FILMINDUSTRIE Immer kleiner
Wenn es nicht gelingt, in diesem Jahre mindestens 30 eigene Filme herzustellen, dann wird der westdeutsche Filmmarkt vollständig in die Hände ausländischer Produzenten und Verleiher übergehen.« Dr. Rudolph Vogel, Vorsitzender des Filmausschusses im Bundestag, malte den Konkurs-Teufel in Bonn deutlich genug an die Leinwand.
Im vergangenen Jahr wurden in Westdeutschland 300 ausländische Filme angeboten. 45 Prozent aller gezeigten Filme waren importiert, 45 Prozent stammten aus der alten Goebbels-Produktion und 3 Prozent aus der Ostzone. Nur 7 Prozent kamen aus der neuen deutschen Produktion.
Für 1950 sind fast 500 Auslandsfilme angedroht. Damit wird die Chance für das Einspielen neuer deutscher Filme immer kleiner.
Der Bundestags-Abgeordnete Rudolph Vogel erinnerte wehmütig daran, daß deutsche Filme vor 1939 jährlich 40 Millionen Mark Devisen einbrachten. »Heute dagegen stehen die Filmproduktionsstätten leer, weil die Produzenten nicht genügend Eigenkapital haben, um die durchschnittlich 800000 Mark Kosten für einen Spielfilm aufzubringen.« Dr. Vogel gab allein das monatliche Defizit der Ateliers Geiselgasteig mit 600000 D-Mark an.
»Die Ueberwindung der Krise in der Filmwirtschaft ist in erster Linie eine Finanzierungsfrage«, fand der Filmausschuß in Bonn heraus. Er wird der Bundesregierung vorschlagen, ein Finanzierungsinstitut auf Bundesebene zu errichten, sobald das neue Haushaltsjahr (1. April) beginnt. Als dingliche Sicherheit für die Filmkreditierung soll das viel umstrittene UFI-Vermögen herangezogen werden. Das schlummert immer noch unter alliierter Aufsicht.
Die ehemaligen »reichseigenen Mittel« der NS-Filmindustrie sind unter dem Stichwort UFI-Millionen populär geworden. Es handelt sich um runde 70 Millionen, die jetzt noch davon existieren.
Die drei Buchstaben U - F - I, vom Laien fälschlich mit UFA in einen Topf geworfen, sagen auch heute nur dem Fachmann etwas. Diese drei Buchstaben regierten einmal die großdeutsche Filmwirtschaft, die viertstärkste Industriebranche des Reiches. Die Entwicklung der UFI ist ein Paradebeispiel der legalen Monopolisierung einer Industrie im NS-Stil.
Unter ihren Fittichen schaltete Bürgermeister Dr. h. c. Max Winkler im Auftrag des Propagandaministeriums die deutsche Filmindustrie gleich. Produktionsgesellschaft um Produktionsgesellschaft, Verleih um Verleih ließen sich nach propagandistischer Vorbereitung heim in Goebbels' Film-Reich führen.
Es ging alles sehr friedlich zu. Winkler kompensierte prompt und reichlich. Gläubiger wurden mit 100 Prozent abgefunden. Sie vergalten es im Jahre später. Seine Entnazifizierung verlief glatt und unauffällig.
»Es konnte nicht nachgewiesen werden, daß die damaligen Verkaufsverhandlungen unkorrekt geführt wurden«, stand in dem Verhandlungsprotokoll. Winklers Argumente waren glatt und sachlich. Wie sein Skalp.
Ein Frontalangriff der gesteuerten Presse zwang auch Alfred Hugenberg 1937, seinen Filmkoloß, die Universum-Film-AG (UFA) auf den Altar des Vaterlandes zu legen. Heute formuliert er mit seinem Rechtsanwalt und Schwiegersohn Dr. v. Böhmer fundierte Denkschriften über seine Regreßansprüche.
