INVESTOREN Im Orden der Alchemisten
An den 14. November 2003 erinnert sich Peter Löw sichtlich gern. Baroness Margaret Thatcher war an diesem Tag nicht so richtig in Form. Die ehemalige Premierministerin Großbritanniens konnte der Zeremonie in der Londoner Westminster-Kathedrale nur mit Mühe folgen. »Sie musste sich setzen, ich stand direkt neben ihr«, erzählt Firmenjäger Löw, der seither mit Thatcher eines gemein hat: Er trägt den Konstantinischen St.-Georgs-Orden, verliehen vom eigens angereisten Vatikangeistlichen für seine Arbeit in einem Londoner Sozialprojekt.
Solche Tage sind genau nach dem Geschmack des katholischen Karrieristen. Wie ein Getriebener will es Löw mit Vollgas und Gottes Segen auf jedem Gebiet nach ganz oben schaffen. »Als ich 18 Jahre alt war, hatte ich drei Ziele: Millionär, Bundeswehr-Hauptmann und Doktortitel«, sagt er und meint es ernst.
29 Jahre später besitzt Löw viele Millionen, den Rang eines Oberstleutnants, zwei Doktortitel, viele sehr teure Häuser, viele sehr teure Autos, viele Orden, fünf Kinder, einen Tauchschein - sowie die Aufmerksamkeit der deutschen Hochfinanz.
Vor etwas mehr als einem Jahr verkaufte er für 100 Millionen Euro seine Anteile an der Beteiligungsgesellschaft Arques, die er zu einem Börsenstar aufgebaut hatte - und deren Kurs wenige Monate nach seinem Ausstieg spektakulär abstürzte. Seither schauen viele verwundert Richtung Starnberg, wo Löw in seinem Palais Sonnenhof residiert - und gern mal die mit einem Löwen bedruckte Hausfahne hisst.
Wie bastelte Löw aus einem wertlosen Börsenmantel und einem Sammelsurium von Pleitefirmen eine Beteiligungsgesellschaft, die in der Spitze fast eine Milliarde Euro wert war? Machten bloß Buchungstricks Arques scheinbar fett und seine Gründer tatsächlich reich? Wer ist der Mensch, der zwischen Klosteraufenthalt und Jakobsweg-Begehung vier Tonnen Gold kaufte? Und kann der Milliardenfonds Bluo, mit dem Löw künftig kränkelnde Konzerntöchter schlucken will, funktionieren?
Sein Aufstieg begann vor 17 Jahren an einer Pariser Managerschmiede. Die Unternehmensberatung McKinsey stellte ihn frisch vom Hörsaal ein. Und Löw lieferte - wie fast immer in seinen Erzählungen - gleich ein »granatenmäßig erfolgreiches« Projekt ab.
Seine neuen Chefs hatten ihn in die Schweizer Marketingzentrale des österreichischen Glasklunkerimperiums Swarovski geschickt, um der flauen Umsatzstatistik neuen Glanz zu verleihen. Löw brachte den dortigen Manager »schon nach zwei Stunden aus der Ruhe« und verlor danach »den Respekt vor Vorständen«. Er flog einmal um den Globus, sorgte in Japan und den USA für Ordnung, danach waren die Österreicher wieder dick im Geschäft - und Löw dem Größenwahn nahe.
Möglichst schnell Unternehmer werden, hieß nun das Ziel. Zusammen mit Studienfreund Martin Vorderwülbecke suchte Berater Löw nebenbei nach einem Übernahmekandidaten. Fündig wurden die beiden in der ostwestfälischen Provinz.
Mit Hilfe der örtlichen Sparkasse kauften sie für sieben Millionen Mark einen leidlich rentablen Büromaschinenhändler. Das alte Management sollte im Dienst bleiben. Mit den Gewinnen wollte das Duo die Schulden zurückzahlen, neue Firmen kaufen »und schnell reich werden«.
Doch diesmal ging der Plan »granatenmäßig in die Hosen«, erzählt Löw. Die alten Manager wirtschafteten systematisch in die eigenen Taschen. Nach deren Rausschmiss musste Löw sich entscheiden: bei McKinsey kündigen und selber ans Steuer oder bankrott gehen.
Löw sanierte und modernisierte. Schließlich fand er einen Investor, der ihm die »Schnarchbude« (Löw) für acht Millionen Mark abnahm. Der Jungunternehmer war um seine erste Million und zwei Lehren reicher: eine Firmenübernahme nie mit Bankschulden finanzieren und das alte Management immer rausschmeißen.
Die harte Hand fällt Löw leicht. Selbst während des Studiums meldete er sich einmal pro Jahr zu den Fallschirmjägern. »Die Auslegung meiner Geschäfte ist sehr militärisch geprägt«, sagt der Jurist, der auch in Geschichte promovierte. Titel der Dissertation: »Der preußische Unteroffizier im absolutistischen Heer«.
Seit seinem Abenteuer in Ostwestfalen bläst Löw allerdings nur noch zum Angriff, wenn die Firma am Boden liegt und nichts kostet. 1995 gründete er mit Vorderwülbecke die Beteiligungsgesellschaft Certina und sammelte marode Familienunternehmen ein. Den Schrott für eine Mark kaufen, sanieren und dann beim Weiterverkauf vergolden, lautete von nun das Konzept im Orden von Löws Alchemisten. Da wurde schon mal die halbe Belegschaft entlassen, der Vertrieb neu aufgebaut, oder die Arbeitsplätze wurden von abgehobenen Ingenieuren zur Erdung direkt in die Produktionshalle verlegt.
