KANADA Heuschrecken aus Quebec
Bicnvenue en Floride«, grüßen seit wenigen Wochen zwei riesige Stellschilder in Hollywood (US-Bundesstaat Florida) frankophone Fremde. Verkehrshinweise in französisch helfen den Hollywood-Neulingen auf den rechten Weg, und die größeren Läden des Touristen-Zentrums an der Ostküste Floridas werben mit der Plakette »On parle francais« im Schaufenster um zusätzliche Kunden.
Französisch-sprachige Neuankömmlinge scheinen sich im sonnigen Hollywood und in anderen Florida-Badeorten besonders wohl zu fühlen -- und das nicht nur für ein paar Urlaubswochen. Sie kommen, um zu bleiben.
Die Florida-Einwanderer stammen aus der frankokanadischen Provinz Quebec. Denn die Sezessions-Pläne des sozialistischen Provinz-Premiers René Lévesque, die schwere Wirtschaftskrise mit Inflationsraten und Arbeitslosenquoten von fast zehn Prozent sowie der Kurssturz des Kanada-Dollars (Wertverlust gegenüber der Mark seit Anfang 1977: etwa 28 Prozent) haben neben dem anglokanadischen Wirtschafts-Establishment in Quebec auch die frankokanadischen Mittelständler so geschockt, daß immer mehr Unternehmer, Freiberufler und gutverdienende Angestellte ihre Heimatprovinz verlassen.
Während jedoch die meisten Quebec-fliichtigen »Anglos« im Land bleiben und lediglich über die Provinzgrenzen nach Ontario, Alberta oder Britisch-Kolumbien wechseln, zieht es die frankokanadischen Quebec-Emigranten über die Staatsgrenze in den Süden.
Die Ansiedler steuern vor allem die ihnen vom Urlaub her bekannten Florida-Bezirke Dade, Broward und Palm Beach mit den Hauptorten Miami, Fort Lauderdale und Palm Beach an. In Hollywood, dem Ort mit der größten Kanadier-Kolonie, stellen die Neuen aus dem hohen Norden bereits jeden vierten der 126 000 Einwohner.
»Es ist eine Affenschande«, ärgert sich Jacques Laliberté, Mitglied der ultranationalistischen frankokanadischen Societé Samt Jean Baptiste, daß »die meisten dieser Flucht-Quebecer nicht etwa »Anglos«, sonder Quebecer mit guten französischen Namen« sind.
»Statt sich zu freuen«, so Laliberté~« »daß unser unterdrücktes Land jetzt endlich frei wird, haben diese verdammten Bourgeois nichts Besseres zu tun, als ihr Geld nach Florida zu bringen, wo sie dann ihre Tage mit Nichtstun verbringen und ihre verfluchten Körper braun brennen lassen.«
Weit größer noch als die Summen, die Frankokanadier durch den Umzug vom Sankt-Lorenz-Strom nach Florida in den Ruhestand hinüberretten wollen, ist das Kapital. das Montrealer Geschäftsleute und Immobilienkonzerne ohne eigenen Standortwechsel in den amerikanischen Südstaat lenken.
Nach Recherchen des »Miami Herald« legten kanadische Immobilienfirmen 450 Millionen Dollar in Florida-Grundstücken und -Gebäuden an -- davon 350 Millionen Dollar allein zwischen Miami und Palm Beach. So kaufte eine Immobilien-Gruppe unter Führung des Montrealer Anwalts Sydney Wolofsky für 60 Millionen Dollar Grundstücke und Ferienhaus-Siedlungen in Hallandale nördlich Miami auf.
Das Miami-Motel »Hawaiian Inn« ging für 1,33 Millionen Dollar an eine Montrealer Investment-Gruppe mit Yvan Dubois, dem früheren Bürgermeister des olympischen Dorfes von Montreal, an der Spitze. 2,35 Millionen Dollar kostete das Motel »Beachcomber« am Strand von Nord-Miami« das eine Gruppe unter Führung des Gastronomen Emile Lacroix aus Quebec City erwarb.
Kanadas ältestes und berühmtestes Unternehmen, der 300 Jahre alte Handelsriese Hudson"s Bay Corp., will in den nächsten Jahren sogar eine Milliarde Dollar aufwenden, um auf 5500 Hektar früheren Florida-Farmlands eine 50 000-Einwohner-Stadt zu errichten.
Die meisten Florida-Investoren aus Quebec kaufen allerdings nur einzelne Ferienhäuser, Apartments und kleine Landparzellen auf. »Ich bekomme Tag und Nacht Anrufe aus Montreal«, berichtet Immobilien-Makler Paul Langlois, ein Ex-Montrealer in Fort Lauderdale, »die Leute fürchten, daß es sehr bald zu Gesetzen kommt, die den Kapitalexport abwürgen.«
Aus Angst, ihre Ersparnisse nicht mehr rechtzeitig aus Quebec herauszubekommen, lassen sich viele Kanadier auch durch überhöhte Immobilien-Preise nicht vom Kauf abschrecken. »Die beste Art, hier Grundstücke zu verkaufen«, weiß Immobilienhändler Jim Perkins aus Fort Lauderdale, »ist, ein großes Schild aufzuhängen, auf dem das Doppelte von dem verlangt wird, was das Ding wert ist; mit Sicherheit wird irgendein Quebecer vorbeikommen, der es sofort kauft.«
Die Kaufwut der »Heuschrecken aus Quebec« (Immobilien-Makler Richard Sanders aus Miami) verärgerte bereits alteingesessene Florida-Bürger: »Erst kamen die Exilkubaner und nahmen alle Arbeitsstellen
weg«, klagt etwa Mary Wayne, eine in Miami geborene Achtzigerin« »und jetzt kommen die Exilquebecer, die uns die Häuser vor der Nase wegschnappen.«
Auch an Sprache und Sitten der neuen Nachbarn nehmen nationalbewußte US-Amerikaner Anstoß »Sie bilden ihre eigenen Cliquen; viele weigern sich, Englisch zu sprechen; sie zeigen die kanadische Flagge«, schimpft Bob Potenziani, Geschäftsführer der Handelskammer von Hollywood.
»Entweder die Überfremdung unseres Staates hört auf«, erregt sich Fred Banting, Sprecher einer neuen »Gruppe zum Schutz des amerikanischen Florida«, »oder Alteinwohner Floridas müssen irgendwohin auswandern -- vielleicht nach Kanada.«