»Ich kann nur sagen: Inschalla«
SPIEGEL: Herr Professor Schiller, Ihr Arbeitgeber, die saudiarabische Regierung, hat den Ölpreis, anders als die anderen Opec-Länder, lediglich um fünf Prozent erhöht. Ebenso wie westliche Konjunkturexperten befürchten die Saudis, daß der Aufschwung in den westlichen Industrieländern allzu schwächlich ist und vielleicht bald zusammenbricht. Was hält der Ratgeber aus der Wüste von diesen düsteren Vorhersagen?
SCHILLER: Zunächst einmal: Der Westen sollte es würdigen, daß Saudi-Arabien in seiner Ölpreispolitik Verantwortung gezeigt hat und -- das konnte ich in Riad beobachten -- die Zerbrechlichkeit der Konjunkturbewegung in Westeuropa und den USA sehr genau bedacht hat.
SPIEGEL: Beurteilen Sie den Aufschwung ähnlich vorsichtig?
SCHILLER: Sicherlich hat der Aufschwung nicht mehr die Stärke, die Vehemenz der ersten Monate des letzten Jahres. Aber am Ende wird doch noch eine gemäßigte Aufwärtsentwicklung herauskommen, bei der allerdings einige Länder hinterherhinken werden und andere Länder unter Druck geraten.
SPIEGEL: Unter welchen Druck?
SCHILLER. Ich habe den Eindruck, daß sich in der nächsten Zeit der Druck auf die konjunkturpolitisch führenden drei Länder -- USA, Japan und Bundesrepublik -- verstärken wird, ihre Konjunktur anzukurbeln, um durch erhöhte Importe den schwächeren Volkswirtschaften beizustehen.
SPIEGEL: Bundeskanzler Schmidt neigt zu der Meinung, daß die EG-Partnerländer, allen voran Großbritannien und Italien, 1977 in eine gefährliche Krise geraten könnten, die am Ende auf Westdeutschland übergreifen und den Aufschwung jählings beenden würde.
SCHILLER: Die Probleme der von Ihnen genannten Länder belasten ohne Zweifel auch die Bundesrepublik. Wir stehen nun einmal im gesamteuropäischen Konjunkturzusammenhang und haben außerdem eine deutliche Exportorientierung. Deshalb müssen wir wohl mit diesen Schwierigkeiten rechnen. Auf der anderen Seite erwirtschaften die USA, Japan und die Bundesrepublik mehr als 63 Prozent des addierten Bruttosozialprodukts aller OECD-Länder*. Diese drei Länder stellen also eine Masse dar, die im Ernstfall schon etwas ausrichten kann.
* Der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehören die 24 wichtigsten westlichen Industriestaaten an.
SPIEGEL: Gibt es für Sie eine Art Krisenskala für die westeuropäischen Länder? Wo ist nach Ihrer Ansicht die Situation am schwierigsten?
SCHILLER: Ich scheue mich, solche Urteile abzugeben. Aber es ist wohl nicht zu verhehlen, daß England und Italien am ärgsten betroffen sind.
SPIEGEL: Wären Sie lieber Wirtschaftsminister in Italien oder in England?
SCHILLER: Das würde mir in beiden Ländern Spaß machen. Aber ernsthaft: Das ist doch vermessen.
SPIEGEL: Wo wäre die Aufgabe leichter?
SCHILLER: Politisch ist es sicherlich in England einfacher, weil die englische Gesellschaft, die englische Demokratie sich selbst unter diesen Umständen als sehr stabil erweist. Ökonomisch dagegen sind die Probleme in Italien vermutlich etwas leichter zu lösen. Nach dem Kriege haben unsere südlichen Nachbarn eine moderne Industrie angesiedelt und die Marshall-Plan-Gelder der Amerikaner wirkungsvoll eingesetzt. Vielleicht würde mich Italien mehr reizen.
SPIEGEL: Sie sprachen davon, daß die Bundesrepublik gezwungen werden könnte, ihre Konjunktur anzukurbeln. Was könnte Bonn tun?
SCHILLER: Ankurbeln ist vielleicht etwas stark gesagt. Ich verstehe durchaus das Dilemma unserer Regierung: Man will nicht nach Keynesianischen Rezepten die Nachfrage kurzfristig erweitern, weil man befürchtet, daß die im Verhältnis zu früheren Zeiten noch immer zu beachtenden Inflationsraten wieder nach oben gehen würden. Deshalb halte ich jene Überlegungen für richtig, die über eine Stärkung der Angebotsseite für weiteres Wachstum sorgen wollen.