Doch das lukrative Geschäft mit den klammen Kleinstklitschen ödete ihn bald an. »Löw ist wie ein kleiner Junge, der eine Eisenbahn geschenkt kriegt«, erinnert sich ein Geschäftspartner. Sobald die Sache laufe, langweile er sich.
Also musste jetzt eine größere Bahn her. Löw wollte ein »börsennotiertes Vehikel, um von der Industrie als akzeptabler Partner anerkannt zu werden«, sagt er. Nur so konnte er stattliche Sanierungsfälle zu Schnäppchenpreisen übernehmen.
Er erwarb den Börsenmantel der Pleite-Heilquelle Bad Salzschlierf, benannte ihn in Arques um - und steuerte fortan aus einer Starnberger Villa heraus eine vermeintliche Gelddruckmaschine. Reihenweise kaufte er für wenig Geld hoffnungslose Fälle wie etwa den Kinderwagenhersteller Teutonia ein, sanierte sie mit seiner sagenumwobenen Eingreiftruppe und verkaufte sie.
Der Arques-Kurs explodierte, kräftig unterstützt von mitbezahlten Jubelstudien der HypoVereinsbank. Im Erfolgsrausch dichtete Löw sogar: »Arques lässt ihr blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte; / Süße, wohlbekannte Düfte / Streifen ahnungsvoll das Land«.
Insider streifte jedoch schon damals die Ahnung, dass Löws Renditepoesie auch auf virtuos ausgereizten Buchungsregeln basierte. Der symbolische Kaufpreis von einem Euro für Firmen, deren Maschinen und Immobilien deutlich mehr Wert hatten, ermöglichte ihm jedes Mal, die Differenz sofort als Ertrag zu verbuchen - ohne eine einzige Sanierungsanstrengung.
Seine Entzauberung nahm 2006 ihren Lauf. Löws Projekt, aus maroden Druckereien einen Branchengiganten namens Arquana zu bauen, kriselte. Hektisch reduzierte der Arques-Chef den Anteil an der börsennotierten Arquana auf unter 50 Prozent. Danach zauberten die Buchhalter künstliche Geldquellen herbei. Von einer Arques-Tochter im Steuerparadies Malta kaufte Arquana Schulden mit einem Millionenrabatt zurück und verbuchte die Differenz sofort als Ertrag.
Die Talfahrt von Arquana ging trotzdem weiter - und die Tricks auch. Im Sommer 2007 veräußerte Arques ein Aktienpaket an die britische Briefkastenfirma Printec. Die deutschen Hintermänner gaben sich nicht zu erkennen. Kurz darauf wurden alle Investitionsvorhaben bei Arquana gestoppt.
Im Dezember verkauften Arques und Printec auf einen Schlag ihre Aktien. Am 7. Januar 2008 musste Arquana Insolvenz anmelden. Alles Zufall? Oder die skrupellose Entsorgung eines Betriebsunfalls? Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht prüft nun, »ob bei den Aktienverkäufen ein Insiderverdacht vorliegt«, bestätigt eine Sprecherin.
Die Insolvenzverwalter, die inzwischen Millionen von Arques fordern, fanden eine ausgeschlachtete Hülle vor. Die Immobilien gehören israelischen Investoren, die Maschinen den Leasinggesellschaften. »Und abgesehen von zwei nichtssagenden Konzepten fehlt von einer Sanierung jede Spur«, behauptet ein Insider.
»Das Management hat unsere Vorgaben nicht umgesetzt«, rechtfertigt Löw den größten Flop seines Lebens und wirkt dabei wenig glaubwürdig. Bereits im Februar 2007 hatte er sich überraschend von Arques verabschiedet.
Während seine Nachfolger die Arquana-Trümmer beseitigten, orientierte sich Löw neu. Auf einem Segeltörn in der Ostsee lernte er einen Ex-Manager der Deutschen Bank kennen. Beim Bier im Hafen beschlossen die beiden Privatiers, in den Goldhandel einzusteigen.
»Wir haben bei der Credit Suisse eigene Tresore«, erzählt Löw stolz von seinem Besuch in den unterirdischen Lagern in Zürich, »alles gesichert mit Augenerkennung, wie bei James Bond.« Vier Tonnen lagen dort Ende 2007.
Ein Alchemist am Ziel? Löw wäre nicht Löw, wenn er nicht noch mit der ganz großen Rieseneisenbahn fahren wollte. Und so versucht er derzeit, von ein paar wenigen Großinvestoren eine Milliarde Euro für sein jüngstes Spielzeug Bluo zu sammeln. Die Hälfte hat er schon.
»Im Gegensatz zu Arques wollen wir nun Krisentöchter von Großkonzernen restrukturieren, die mehr als 100 Millionen Euro kosten«, sagt er und meint mit »wir« unter anderem seinen alten Freund Martin Vorderwülbecke, der Arques ebenfalls hastig verlassen hat.
Auch gesellschaftlich will Löw endlich oben mittanzen. Nach der Einweihung seines Wiener Stadtpalais tauchte er kürzlich beim Opernball auf. Diesmal »mit nur einem Orden, dem montenegrinischen Danilo-Orden« an der Brust, erzählt Löw. Den päpstlichen Silvesterorden für seinen Einsatz zum Wiederaufbau der Belgrader Nuntiatur ließ er zu Hause. Granatenmäßig bescheiden. BEAT BALZLI