Im Krieg hatte Winkler sein Ziel erreicht. Die deutsche Filmindustrie stand auf Vordermann.
Der Vordermann war die UFI: Ufa Film G. m. b. H.. Vor ihr stand ganz unauffällig die Cautio-Treuhandgesellschaft mit nur 70000 Mark Kapital und darüber schwebte unauffällig das »Büro Winkler«. Darunter lief der Milliardenapparat der Filmindustrie, komplett mit neun Produktionsfirmen UFA, Tobis, Terra, Bavaria, Wien-Film, Berlin-Film, Prag-Film, Mars-Synchronfilm und »Deutsche Zeichenfilm« mit dem Zentralistenverleih »Deutscher Film-Vertrieb (D. F. V.) bis hinunter zur reichseinheitlichen Wochenschau, dem Ufa-Ton- und dem Filmphoto-Verleih auf vollen Touren. Winklers Filmverleih war autark.
Restbestände des Mammutunternehmens sind heute die große Bavaria-Atelieranlage in Geiselgasteig, die aus UFI-Geldern neuerbauten Wiesbadener Ateliers, die Mars Filmsynchronstudios in Berlin, die UFA-Theater und die Einspielsummen der alten, noch vom D. F. V. vertriebenen Filme, Gesamtwert 70 Millionen D-Mark. Das blockierte Vermögen wird von einem mehrköpfigen Liquidationsausschuß überwacht.
Experten und Interessenten Verleiher, Produzenten und Filmjuristen pilgern jetzt nach Bonn, um das eingefrorene Kapital loszueisen. Der Ausschuß wird mit Denkschrift-Entwürfen und Statistiken überhäuft. Selbst als Torso lockt der UFI-Reichtum.
Ersten und kaum bestreitbaren Anspruch darauf erhebt der westdeutsche Bund. Ausschußvorsitzender Rudolph Vogel meldete die Bonner Ansprüche eindeutig an: »Ganz unstreitig handelt es sich dabei um Bundesvermögen.«
Er winkt den bargeldlosen Filmunternehmern mit dem Rettungsring »Die dingliche Sicherheit des UFI-Vermögens mit seinen immerhin auf 70 Millionen geschätzten Werten könnte die Grundlage einer Bundeskredithilfe für die Filmindustrie werden.«
Auch die Alliierten winkten. Sie versprachen, von den Einspielgeldern aus ehemaligen Ufi-Filmen etwa 6 Millionen DM als ersten Finanzierungsstrom in die westdeutsche Filmproduktion fließen zu lassen Gleichzeitig aber sprachen sie sich »im Sinne des Dekartellisierungsgesetzes« gegen ein einziges Finanzierungsinstitut aus.
Die Durchführungsbestimmungen für die Freigabe der Ufi-Millionen sollen einem alliierten 12-Mann-Gremium (vier Amerikaner, vier Engländer und vier Franzosen) und einer gleichstarken deutschen Kommission aus Vertretern der Bundes- und Länderregierungen und der Filmindustrie anvertraut werden.
In dem Punkte sind sich alle einig: Wer diese 70 Millionen in irgendeiner Weise für sich arbeiten lassen kann, hat alle Aussicht, Westdeutschlands Filmzar zu werden. Ganz gleichgültig, ob er ein Bundes-Filmkommissar, der Generaldirektor einer Privat-AG oder der Mehrheitsaktionär in vielen kleinen Firmen ist. In Sondersitzungen läßt sich der Bundesausschuß Lösungen des Gordischen Knotens vorentwickeln.
Deutsche Filmproduzenten weisen dabei immer wieder auf die »drohende Gefahr aus dem Ausland« hin.
»Nehmen wir nur einmal an, Arthur Rank oder irgendjemand anderes, dessen eingespielte DM-Millionen in Westdeutschland blockiert sind, klemmt sich hinter die UFI-Geschichte?« fragen die Geldknappen. »Was dann?«