Hongkonger Milliardenprojekt Science-Fiction-Brücke für die Fabrik der Welt

Es wäre viel mehr als nur eine schnöde Brücke: Ein 30 Kilometer langer Milliardenbau, teils über, teils unter Wasser, soll Hongkong mit seiner Nachbarstadt Macau verbinden. So könnte eine wichtige Wirtschaftsregion noch mächtiger werden - wenn die hochfliegenden Träume der Macher aufgehen.

Hongkong - Jahrelang hat er davon geträumt, jetzt soll es Wirklichkeit werden: Seit Jahrzehnten hat Sir Gordon Wu Lobbyarbeit für ein Mega-Projekt betrieben, das immer wieder am Gezerre um die Finanzierung und Realisierbarkeit zu scheitern drohte. Jetzt aber hat der Milliardär und Chef des Hongkonger Immobilien- und Infrastrukturanbieters Hopewell sein Ziel erreicht: Über das Mündungsdelta des Perlfluss wird eine Brücke gebaut, eine 29,6 Kilometer lange Verbindung von der zu Hongkong gehörenden Insel Lantau bis zur ehemals portugiesischen Kolonie Macau. Geschätzte Kosten: 60 Milliarden Hongkong-Dollar.

"Eine never-ending story", sagt auch Andrew Look, der die Research-Abteilung für Hongkong bei der Investmentbank UBS leitet - und lacht: "Als ich vor 23 Jahren nach Hongkong zurückgekommen bin, war schon die Rede von dieser Brücke." Aber erst jetzt wurde für das ambitionierte Infrastrukturprojekt der lang umstrittene Finanzierungsmodus gefunden. Ein Konsortium privater Investoren soll die Brücke bauen und betreiben. Dann aber wird es vage: Fallen höhere Kosten an, als die Investoren bereit sind zu tragen, werden diese auf die Anrainer verteilt. Die chinesische Provinz Guangdong soll ein gutes Drittel zahlen, die Sonderverwaltungszone Hongkong die Hälfte, den Rest würde Macau tragen.

Der Finanzplan ist wichtig: Denn damit ist der Weg frei für Machbarkeitsstudien, Ausschreibungen und Projektvergabe, heißt es aus der Pressestelle der Regierung - auch wenn ein genauerer Zeitplan für Evaluierung und Bieterverfahren noch nicht feststeht.

Das Projekt, für das Milliardär Wu seit Jahrzehnten gekämpft, ist weit mehr als eine schnöde Querung des Wassers: Teils Brücke, teils Tunnel, eine Herausforderung für Bauingenieure, soll es Hongkong und das östliche Ufer des Perlfluss näher an die gegenüberliegende Uferseite rücken – und das wirtschaftliche Kraftpaket, das die südchinesische Provinz Guangdong heute schon ist, weiter stärken.

Das Delta ist die Fabrik der Welt

Denn rund ein Drittel der Exporte der Volksrepublik werden hier im Süden des Riesenreichs hergestellt, das Delta ist die Fabrik der Welt. T-Shirts, Laufschuhe, Kinderspielzeug und Mobiltelefone werden hier fabriziert, Millionen Wanderarbeiter aus dem ganzen Land werkeln zwischen Shenzhen, Dongguan und Guangzhou in Fabriken, die häufig Taiwanesen, Koreanern, aber vor allem Hongkong-Chinesen gehören.

Nicht so jedoch auf der anderen Seite der Flussmündung, hier ist zumindest teilweise noch das ursprüngliche Guangdong zu spüren: Weniger Fabriken und Schornsteine, dafür mehr Landwirtschaft und kleine Dörfer. Die Vision der Unternehmer und Immobilienentwickler aus Hongkong: Ist erst die Brücke da, wird auch diese Seite des Flusses in kürzester Zeit industrialisiert. Das heißt: Neuer Platz für Fabriken, Wohntürme und Infrastrukturprojekte, die dann von den Metropolen Shenzhen und Hongkong schnell zu erreichen sind. Denn bislang ist Zhuhai, die Macau nächstgelegene Stadt auf dem Festland, mit Fähre und Auto bestenfalls in drei Stunden zu erreichen. Dank der Brücke soll die Fahrtzeit auf 20 Minuten schrumpfen.

"Das ist der nächste Schritt der Integration", sagt Analyst Look. Neben der Entwicklung des Westufers sieht er auch Chancen für Hongkong und Macau. "In Guangdong wächst die Mittelschicht rasant. Im besten Fall könnten in ein paar Jahren 20 bis 25 Millionen Chinesen aus dem Süden regelmäßig mit dem Auto kommen und in Hongkongs Shopping-Zentren und Macaus Casinos ihr Geld lassen."

Kein Wunder, dass Wus Hopewell Holding sich seit Jahren für bessere Verbindungen und einen Ausbau der Infrastruktur im Delta stark macht. Denn das Unternehmen ist unter anderem an fünf Mautstraßen in der südchinesischen Provinz Guangdong beteiligt. Außerdem gehören zahlreiche Wohn- und Gewerbeimmobilien in Hongkong sowie Hotels in der Stadt und in Guangzhou zu dem Konzern. "Wir werden auch für die Brücke mitbieten", lässt die Firma keine Zweifel aufkommen.

