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UNTERNEHMEN Im Kuhstall Mäuse gemacht

Zweimal stand Logitech schon vor der Pleite. Nun trotzt die Firma mit ihren PC-Mäusen wie kaum eine andere der weltweiten Flaute in der Computerbranche.
Von Klaus-Peter Kerbusk
aus DER SPIEGEL 25/2003

Das Dörfchen Romanel-sur-Morges in der Nähe von Lausanne zählt nicht einmal 500 Einwohner. Mit dem Auto benötigt man kaum zwei Minuten vom einen Ende zum anderen. Kein Hinweisschild, kein Firmenzeichen deutet den Weg zu dem beschaulichen Gewerbegebiet am Dorfrand. Und erst recht weist nichts darauf hin, dass dort in einem schmucklosen Zweckbau eine der erfolgreichsten Hightech-Schmieden der Welt residiert.

Doch hier, in der Abgeschiedenheit der französischen Schweiz, werden jene Geräte entwickelt, die heute die meisten Bewohner der westlichen Welt fast täglich in Händen halten: Computermäuse. Und die früher meist anonymen, in schlichtem Grau gehaltenen PC-Helfer haben längst einen Markennamen - und der heißt immer häufiger Logitech.

Rund 40 Prozent aller in Deutschland verkauften Computermäuse tragen inzwischen das Logitech-Etikett. Weltweit kommen die Tüftler aus Romanel bereits auf etwa 35 Prozent Marktanteil und liegen damit gleichauf mit dem Erzrivalen Microsoft - der Rest rollt unter »ferner liefen«.

Fast 500 Millionen Mäuse hat die Firma bislang produziert - mehr als jeder andere Hersteller der Welt. Und während die meisten Firmen der Computerbranche seit Jahren über stagnierende Umsätze und einbrechende Gewinne klagen, legt das aufstrebende Unternehmen dem staunenden Börsenpublikum eine Rekordbilanz nach der anderen vor.

Allein in den vergangenen vier Geschäftsjahren stieg der Umsatz um 85 Prozent auf zuletzt 1,1 Milliarden Dollar. Der Nettogewinn schoss gar um 230 Prozent von 30 Millionen auf fast 100 Millionen Dollar hoch.

Zumindest an der Börse hat Logitech-Gründer Daniel Borel, der es als Jugendlicher dreimal bis zur Teilnahme an den Weltmeisterschaften im Wasserski schaffte, den großen Konkurrenten Microsoft schon überholt. In den vergangenen drei Jahren entwickelte sich die Aktie seines Unternehmens deutlich besser als die von Microsoft.

Längst produziert Logitech mehr als nur schlichte Mäuse, die per Kabel mit dem PC verbunden sind. Ob Funk-Mäuse oder schnurlose Tastaturen, Joysticks oder Web-Kameras - Borel sieht rund um den Computer lauter Wachstumsmärkte, die inzwischen rund 50 Prozent zum Firmenumsatz beisteuern.

Schon träumt der 53-Jährige davon, dass die PC-Nutzer seine Firma eines Tages in einem Atemzug mit den Riesen der Branche nennen: »Intel inside - Logitech outside, das möchte ich noch erleben.«

Der Glaube an Visionen hat dem Schweizer schon einmal geholfen. Denn 1981, als Borel zusammen mit zwei italienischen Freunden eine Software-Firma namens Logitech gründete, war die Maus für den PC so gut wie unbekannt. Zwar war das Gerät schon 1964 von US-Ingenieur Doug Engelbart erfunden worden - doch kaum jemand hatte Verwendung dafür.

Bobo, wie Borel in der Firma und von Freunden genannt wird, war aber nach einem Stipendium an der amerikanischen Elite-Universität Stanford überzeugt, dass die Maus die Arbeit am PC revolutionieren könnte. Mit Hilfe von Ingenieuren aus Lausanne entwickelte er schließlich eine Maus, die den Cursor-Pfeil auf dem Bildschirm völlig frei beweglich machte.

P4 hieß die klobige Halbkugel mit drei Knöpfen. Sie kostete mehr als 300 Dollar - und war ein Flop, der die Firma in ihre erste existenzbedrohende Krise stürzte.

Erst 1984, als große PC-Hersteller wie Hewlett-Packard, Apple und IBM erstmals Interesse für das neuartige Eingabegerät zeigten, kam das Maus-Geschäft in Schwung. In einem umgebauten Kuhstall zog Borel die erste Produktionslinie hoch, die Umsätze schwollen an.

Doch dann fielen die Preise plötzlich genauso schnell, wie die Nachfrage nach Mäusen stieg. 1994 stand die Firma zum zweiten Mal vor der Pleite. »Wir waren zu verliebt in die Technik und haben die Betriebswirtschaft vernachlässigt«, weiß Borel heute.

Er zog einen harten Schnitt, verlagerte die Produktion komplett nach Fernost, etablierte eine starke Marketing- und Verkaufsabteilung in den USA und versuchte, die Abhängigkeit von den Industriekunden zu reduzieren. Das Ziel hat Logitech inzwischen weitgehend erreicht. Rund 85 Prozent der Umsätze werden im Einzelhandel erzielt - mit deutlich besseren Gewinnmargen.

Gleichzeitig begann er nach einem Nachfolger zu suchen, »um der Gefahr der Betriebsblindheit zu entgehen«. In dem Italiener Guerrino De Luca fand Borel 1998 den »richtigen Mann für meine Tochter«. Ausschlaggebend für die Wahl des früheren Apple-Managers war ein ungewöhnliches Kriterium: »Guerrino«, sagt Borel, »hat Erfahrung mit Misserfolgen.«

Denn eines hat der Schweizer in den vergangenen 20 Jahren gelernt: »In jeder Erfolgsstory gibt es Brüche. Und dann ist es gut, wenn man mit Rückschlägen umzugehen weiß.« KLAUS-PETER KERBUSK

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