ZIGARETTEN Hinten ins Regal
Vier Wochen lang verfolgten die Konkurrenten des Hamburger Zigarettenkonzerns Reemtsma mit wachsendem Unmut den Aufstieg einer bislang erfolglosen Marke. Wenn die »West«, so Peter Fischer, Chef von Reynolds Tobacco, auf einen Marktanteil von drei Prozent komme, sei für die Branche »die Schmerzschwelle erreicht«.
Noch im vergangenen Monat hatte Reemtsmas »West« einen Marktanteil von 0,5 Prozent. Ende Januar aber ging es plötzlich aufwärts, nachdem Reemtsma den Preis für eine 20er-Packung »West« von 3,80 auf 3,30 Mark gesenkt hatte.
Die Raucher schwenkten scharenweise um, die Schmerzschwelle war bald überschritten. Die »West« habe einen Marktanteil von knapp vier Prozent erreicht, meldeten vergangene Woche Außendienstler der Münchner Philip Morris GmbH. Die Münchner (Hauptmarke: »Marlboro") reagierten sofort mit einer eigenen Billig-Marke.
In dieser Woche verkauft Philip Morris, zunächst in Süddeutschland, die bislang lediglich im Ausland bekannte »L & M« zum Kampfpreis von drei Mark. In der Packung sind allerdings nur 19 Zigaretten.
Nächste Woche zieht die Konkurrenz nach. Reynolds wird seine Traditionsmarke »Overstolz« - derzeit kosten 20 Stück noch 3,80 Mark - um 17 Prozent verbilligen und 19 Stück ebenfalls für drei Mark verkaufen. In die gleiche Preislage will die Martin Brinkmann AG S.96 mit »Peer Export« und die BAT (Hauptmarke: »HB") mit »Pall Mall« gehen.
Der Preiskampf ist eröffnet - ein Novum in der Geschichte der bundesdeutschen Zigarettenindustrie.
Bislang hatten sich die Tabakverarbeiter nur mit teuren Werbekampagnen um Marktanteile gerauft. Am Preis, das war in der Branche ungeschriebenes Gesetz, durfte nicht gerüttelt werden.
Als nach der letzten Steuererhöhung im Sommer vergangenen Jahres Zigaretten spürbar teurer wurden, drehten die Raucher selbst oder kauften Billig-Zigaretten, die Lebensmittelketten wie Edeka ("Tawa Nr. 2") oder Rewe ("Jakordia") zu drei Mark je 20 Stück anboten.
Das billige Kraut der Lebensmittelhändler hatte einen Marktanteil von fast zehn Prozent erreicht, als die Reemtsma-Manager, nervös geworden, sich auf einen altbekannten wirtschaftlichen Mechanismus besannen: Sie wollten den Absatz mit sinkenden Preisen beleben.
Als »falsch und verhängnisvoll« tadelte der BAT-Vorstandsvorsitzende Dieter von Specht diese Strategie. Die Zigarettenhersteller, so Specht in einem Brief an seine Kunden, könnten gezwungen werden, »in einen für alle Beteiligten ruinösen Preiskampf einzutreten«.
Diesen Preiskampf versuchte die Branche vier Wochen lang zu verhindern. Händler weigerten sich, die »West« zu verkaufen, BAT-Leute boten Automatenaufstellern 20 Mark für jeden Automatenschacht, aus dem sie die »West« herausnähmen.
Reemtsmas Billig-Marke, so meinten Großhändler wie der Münchner Hans Sollfrank, bedrohe wegen der geringen Spanne die Existenz des Handels. Sollfrank forderte den Einzelhandel auf, »solchen zerstörerischen Aktionen Widerstand entgegenzusetzen«.
Das lief auch zunächst. Händler boykottierten die »West« oder stellten sie, wie etwa der Augsburger Ekkehard Magg, »ganz hinten ins Regal«. Weil »an der 'West' fast nichts mehr zu verdienen« sei, weigerten sich Großabnehmer wie die Gust. Geber GmbH im westfälischen Lübbecke (126 Tabakläden), die Billig-Marke ins Sortiment zu nehmen.
Doch der Boykott brach schnell zusammen. Die Kunden verlangten hartnäckig die »West« und brachten sie in kurzer Zeit auf einen Marktanteil von vier Prozent. Nun beginnt der »ruinöse Preiskampf«, vor dem Specht gewarnt hatte. Das Gezerre in dem stagnierenden Markt wird noch härter, weil die anderen Hersteller auf die Reemtsma-Attacke noch eins draufsetzen und sogar billiger als die »West« anbieten.
Wenn Philip Morris in dieser Woche seine »L & M« für drei Mark verkauft, bleiben dem Unternehmen gerade noch 32 Pfennig übrig. Von den drei Mark gehen 74 Prozent für die Steuer und 15,3 Prozent für den Handel drauf. Aus den verbleibenden 10,7 Prozent muß Philip Morris die Kosten für Tabak, Herstellung, Verpackung, Vertrieb und Werbung bezahlen. Zu verdienen ist da wohl nichts mehr.
So sieht die Preissenkung auf drei Mark vor allem wie eine Strafaktion gegen den vorgeprellten Konkurrenten Reemtsma aus. Denn die billige »West« hat weniger die Käufer der Aldi- oder Edeka-Zigaretten gelockt, sondern war in die Normalpreislage der großen Hersteller eingebrochen. Der Erfolg der »West«, klagt BAT-Sprecher Hermann Feldgen, »geht ganz eindeutig zu Lasten der Markenzigaretten«.
»Marlboro« wurde vor allem betroffen, merkten Außendienstler von Philip Morris, daneben »Camel« und »HB« - aber auch »Peter Stuyvesant«.
So hat die Branche wenigstens einen Grund zur Freude. Denn die »Stuyvesant« ist Reemtsmas Erfolgsmarke, mit der, anders als bei der »West«, richtig Geld verdient wird.