Wohnungsmangel Wie kommt Deutschland aus der Immobilienkrise?

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Das Ideal.
Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn –
aber abends zum Kino hast du's nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:
Neun Zimmer – nein, doch lieber zehn!
Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,
Radio, Zentralheizung, Vakuum,
eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm.
(Kurt Tucholsky, 1927)
Um den in Deutschland grassierenden Wohnwahnsinn zu verstehen, geht man am besten als Erstes zu denen, die keine Wohnung mehr haben.
Obdachlosigkeit oder vorübergehende Wohnungslosigkeit gab es schon immer. Aber seit Kurzem sehen Helfer in diesem Bereich ein neues, größer werdendes Phänomen. In Berlin-Kreuzberg, Wrangelstraße 12, wurde die republikweit erste Notübernachtungsstelle für Familien eröffnet. Es gab dringenden Bedarf: Zunehmend registrierten die gängigen Einrichtungen mit Notfallplätzen, dass plötzlich auch Eltern mit ihren Kindern vor der Tür standen: fristlos gekündigt, zwangsgeräumt, entmietet, ohne bezahlbare Ersatzbleibe, hilflos. Bis zu zehn Familien finden dort nun vorübergehend in Mehrbettzimmern mit PVC-Boden Unterkunft und Beratung, darunter keineswegs nur Vertreter des sogenannten Prekariats.
Obdachlose Familien in Notunterkünften? Das erinnert eher an Bilder aus dem vergangenen Jahrhundert, nicht an die wohlhabendste Wirtschaftsnation Europas im Jahr 2019. Und natürlich ist das kein Massenphänomen, doch dieses Extrem ist der wohl deutlichste Hinweis darauf, dass etwas nicht mehr stimmt im Lande. Ursachen für den Wohnungsverlust von Familien mögen oft privat sein, eine teure Scheidung, Kündigung im Job, plötzliche schwere Krankheit – aber die Konsequenz verweist auf ein gesellschaftliches Problem: die katastrophale Lage auf dem Wohnungsmarkt.
Kaum noch jemand findet die passende Bleibe, schon gar nicht kurzfristig und bezahlbar. Erst recht nicht Otto Normalverbraucher und Nina Normalverdienerin. Die Rechnung ist relativ simpel: Wenn die Kosten für das Mieten und Bauen viel stärker steigen als die Nettolöhne, dann klemmt die Kasse. Schon heute gibt jeder fünfte Haushalt mehr als 40 Prozent seines Einkommens für Wohnen aus.
Laut einer Studie fehlen in Deutschland 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen. Und das auch noch überwiegend dort, wo die Menschen zunehmend hinziehen – in den großen Städten. Alle Metropolen des Landes melden stark steigende Wohnkosten, seit Jahren, im Trend ungebrochen für 2019.

Fotograf David Ertl nahm von 2004 bis 2018 für seine Bilderserie »Mensch im Raum« Verwandte, Freunde und Bekannte in ihrem privaten Umfeld auf – ein Streifzug durch deutsche Wohnmilieus. Hersteller von Holzböden dürften sich freuen.
Foto: David ErtlNiedrige Zinsen, nach Anlagen lechzendes, vagabundierendes Kapital, internationale Spekulanten und falsche Weichenstellungen in der Politik, aber auch das Anspruchsdenken in der Gesellschaft haben dafür gesorgt, dass Soziologen die Frage nach bezahlbarem Wohnraum zu einem der drängendsten sozialen Probleme dieses Jahrhunderts erhoben haben – egal ob wir bauen, kaufen oder mieten wollen.
"Wohnen ist kein Gut wie Gold, Wohnen ist ein Menschenrecht", sagt Leilani Farha, Uno-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen. Sie sieht im Neoliberalismus der Achtziger- und Neunzigerjahre eine Hauptursache für den völlig überhitzten Markt. Wohnen, so Farha, dürfe "kein Investment sein, sondern muss als soziales Gut betrachtet werden".
Wie jedoch kann man dem Problem begegnen? Experten fordern schon länger: Der Staat muss handeln, um die Wohnkrise in den Griff zu bekommen. Von mehr Regulierung bis zur Enteignung reichen die Forderungen, der Druck ist so groß, dass nichts mehr undenkbar erscheint. "Wir wollen ja nicht zurück in den Sozialismus, sondern eine vernünftige Regulierung eines Marktes, der nicht funktioniert", sagt Barbara Steenbergen, Leiterin des EU-Büros der Internationalen Mietervereinigung in Brüssel.
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