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GERLING Hübsch im Kommen

In zähen Verhandlungen rettete der Kölner Versicherungsunternehmer Hans Gerling, was nach der Pleite seiner Herstatt Bank zu retten war. Auch nach seiner Meinung geht es ihm inzwischen »nicht schlecht«.
aus DER SPIEGEL 30/1976

Am vergangenen Donnerstag, pünktlich 14.30 Uhr, tauschten in der Kölner Gerling-Zentrale einige Herren millionenschwere Urkunden aus. Der Vertreter des Kölner Versicherungsunternehmers Hans Gerling. dessen Herstatt Bank vor zwei Jahren die spektakulärste Pleite der Nachkriegszeit vorgeführt hatte, bestätigte den Eingang von 16 Millionen Mark. Dann übergab er im Namen seines Herrn 51 Prozent der bislang bei einer Treuhandgesellschaft verwahrten Aktien des Gerling-Versicherungskonzerns.

Die beiden anderen Teilnehmer des Millionenspektakels zeichneten gegen und verabschiedeten sich: Der Repräsentant der Zürich-Versicherungsgruppe zog mit 25,1 Prozent der Gerling-Aktien ab, der Vertreter eines aus 55 Industriefirmen bestehenden Gerling-Konsortiums brachte seinen Auftraggebern 25,9 Prozent der Anteile an Westdeutschlands drittgrößtem Versicherungskonzern.

Zwei Tage später verließ Hans Gerling als VIP-Passagier des Swissair-Fluges SR 581 Köln, um über Zürich in seine Ferienresidenz am Bodensee zu reisen. Am Flugplatz Kloten wartete bereits sein Fahrer mit dem dunkelblauen Mercedes 450 SLC-Coupé.

Und auch sonst stand alles zum besten: Das »Wunder«, meinte Gerling. sei schließlich doch noch zustande gekommen. Obgleich die Herstatt-Pleite ihn fast eine Viertel Milliarde Mark kosten wird, braucht sich der Versicherungs-Unternehmer und gescheiterte Bank-Besitzer um Einfluß und Einkommen nicht länger zu sorgen: »Haben Sie den Eindruck«, fragte er unlängst einen Besucher. den er zuvor durch seinen Fahrer, seine Köchin und seinen livrierten Butler hatte bedienen lassen, »daß es mir schlecht geht?«

Kaum. Zwar muß er die Herrschaft über den Konzern mit der finanzstarken Zürich-Versicherungsgruppe und dem Industrie-Konsortium teilen.

Doch entgegen den Voraussagen von Bankern und Anlageexperten, von Versicherungsbossen und Konzernjuristen konnte Gerling trotz millionenschwerer Forderungen seinen Anteil von 49 Prozent halten und seinen Einfluß zumindest behaupten. »Wir standen viele Monate lang Gewehr bei Fuß«, erinnerte er sich unlängst, »dann kam ein Kompromiß zustande, mit dem keiner zufrieden sein kann und der deshalb ein guter Kompromiß ist.«

Gut vor allem für Gerling. Nachdem der Herstatt-Hauptaktionär sich im Dezember 1974 in letzter Minute widerwillig verpflichtet hatte, den Herstatt-Gläubigern 200 Millionen Mark zu zahlen, räumten ihm seine neuen Teilhaber etliche Sonderrechte ein. Folge: Wider Erwarten blieb der Konzernherr flüssig und konnte sogar die Rolle des Hauptaktionärs auf Dauer für sich reservieren.

Genau dieses Privileg hatte die Zürich-Gruppe ihm streitig machen wollen, als sie Anfang 1975 in Gerlings Protz-Palast einzog, der mit einer Vielzahl vergoldeter G die passende Kulisse für den ebenso aufwendigen wie skurrilen Personenkult des Versicherungsunternehmers abgegeben hatte.

Die Aussichten schienen günstig: Die Industriefirmen, die gemeinsam mit der Zürich Gerling in die Lage versetzen sollten, die Folgen der Herstatt-Pleite zu bewältigen, ließen sich nur ungern von den Gerling-Freunden Otto Wolff von Amerongen und Rudolf August Oetker überreden, Gerling einen Konzernanteil abzukaufen.

Aus der Unlust der Industriellen hofften die Schweizer, Gerling-Kapital zu schlagen: Schon bald, so ihr Kalkül. würden die neuen Teilhaber ihre Anteile abstoßen und, dank des Vorkaufsrechts der Schweizer, der Zürich-Gruppe allmählich zu Mehrheit und Macht im Hause Gerling verhelfen.

