AUTOINDUSTRIE Ideen mitgenommen
Wo immer sich VW-Chef Toni Schmücker in den letzten Wochen aufhielt -- stets wurden ihm schlechte Nachrichten serviert. Hatten schon herbe Klagen und bittere Kommentare der amerikanischen Volkswagenhändler ihm seine Rundreise durch die USA vergällt, so mußten die Spitzenverkäufer des Konzerns Anfang letzter Woche dem Chef nach den Rückschlägen im Export nun auch Schlappen in der Heimat beichten.
Denn Deutschlands größter Autokonzern schnitt im Miniboom des Frühjahres schlecht ab. Trotz ansehnlicher Erfolge mit Golf und Audi 50 schafften die Wolfsburger weniger als 30 Prozent Marktanteil -- nach 31,1 Prozent in den ersten vier Monaten des Vorjahres bleiben diesmal nur noch 28,2 Prozent für VW und Audi übrig.
Für Ford, den Sieger der Saison, ist das Einknicken des Marktführers auf dem zur Zeit so hart wie nie umkämpften deutschen Automarkt denn auch »eine sensationelle Entwicklung« (Ford-Vorstand Hans-Wilhelm Gäb).
Hart wie selten zuvor hatten die Kölner, noch vor einem Jahr eine abgewirtschaftete Autofirma mit nur schwer verkäuflichen Modellen, die Konkurrenz angegriffen. Und zum Erstaunen der Branche gelang es Ford-Chef Robert A. Lutz, bis Mitte 1974 Verkaufsvorstand bei BMW, verlorenes Terrain zurückzuerobern.
Während noch BMW-Chef Eberhard von Kuenheim sich über seinen früheren Spitzenmann mokierte »was ist schon dabei. wenn hier einer weggeht und ein paar gute Ideen mitnimmt« -- zwang Lutz die Konkurrenz in die Defensive: Opel und VW zogen nach, als die Kölner ihre Autos schon in der Grundversion mit den wichtigsten Extras ausstatteten. Passen mußte die Konkurrenz. als Lutz eine stille Übereinkunft der deutschen Hersteller brach und die Neuwagengarantie von einem halben auf ein Jahr verlängerte.
Prompt ging es bei Ford aufwärts. Der im Vorjahr auf 8,9 Prozent geschrumpfte Marktanteil stieg auf 12,7 Prozent und erreichte im Mai gar Rekordhöhe. »Wir rechnen mit 17,5 bis 18,2 Prozent für diesen Monat« (Gäb).
Damit hätten die Kölner zu den Rüsselsheimer Opel-Werken aufgeschlossen, die in den ersten vier Monaten nur noch einen Marktanteil von 17,1 Prozent erreichten. Der General-Motors-Ableger, der zeitweise sogar schon VW überholt hatte, verliert -- von Fords Escort und den VW-Neuerscheinungen bedrängt -- in der kleinen Klasse mit seinem Kadett. Um die Erosion zu stoppen, trumpfte Opel in der vergangenen Woche mit einem Gegenzug auf, den sich die deutsche Autoindustrie bislang nie leistete.
Der Preis des billigsten Kadett wurde von 8815 auf 8695 Mark gesenkt. zugleich die Grundausstattung deutlich verbessert. Von der Preissenkung und gleichzeitiger Neueinführung einer Version mit großer Heckklappe (City-Kadett, Preis: 8795 Mark) glaubt Opel-Chef John McCormack »unserem Ziel. wieder die Nummer eins zu werden. näher gekommen« zu sein.
Mit dem Preisabschlag nimmt Opel über die Hälfte der letzten, erst knapp drei Monate alten Preiserhöhung von 7,5 Prozent zurück, die der Opel-Betriebsrat schon damals als .. unverantwortliche Preispolitik« abgetan hatte.
Die Konkurrenz gibt sich nach Opels Rabatt betont gelassen. »Daß ein Gegenschlag kommen würde, wußten wir«, rühmt Fords Gäb, »aber wir sind immer noch 100 Mark besser (Escort-Preis 8595 Mark) und liegen mit der doppelten Garantie weiter in Front.«
Weiter in Front -- freilich nur in der kleinen Klasse -- fahren auch die Wolfsburger. Denn mit 63 552 Neuzulassungen in den ersten vier Monaten 1975 hängt der Golf die Konkurrenten Kadett (48 573) und Escort (27 682) ab. Doch während Opel und Ford je zwei Modellreihen der teureren Wagenklassen ins Geschäft schicken, bietet der VW-Konzern oben herum nur noch den betagten Audi 100. Erst im Frühjahr 1976 wollen die Wolfsburger auch in diesem Markt wieder aufholen -- mit dem noch von Schmücker-Vorgänger Leiding entwickelten C-Modell.