Warteschleife Hier kommt Hasso vom Inkasso

Wenn der Geldeintreiber im Mittelalter wegen Außenständen anklopfte, brachte er meist Hammer und Zangen mit. Auch die modernen Experten für Forderungsmanagement versetzen die Menschen in Angst und Schrecken. Als Tom König Post vom Inkasso bekommt, schwant ihm Schlimmes.
Homepage der Firma BFS Risk & Collection

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Der Internetanbieter 1&1 meint, er bekomme noch 125,58 Euro von mir, meine Kündigung per Fax sei schließlich nie eingegangen. Und mit der Mailadresse inkassoschutz@1und1.de hat das Unternehmen sehr deutlich gemacht, wer die Kohle eintreiben soll. Es sieht so aus, als ob Marcell D'Avis  die Geduld verloren hat und mir nun die die Roten Khmer des Kreditgewerbes auf den Hals hetzt, den Alptraum aller Kunden: das Inkasso.

Ich halluziniere das Schlimmste herbei. Jedes Mal, wenn es an der Tür klingelt, befürchte ich, dass es ein breitschultriger, kurz geschorener Mann in einer langen Glattlederjacke ist, der gleich zur Sache kommt: "Gutten Tag. Iech komme von Fierrma Sewastopol Inkasso. Fierrma mich hat mandatiert, Ihnen zu brechän alle Geleenke von Fiengerr."

Doch es kommt kein Inkasso-Eintreiber, es kommt zunächst nicht einmal Post. Erst nach rund acht Wochen melden sich die Häscher. Das liegt mutmaßlich daran, dass 1&1 es versäumt hat, der Firma BFS Risk & Collection meine neue Münchner Anschrift mitzuteilen. Die Briefe verendeten deshalb wohl in irgendeinem Hamburger Briefkasten. Schuld daran, findet BFS, bin natürlich ich. Und deswegen soll ich nun 45 Euro zusätzlich berappen, für Adressermittlung und "Zustellungskosten".

Damit wären wir auch schon beim Grundprinzip des Inkassos: Schuld ist immer der Kunde. Und diese Schuld lässt sich beziffern, in Zinsen, Mahnspesen, Verwaltungsaufwendungen. Widerworte, das lernt man schnell, sind nicht nur fruchtlos - sie kosten Geld. Der Betrag, den Inkasso-Unternehmen anmahnen, wird von Brief zu Brief weniger nachvollziehbar. Wohl aber höher, bis er irgendwann so schwindelerregend ist, dass der Kunde verängstigt aufgibt. Nach einer Untersuchung der Bundesverbraucherzentrale fühlen sich rund drei Viertel der Konsumenten von Inkasso-Schreiben bedroht und eingeschüchtert.

Es ist ein bisschen wie bei einer drohenden Kneipenschlägerei; mit dem Marcell  würde ich mich vielleicht noch anlegen, auch wenn er auf Fotos recht kräftig ausschaut. Im schlimmsten Fall kostet mich eine Niederlage das Nasenbein und einen Schneidezahn. Aber wenn er Hooligans mit Baseballschlägern mitbringt, heißt es rennen. Dann ist es völlig egal, ob ich im Recht bin, weil Verlieren schlichtweg keine Option mehr ist.

Mein Anwalt sagt, Mahngebühren seien fast immer unzulässig

Was im Einzelnen von mir gefordert wird, kann ich nur schwer nachvollziehen, was natürlich der Sinn der Sache ist. Sind die aufgeführten "Auslagen gem. § 670 BGB " wirklich rechtens, wie BFS behauptet, oder viel zu hoch? Die Zinsen liegen bei 5,37 Prozent - ist das okay?

Arvato Infoscore, zu der BFS gehört, verteidigte auf Anfrage die Mahngebühren und weitere Posten. Zudem teilte das Unternehmen mit, man baue "keine Drohkulisse auf, um Forderungen einzutreiben". Den Vorwurf, "Schuldner durch nötigendes Verhalten zu einer Zahlung zu bewegen, weisen wir daher entschieden zurück."

Mein Anwalt hingegen sagt, Mahngebühren seien fast immer unzulässig. Das habe der Bundesgerichtshof schon vor Jahren erklärt. Die Argumentation ist in etwa die gleiche wie bei Rücklastschriften: Solche Kosten gehören zum allgemeinen Unternehmerrisiko und dürfen deshalb nicht für Schadensansprüche herhalten.

Wer recht hat, ließe sich abschließend wohl nur vor Gericht prüfen. Denn verlässliche Regeln für Inkasso gibt es nicht. Die Branche wird nicht etwa von der Bundesfinanzaufsicht (BaFin) kontrolliert, sondern von rund 80 kleineren Aufsichtsbehörden. Eine Recherche der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein ergab, dass 2010 bundesweit lediglich in zwei Fällen Inkasso-Firmen aufgrund von Verbraucherbeschwerden die Zulassung entzogen wurde.

Einige Punkte in meiner Mahnung sind so absurd, dass sie selbst dem Laien sofort ins Auge springen. Diese Dreistigkeit facht meinen Widerspruchsgeist erst so richtig an. Ich schreibe zurück und widerspreche all diesen frechen Ansinnen. In der Folge bekomme ich einen weiteren Schrieb. BFS bleibt bei seinen Forderungen, möchte nun insgesamt 205,41 Euro. Dabei wird es wohl nicht bleiben. Sollte die "Frist fruchtlos verstreichen", sehe man sich gezwungen "weitere Schritte zur Durchsetzung" einzuleiten. "Die dann entstehenden, nicht unerheblichen Kosten hätten Sie zu tragen."


Postscriptum: Vor kurzem hat mir 1&1 mitgeteilt, man habe das Inkasso-Verfahren gegen mich eingestellt und die Forderung "in voller Summe storniert".

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