Den Durchbruch sollte die von Anfang an geplante Kapitalerhöhung der Gerling-Konzern-Holding bringen. Die Schweizer vermuteten, daß etliche Mitglieder des Industriekonsortiums nicht mitziehen, sondern lieber ihren Anteil verkaufen würden. Und weil Gerling wegen der Herstatt-Folgen auf Jahre knapp bei Kasse zu sein versprach, mußte nach dem Konzept der Zürich-Manager die bei einer Kapitalaufstockung fällige Bareinzahlung die Finanzkraft des früheren Alleinherrschers überfordern und ihn zum kleinlauten Abtreten von Anteilen nötigen.

Doch schon bei den Industriellen ging der Plan nicht auf. Denn mit der Zeit fanden die Konsorten Gefallen an ihren Gerling-Aktien. Weil sie durch ihre Teilhaberschaft die Geschäftspolitik des größten westdeutschen Industrieversicherers mitbestimmen konnten, mochten sie sich von den zunächst nur zögernd übernommenen Papieren nun nicht mehr trennen.

Als dann Anfang Juli Gerling-Vorstand Heinz Reichmann den Industriellen beste Gewinn- und Renditechancen für die nächsten fünf Jahre verhieß, beschlossen die Konsorten einstimmig. mindestens bis 1981 ihr Gerling-Paket sorgsam aufzubewahren.

Zuvor schon hatte Rolf Gamper, von der Zürich zu Gerling entsandter Topmanager, die Industriellen durch allzu forsches Auftreten verstimmt. Der Schweizer Gerling-Beauftragte, so ihr Vorwurf, verkaufe in der Presse sich und seine Firma als die Sanierer des Kölner Versicherungskonzerns.

Mißmutig registrierten die industriellen Gerling-Aktionäre, daß Gamper entgegen den Sitten des Gewerbes monatelang neben seinem Kölner Job auch den Posten eines Generaldirektors in Zürich besetzte. »Eine Interessenkollision«, meinte ein Industriekonsorte. »ist dadurch fast zwangsläufig.«

Dem listigen Souverän Gerling kam das gestörte Verhältnis seiner beiden neuen Partner gerade recht. Er brauchte nicht länger zu befürchten, daß Industrie und Zürich-Gruppe sich verbünden und ihn mit ihrem Paket von insgesamt 51 Prozent majorisieren würden.

Auch an Geld fehlte es nun nicht länger. In einer Vielzahl von harten Konferenzen und zähen Gesprächen hatte Gerling die Modalitäten des Verkaufs zu seinen Gunsten gewendet. Bewaffnet mit einem juristischen Gutachten, überzeugte er seine Partner davon, daß die von seiner »Rheinischen Gruppe« gehaltenen Anteile an in- und ausländischen Gerling-Firmen von der neuen Firmen-Holding für 103 Millionen Mark zu erwerben seien. Als Gegenleistung mußte er lediglich akzeptieren, daß seine persönlichen Schulden an den Konzern in Höhe von 73 Millionen Mark gegengerechnet wurden.

Weitere 16 Millionen gingen letzte Woche als Restzahlung der Zürich und der Industrie-Konsorten für ihre Gerling-Schachteln ein.

Eine bislang geheimgehaltene Transaktion verschafft Gerling einen weiteren Millionenbatzen. Der Versicherungskonzern erwirbt für 26,7 Millionen Mark ein riesiges Areal in Rodenkirchen, einer bevorzugten Wohngegend im Süden Kölns, das bislang als Gerlings Privatbesitz eingetragen war.

Das Grundstück hatte eigentlich als Erbschaftsteuer-Reserve dienen sollen: Nach dem Tod des Familienoberhauptes sollten die Kinder ihre Steuerschulden durch den Verkauf des Areals begleichen können.

Doch auch für die Rentierlichkeit zu Lebzeiten hatte Gerling vorgesorgt. Er schloß schon vor Jahren mit seinem Konzern einen Vertrag ab, der die Firma zwingt, ihm einen Erbpachtzins von einer Million Mark im Jahr zu zahlen -unabhängig davon, ob sie das Gelände nutzen oder nicht.

Schon um diese mit einer Preisgleitklausel an die Geldentwertung gekoppelte Verpflichtung loszuwerden, willigten Zürich und Industriekonsorten schließlich ein, das Gelände zu kaufen, obgleich Kölns Baubehörde bereits den Bau von Hochhäusern untersagte. »Die jahrzehntelange Erbpacht«, rechnete schließlich Aufsichtsrat Wolff von Amerongen vor, »wäre teurer geworden.«

Als Gegenleistung verlangten die Partner ein vergleichsweise geringes Entgegenkommen: Gerling kauft dem Konzern für 4,5 Millionen Mark einige Grundstücke ab, die seine Prunkvilla umgeben und schon bisher von ihm genutzt wurden.