SPIEGEL: Was meinen Sie damit?
SCHILLER: Zum Beispiel steuerliche Erleichterungen für Investitionen. Die Investitionstätigkeit und damit auch das spätere Angebot an Arbeitsplätzen sollte gezielt gefördert werden.
SPIEGEL: Investitionen der jüngsten Zeit sind aber doch ganz überwiegend für Rationalisierungen eingesetzt worden, haben also zur Vernichtung von Arbeitsplätzen geführt.
SCHILLER: Partiell gesehen stimmt es. Aber gesamtwirtschaftlich sind die Investitionen noch immer die Brücke, über die das Wachstum geht.
SPIEGEL: Halten Sie es für denkbar, daß die Wachstumsphase der deutschen Wirtschaft endgültig abgelaufen ist, daß vielleicht Märkte gesättigt sind und daß die Vorstellung eines stets wachsenden Wohlstands allmählich unglaubwürdig wird?
SCHILLER: Daran glaube ich nicht. Ich glaube nicht, daß die Verlangsamung des Wachstums eine Folge der Sättigung des Bedarfs ist. Unsere Bedürfnisse sind grundsätzlich unendlich.
SPIEGEL: Theoretisch.
SCHILLER: Ja. Aber auch in unserer Wohlstandsgesellschaft gibt es durchaus noch Bereiche, in denen der Grundbedarf nicht hinreichend befriedigt ist. Diese Probleme liegen woanders: Zum Beispiel sind seit 1973 die Wechselkurse flexibel, das heißt realistisch. Bis zu jener Zeit wurden die Exporte künstlich durch eine unterbewertete Mark gefördert. Und diese Fehlentwicklung wird seitdem korrigiert. Wir sind überhaupt in einer Phase der Anpassung an veränderte Bedingungen, die sicherlich länger dauert, als wir zunächst gemeint haben.
SPIEGEL: ... und die seit 1973 durch die Ölpreiserhöhungen unter anderem auch Ihrer Arbeitgeber sicherlich nicht erleichtert wurde.
SCHILLER: Die Saudis sind dabei seit geraumer Zeit die vorsichtigsten gewesen. Sie haben versucht, auf ihrz Kollegen in der Opec mäßigend einzuwirken.
SPIEGEL: Aber zugleich wollen sie ihre moderate Haltung auf der Opec-Konferenz im Dezember honoriert haben, unter anderem durch eine Friedenslösung im Nahen Osten.
SCHILLER: Ölpreispolitik ist jetzt zugleich Außenpolitik. Ich meine, daß Herr Minister Jamani den Sachverhalt unlängst in dem Interview, das Sie mit ihm führten, deutlich gemacht hat: Es gibt zwar kein unmittelbares Junktim zwischen Ölpreisen und Nahost-Problemen, aber es ist wohl nicht unbillig, wenn die maßvollen Regierungen der arabischen Welt auf die günstigen Umstände hinweisen, die gegenwärtig für eine Friedensregelung im Nahen Osten bestehen. In diesen Zusammenhang gehört auch die Preispolitik.
SPIEGEL: Sie werden Ende Januar Ihren Auftraggebern Ihr Gutachten, Ihre Empfehlungen übergeben. Was werden Sie den Saudis empfehlen?
SCHILLER: Was meine Möglichkeiten, den Bericht termingemäß zu überreichen, betrifft, so kann ich nur sagen: Inschallah. Was die Details betrifft: Sie werden sicherlich verstehen, daß ich mich dazu nicht äußern kann.
SPIEGEL: Ihr Beratervertrag läuft bald aus. Was werden Sie danach tun?
SCHILLER: Auch danach wird es vermutlich Gespräche geben, Verhandlungen, die in Empfehlungen umgesetzt werden können.
SPIEGEL: Machen Sie sich Hoffnungen darauf, danach der Bundesregierung mit Rat zur Verfügung zu stehen?
SCHILLER: Wenn ein Mann wie ich, der dieses und jenes gemacht hat, in der Wissenschaft und in der Politik, sich nun in einer solchen Situation befindet, dann ergibt es sich wohl hin und wieder, daß sein Rat gewünscht wird. Warum nicht? Das ist doch ganz natürlich.