit hochrangigen Gewerkschaftern besetzten Aufsichtsrat der BGAG bereits im März 1983. Im Juli 1984 befaßte sich das Kontrollgremium mit der »Neuordnung der Gesellschafterverhältnisse« bei der co op.

Otto wies die Gewerkschafter darauf hin, daß die co op nun mehr als 50 Prozent ihrer eigenen Aktien halte. »Das sieht der Gesetzgeber eigentlich sehr ungern«, meinte Otto laut Protokoll. Das war ironisch untertrieben: Der Kauf eigener Aktien ist deutschen Unternehmen nur bis maximal zehn Prozent des Grundkapitals und nur unter strengen Auflagen gestattet.

Nicht immer schwiegen die Gewerkschafter zu den Machenschaften ihrer Manager. So schimpfte etwa Konrad Carl, Chef der mitgliederstarken IG Bau-Steine-Erden, bei einer Klausurtagung im November 1984: Über Jahre hinweg sei »lediglich heiße Luft geschaffen« worden, die jetzt finanziert werden müsse.

Zwar seien die Bilanzen zum Teil mit der Zustimmung der Gesellschafter frisiert worden. Aber Carl ahnte wohl, was auf die Gewerkschaften zukommen könnte, falls die Machenschaften eines Tages publik werden sollten: »Der Schock«, gab der Gewerkschafter zu Protokoll, »wäre sicherlich vergleichbar mit demjenigen der Affäre von 1982 bei der Neuen Heimat.«

Da lag der Mann vom Bau ganz richtig. Einige co-op-Manager nutzten zudem das Unternehmen offensichtlich auch zur eigenen Vermögensbildung. Insgesamt, so meint der Staatsanwalt, hätten sie das hoch verschuldete Unternehmen um mindestens 25,6 Millionen Mark erleichtert.

Als Untreue wertet der Staatsanwalt etwa die Abfindungszahlung in Höhe von 16,3 Millionen Mark für das 1988 aus der co op ausgeschiedene Vorstandsmitglied Michael Werner. Das war, so sagen ehemalige co-op-Insider, »ganz klar Schweigegeld«.

Die Unterschlagung von Firmengeldern begann laut Anklageschrift bereits 1984, nachdem die co op fast die Hälfte ihrer eigenen Aktien von der BGAG übernommen hatte. Von diesem Zeitpunkt an fühlten sich Otto und seine Helfer offensichtlich als Herr im eigenen Haus.

Damit die Spitzenleute ungestört schalten und walten konnten, wurde zunächst der Vorstand drastisch verkleinert. Das ging ohne Aufsehen ab, da die Manager ihre Gehälter weiter beziehen konnten.

Dann, so heißt es in der Anklage, machten sich Otto, Casper und Hoffmann mit Hilfe ihres ebenfalls beschuldigten Vorstandssekretärs Hans Gitter an die persönliche Vermögensbildung. Um die illegalen Transaktionen zu verschleiern, sollen sie ein Netz von persönlichen Stiftungen in der Schweiz und in Liechtenstein aufgezogen haben.

Die Stiftungen erhielten nichtssagende Namen wie Leiles (Otto), Verpeil (Hoffmann) und Benjamin Constant (Casper). Wie sie mit Kapital gefüllt wurden, belegt die Anklageschrift an einer Reihe von Beispielen.

Sehr ausführlich wird der Weg einer Überweisung von zwölf Millionen Mark dargestellt, die am 27. Dezember 1984 von einem co-op-Konto in Frankfurt abgebucht wurde. Um die Transaktion zu verschleiern, soll die co op später vermutlich wertlose Aktien einer Schweizer Briefkastenfirma erhalten haben.

Nach vielen Umwegen über Frankfurt, Zürich und Liechtenstein sollen zehn der zwölf Millionen schließlich Ende Mai 1985 bei der Canella Stiftung in Vaduz angekommen sein. Die Canella-Stiftung war ein Ableger der ebenfalls in Vaduz ansässigen Carla Stiftung. Die wiederum soll im März 1985 im Auftrag der Fundatio Cooperationes von Otto, Casper und Hoffmann gegründet worden sein.

Zunächst wurden die Millionen in Festgeldern und Aktien angelegt. Dann wurden sie auf eine neue Firma transferiert. Anschließend wurde die Canella liquidiert.

Nicht selten soll ein Financier aus Lausanne, der auch als Zeuge benannt ist, auf Bestellung des Vorstandstrios schlichte Scheinrechnungen ausgestellt haben. Nach Abzug einer Provision wurde das von Mitwissern bei der co op überwiesene Geld auf eine der zahlreichen persönlichen Stiftungen überwiesen.

Am 2. April 1986 sollen Hoffmann und Helfer Gitter sogar einen Betrag von 1,18 Millionen Mark in bar in Lausanne abgeholt haben. Ein anderes Mal hat der Financier aus Lausanne mehrere Schecks mit jeweils sechsstelligen Beträgen ausgestellt. Zu den Empfängern gehörten nach den Ermittlungen des Staatsanwalts unter anderem auch Alfons Lappas und sein Gewerkschaftskollege Günther Döding.

Es war nicht leicht, bei dem Wust von Stiftungen und Scheinfirmen den Überblick zu behalten. Zudem wucherte unter den drei co-op-Anführern das Mißtrauen. Um das Risiko zu verringern, eines Tages vielleicht durch Verrat entdeckt zu werden, gründete das Trio auf Anraten seines Liechtensteiner Anwalts Substiftungen, die Ermitage etwa oder Grazia und Garganol.

Um vollends sicher zu gehen, sollen Hoffmann und Casper noch ihre Ober- und Unterstiftungen getauscht haben. Sie gründete eine gemeinsame Anstalt namens Interpool für ihre volljährigen Söhne.

Der Liechtensteiner Anwalt Ronald Kranz, der bereits viele Geschäfte für die co-op-Manager betreut hatte, fand auch eine Begründung für die komplizierte Konstruktion. Bei seiner Vernehmung im Januar dieses Jahres gab Kranz an: »Es bestand der Verdacht, daß Otto private, schriftliche Aufzeichnungen über die Ober- und Substiftungen von Hoffmann und Casper hatte.« Seine Mandanten hätten wohl befürchtet, »es könne von diesen Aufzeichnungen Gebrauch gemacht werden«.

Die Gewerkschafter, die jetzt als Zeugen und zum Teil als Verdächtigte auftreten, wird es frösteln: Wo solche Praktiken üblich sind, ist noch manche böse Überraschung zu erwarten. o

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