Trotz dieses Gegengeschäftes bleiben Gerling allein aus dieser Transaktion 22,2 Millionen bares Geld. Weitere Millionen kassierte er aus dem Verkauf seiner Global Bank (Bilanzvolumen Mitte 1976: gut 520 Millionen Mark) an den Versicherungs-Konzern, der inzwischen 66,7 Prozent des Kapitals des nach der Herstatt-Pleite schwer angeschlagenen Instituts hält.

Auch dieses Geschäft ist vor allem für Gerling attraktiv. Der neue Mehrheitsaktionär nämlich ist an dem von Gerlings Schwiegersohn Lutz Ristow geführten Institut nicht interessiert: »Wir verhandeln bereits mit zwei sehr interessierten inländischen Banken«, gesteht Heinz Reichmaun, Vertrauensmann des Industriekonsortiums im Vorstand des Gerling Konzerns.

Das letzte Drittel schließlich erwarb »im Auftrage eines deutschen Interessenten« (Gerling) die schweizerische Crédit Industriel 5. A. in Genf, eine Tochtergesellschaft der Schweizerischen Bankgesellschaft. Allein dieses Paket brachte mindestens zehn Millionen Mark.

Dem Auflaufen der Einnahmen stehen derzeit abnehmende Verpflichtungen gegenüber. Nach Meinung des Herstatt-Vergleichverwalters wird Gerling nach dem neuesten Stand der Ermittlungen einen zweistelligen Millionenbetrag weniger in die Herstatt-Masse einzahlen müssen als bislang angenommen. Statt der mit den Gläubigern vereinbarten Schuld von 200 Millionen Mark -- von denen 100 bereits überwiesen wurden -, könnten am Ende nur 180 Millionen fällig werden.

Sogar die Termine verschoben sich zu Gerlings Gunsten. Wegen der komplizierten Herstatt-Aufräumungsarbeiten wurde der Termin für die zweite Rate von 50 Millionen vom 30. Juni 1976 auf den Oktober verschoben.

Bei soviel Entgegenkommen von Partnern und Gläubigern mochte auch der Staat nicht zurückstehen. Nordrhein-Westfalens Finanzminister Friedrich Halstenberg, SPD, billigte Mitte Juni den Antrag des Versicherungsunternehmens, die bei der Umwandlung des verschachtelten Konzerns eigentlich fälligen Ertragsteuern zu erlassen.

Dank dieser großmütigen Geste können die in einigen Dutzend Gerling-Firmen vor der Herstatt-Pleite angesammelten stillen Reserven aufgelöst und auf die neue Konzern-Holding übertragen werden, ohne daß irgendein Finanzamt intervenieren könnte. Allein dieses Entgegenkommen kostet die Staatskasse 35 Millionen Mark.

Grund genug für Gerling. mit sich und der Welt zufrieden zu sein. Wohlausgestattet mit einem Beratervertrag, der »wesentlich weniger als eine Million« (Gerling) einbringt, fährt er gelegentlich in die für ihn reservierte Büroflucht des Konzerns: Nach seinem Ausscheiden aus dem Vorstand wurde das ganz nach Feldherrenart gebaute und ausgestattete Chefzimmer als Arbeitsraum für den stellvertretenden Aufsichtsrats-Vorsitzenden Hans Gerling reserviert.

Auch um die engsten Familienangehörigen muß er sich nicht sorgen. Sohn Rolf, 21, Student der Nationalökonomie und Fahrer eines etwa 40 000 Mark teuren BMW-Coupés, dient für ansehnliche Bezüge als Vorstandsmitglied der Gerling Rheinische Versicherungsgruppe« einer Firma, die das Gerling-Vermögen verwaltet.

Kenner der Familie halten gar für denkbar, daß der eigenwillige Clan-Chef allmählich an ein Comeback im Konzern denkt. Duzfreund Wolff von Amerongen beobachtete: »Schon jetzt ist Gerling wieder ganz hübsch im Kommen.«

Das leugnet auch Gerling nicht. Zwar beteuert er unablässig. er sei keinesfalls daran interessiert, einzelnen Mitgliedern des Industriekonsortiums Anteile abzukaufen, um die absolute Herrschaft im Konzern zurückzuerobern. Doch seine Zukunftspläne hält er strikt geheim: »Ein Versicherungskaufmann«, das gibt er immerhin zu, »muß langfristig denken und planen.«

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