"Eine ungeheuer große Brücke zu bauen, ist ungeheuer glorreich!", begeistern sich die Architekten Jonathan Salomon, Allen Poon und Kenneth Yeung derzeit in einer Stadtplanungsausstellung in Hongkong. Neben einem Modell des Projekts aus Leuchtröhren träumen sie von einer "urbanen Grenzzone", die durch das Projekt zusammengebunden werde. Viel mehr als ein Infrastrukturprojekt sei das Ganze, die Grenzstädte würden zusammenfließen - ohne ihre Identität zu verlieren.

"Utopisch, für die Stadt wird das teuer."

Auch Stanley Ho ist begeistert. Der Casino-Tycoon, der jahrzehntelang das Geschäft mit dem Glücksspiel in der portugiesischen Kolonie Macau dominiert hat und mit einem geschätzten Vermögen von acht Milliarden Dollar zu den reichsten Männern Asiens gehört, freut sich schon auf weitere Millionen von Spielern. Seine Antwort auf die Frage nach dem größten Profiteur der Brücke kommt prompt: "Die Casinos in Macau." Letztlich würden aber alle drei Beteiligten profitieren, schiebt er rasch hinterher.

Tatsächlich ist in der Region allerdings umstritten, wer in welchem Umfang profitiert: Zumindest die Regierung der Volksrepublik hat eine klare Meinung dazu: 64 Prozent der gesamten wirtschaftlichen Vorteile kämen Hongkong zugute, hat Zhang Xiaoqiang, stellvertretender Vorsitzender der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission, vor ein paar Monaten postuliert. Wie sich diese Zahl begründet, ist offen, eine umfassende Evaluierung des Projekts ist bisher nicht bekannt.

Infrastrukturexperte Zheng Tianxiang von der Sun Yat-sen Universität in Guangzhou hegt denn auch Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des gesamten Projekts: "Ich würde sagen, der Bau der Brücke dient in erster Linie sozialen und politischen Zwecken." Zu lange sei der Bau verzögert worden, jetzt rücke die Brücke lediglich Hongkong und Guangzhou näher zusammen. Schon das letzte große Infrastrukturprojekt sei überdimensioniert, betont Zheng. Den so genannten Westlichen Korridor, eine 2007 eröffnete Brücke in den Westen von Shenzhen, hätten im vergangenen Jahr im Schnitt gerade einmal 3164 Fahrzeuge am Tag passiert. Ausgelegt ist die Verbindung auf eine tägliche Kapazität von 58.000.

Hongkong muss draufzahlen

Unstrittig sei, dass Hongkong eine Menge wird draufzahlen müssen, ätzt ein Analyst in der Stadt. Würde die Brücke komplett privat finanziert, müsste ein Investor am Tag 13,2 Millionen Hongkong-Dollar erlösen, um sich eine Rendite von acht Prozent zu sichern. "Utopisch!", konstatiert er. "Für die Stadt wird das teuer."

Ausgerechnet die Transportindustrie, für die die Verbindung kürzere Wege bringen soll, ist ebenfalls skeptisch. "Für den Hafen bringt die Brücke nichts", sagt Alan Lee, Chef des Hongkonger Verbandes der Terminalbetreiber. "Bisher kommen die Container aus dem Delta mit Feederschiffen nach Hongkong. Das ist und bleibt die günstigste Lösung, denn auf ein Schiff passen bis zu 150 Kisten." Ohnehin sei damit zu rechnen, dass auf der Westseite des Delta weitere Häfen gebaut würden, wenn es dort zu einer fortschreitenden Industrialisierung komme. "Hongkongs Hafen bekommt durch die Brücke keinen zusätzlichen Verkehr", ist er sicher. Der Hafen der Metropole war lange der größte der Welt. Inzwischen haben Singapur und Shanghai Hongkong überholt – und Shenzhen auf der anderen Seite der Grenze mit seinen rasanten, zweistelligen Wachstumsraten wird in Kürze folgen, sind Branchenexperten einig.

Die größten Sorgen treiben aber Umweltschützer um. In den Gewässern nördlich und westlich der Insel Lantau ist der seltene rosa Delfin heimisch. Das Perlflussdelta ist der letzte große Lebensraum der putzigen Tiere, doch die Umweltverschmutzung hat ihre Zahl im vergangenen Jahrzehnt kräftig dezimiert. "Jede Art von Baumaßnahmen an der Nordküste ist für die Population ein Desaster", sagt Janet Walker von der Umweltschutzorganisation Hongkong Dolphinwatch. Während des Baus des Flughafens, der an der Nordseite der Insel auf einer künstlichen Insel liegt, seien regelmäßig tote Delfine an die Strände gespült worden. Ein paar hundert Delfine gibt es noch in der Region; sie kommunizieren über ein Sonarsystem, starker Lärm sei da extrem störend, erklärt Walker. "Ein Alptraum wird das."

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