Rezessionsangst in Deutschland Firmen planen Preiserhöhungen – Inflation könnte weiter steigen

In der Lebensmittelbranche will fast jedes Unternehmen die Preise anheben: Das Ifo-Institut sieht das Risiko einer sich verschlimmernden Inflation. Und die Industrie startet schlecht ins neue Quartal.
Lebensmittel im Einkaufswagen: Preiserhöhungen angekündigt

Lebensmittel im Einkaufswagen: Preiserhöhungen angekündigt

Foto: Wolfgang Maria Weber / IMAGO

Die wirtschaftlichen Aussichten in Deutschland sehen nicht gut aus: Lebensmittel werden immer teurer, die Industrie startet schlecht ins Quartal – und die Inflation wird wohl so schnell kein Ende nehmen. Zu dem Schluss kommt das Ifo-Institut .

Einer Umfrage der Münchner Forscher zufolge wollen viele Firmen in großem Umfang ihre Preise anheben. Im August lag der Ifo-Index der Preiserwartungen mit 47,5 Punkten nur um 0,1 unter dem Juli-Wert. Das bedeutet, dass der Anteil jener Unternehmen, die die Preise erhöhen wollten, um 47,5 Prozentpunkte höher ist als der Anteil der Betriebe, die die Preise senken wollen. Besonders hoch sind die Zahlen aktuell im Einzelhandel, noch am niedrigsten im Bauhauptgewerbe.

In einzelnen Bereichen wie der Lebensmittelbranche will fast jedes Unternehmen die Preise anheben. »Ein Auslaufen der Inflationswelle ist leider nicht in Sicht«, sagte Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.

Im Gegenteil: In den kommenden Monaten rechnet er sogar mit höheren Inflationsraten: »Bislang ist von den Energieversorgern nur ein geringer Teil der kräftigen Anstiege der Börsenpreise für Strom und Erdgas an die Kunden weitergegeben worden«, sagte Wollmershäuser: »Das dürfte sich in den kommenden Monaten ändern und zu zweistelligen Inflationsraten führen. Die Verbraucher werden daher ihren Konsum einschränken, und die gesamte Wirtschaftsleistung wird in der zweiten Jahreshälfte schrumpfen.«

Ifo-Chef Clemens Fuest sieht die deutsche Wirtschaft auf eine Stagflation und im schlimmsten Fall eine Rezession zusteuern. Eine Phase stagnierender oder sogar schrumpfender Wirtschaftsleistung bei gleichzeitig hoher Inflation sei »eine sehr schlechte Nachricht«, sagte er beim Verein der Ausländischen Presse in Deutschland (VAP) in Berlin.

Es sei eine Krise des mangelnden Güterangebots, was sich besonders drastisch bei der Energie zeige, so Fuest. Doch es betreffe auch die Wertschöpfungsketten. Die Politik könne in dieser Lage viel weniger machen als bei einer Nachfrageschwäche. Sie solle in dieser Lage nicht mehr Geld ausgeben, denn steigende Staatsausgaben würden das Problem verschärfen. Gleichzeitig sollte sich die Europäische Zentralbank bei den Zinsen nicht zurückhalten. Ein starker Zinsschritt am Donnerstag wäre aus seiner Sicht angebracht.

Fuest verwies auf Prognosen, wonach Deutschland Anfang nächsten Jahres bei einem vollständigen russischen Gasstopp in die Rezession rutschen könnte: »Das halte ich für realistisch.« Mit Blick auf den Preisauftrieb sei zu befürchten, dass es im Herbst im Euroraum und in Deutschland in »Richtung zweistelliger Inflationsraten« gehen werde.

Industrie produziert weniger

Die Industrie ist derweil nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums  schwach ins dritte Quartal gestartet. Gegenüber dem Vormonat ging die Gesamtproduktion im produzierenden Gewerbe im Juli um 0,3 Prozent zurück, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte. Analysten hatten im Schnitt mit einem deutlicheren Rückgang um 0,6 Prozent gerechnet. Der Zuwachs vom Juni wurde allerdings nachträglich von 0,4 auf 0,8 Prozent angehoben.

»Die gedrosselten Gaslieferungen aus Russland und die hohe Unsicherheit durch den Krieg trüben die Aussichten für den Rest des Jahres weiter ein«, teilte das Wirtschaftsministerium weiter mit. Den Statistikern zufolge ist die Produktion nach wie vor durch die hohe Knappheit an Vorprodukten beeinträchtigt. »Gestörte Lieferketten infolge des Kriegs in der Ukraine und anhaltende Verwerfungen durch die Coronakrise führen nach wie vor zu Problemen beim Abarbeiten der Aufträge«, hieß es.

Fahrzeugindustrie betroffen

Die Industrie allein verringerte ihre Produktion im Juli um 1,0 Prozent. Das geht vor allem auf die Fahrzeugindustrie zurück, die ein Minus von 4,6 Prozent meldete. Die Maschinenbauer drosselten ihre Produktion um 1,5 Prozent, ebenso energieintensive Wirtschaftszweige wie die Chemieindustrie (-2,2 Prozent) oder der Bereich Papier und Pappe (-4,3 Prozent). Auch die Nahrungs- und Futtermittelproduzenten fuhren die Erzeugung mit minus 4,2 Prozent stark zurück. Im Baugewerbe wurde die Produktion dagegen um 1,4 Prozent gesteigert, während die Energieerzeugung um 2,8 Prozent wuchs.

Ökonomen zufolge droht die deutsche Wirtschaft im Herbst in eine Rezession abzurutschen. »Die Produktionsdaten untermauern jedenfalls unsere Befürchtung, dass die deutsche Wirtschaft im dritten Quartal schrumpfen wird«, sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel: »Dies wäre dann der Auftakt für eine kräftige konjunkturelle Wintergrippe mit keinem Garant für eine rasche Genesung.«

ptz/dpa/Reuters
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten