Interview mit Swiss-Chef Dosé "Es geht um das nackte Überleben"
SPIEGEL ONLINE:
Herr Dosé, kann das Geschäft für eine Airline nach Irak-Krieg und Sars-Panik eigentlich noch unerfreulicher werden?
André Dosé: Schon nach dem 11. September dachte ich, das Schlimmste sei erreicht, und es kam anders. Sars hat von allen bisherigen Krisen den größten Schaden angerichtet, die Einbrüche sind dramatisch - besonders auf unseren traditionell besonders profitablen Routen nach Fernost. Deshalb hüte ich mich jetzt vor Prognosen.
SPIEGEL ONLINE: Zumal Terroristen täglich neu zuschlagen könnten, siehe Casablanca.
Dosé: Marokko ist zum Glück ein relativ kleiner Markt für uns. Wenn die USA aber, wie diese Woche, ihre Terror-Warnstufe erhöhen, wirkt sich das sofort negativ auf die Nachfrage aus. Einen ganz kleinen Vorteil haben wir vielleicht, weil wir aus einem neutralen Land stammen und mancher eher mit uns fliegt als mit US-Airlines.
SPIEGEL ONLINE: Mal angenommen, es hätte weder Krieg noch Krankheit gegeben - hätten Sie dann Ihr erklärtes Ziel erreichen können, 2003 keine Verluste zu schreiben?
Dosé: Ohne Sars und Irak-Krieg hätten wir eine schwarze Null geschafft, ganz sicher.
SPIEGEL ONLINE: An Verlusten von über 200 Millionen Franken allein im ersten Quartal sind also widrige Umstände schuld, nicht eine falsche Strategie?
Dosé: Verglichen mit der ursprünglichen Planung, die den Breakeven vorsah, haben wir eine Milliarde Franken an Ertrag verloren. Das hat sicher nichts mit Managementfehlern zu tun. Neben externen Faktoren wie dem Krieg war auch die Lähmung der Konjunktur stärker als erwartet.
SPIEGEL ONLINE: Ihre liquiden Mittel waren deshalb schon Ende März auf rund 860 Millionen Franken geschrumpft. Ihr Verwaltungsratspräsident Pieter Bouw hat aber kürzlich gesagt, die Swiss könne den Turnaround aus eigener Kraft schaffen. Sie hingegen haben öffentlich gewarnt, die Swiss sei ohne eine Übernahme nicht überlebensfähig. Sind Sie sich etwa nicht einig?
Dosé: Es gibt keinen Widerspruch, denn ich wurde falsch zitiert. Ich habe nur gesagt, dass die Airline-Industrie in Europa ihre Struktur ändern muss. Die heutigen Allianzen sind nicht sparsam genug, weil alle Partner ihre eigenen Systeme behalten. Die Kosten lassen sich nur über Merger hinreichend reduzieren. Dem kann sich die Swiss nicht verschließen, sonst sind wir nicht konkurrenzfähig. Wir haben ja heute schon Probleme, weil wir im Schnitt kleinere Flugzeuge einsetzen. Aber wenn wir nicht aus eigener Kraft Kosten senken, wird uns auch niemand übernehmen.
SPIEGEL ONLINE: Würde eine Übernahme der Swiss nicht am Widerstand der Politik scheitern?
Dosé: Der Politik geht es nicht primär darum, ob die Firma, die Zürich anfliegt, British Airways, Air France, American Airlines oder was weiß ich wem gehört. Die Hauptsache ist, dass die Zahl der Verbindungen ausreicht, um die Schweizer Wirtschaft zu unterstützen.
SPIEGEL ONLINE: Aber wenn der Bund nicht mehr 20 Prozent der Aktien hielte wie jetzt, könnte er die Zahl dieser Verbindungen weniger stark beeinflussen.
Dosé: Fakt ist, dass sehr viele Politiker in der Schweiz über die Swiss sprechen und es viele Kommentare und Ratschläge gibt. Der Bund nimmt aber schon heute keinen Einfluss auf strategische Fragen wie die Strukturen unseres Netzwerks.
SPIEGEL ONLINE: Ihr Aktienkurs hat jüngst einen kräftigen Sprung gemacht, weil man munkelte, Sie verhandelten mit Lufthansa schon über eine Übernahme. Was ist dran an dem Gerücht?
Dosé: Solche Verhandlungen werde ich noch nicht kommentieren. In der jetzigen Situation schauen wir alle Möglichkeiten an und sprechen mit allen möglichen Partnern über die verschiedensten Allianzmodelle.
SPIEGEL ONLINE: Die meisten Analysten sind sich seit langem einig, dass die Swiss ein überdimensioniertes Interkontinentalnetz betreibt - viel zu groß für ihren Heimatmarkt. Nun haben Sie für Herbst einen neuen Business-Plan angekündigt. Werden Sie auf die Kritiker hören und das globale Netz weiter beschneiden?
Dosé: Die Analysten begründen ihre Kritik nicht und können das auch nicht, weil sie die Zahlen nicht sehen. Das Problem der Swiss liegt nicht bei den Interkontinentalstrecken, die optimiert sind. Das Problem liegt - wie bei Lufthansa oder British Airways - in Europa, wo die Auslastungen zu niedrig und die Kosten zu hoch sind.
SPIEGEL ONLINE: Unter anderem deswegen wollen Sie den Regionalverkehr künftig in die neue Tochter Swiss Express ausgliedern. Swiss Express wird aber erst im Herbst startklar sein, bis dahin können sie noch reichlich Kapital verbrennen. Kommt die Entscheidung rechtzeitig?
Dosé: Der Zeitplan für den Start im Herbst ist bereits sehr ambitiös. Natürlich kann man sagen, die Entscheidung komme spät. Aber der Termin war nur bedingt beeinflussbar. Ursprünglich wollten wir Interkontinental- und Regionalpiloten in einem Korps führen. Diese Idee war damals richtig, ist aber am Willen den Regionalpiloten gescheitert. Sie wollten dieselbe Entlohnung wie die anderen Piloten, das gibt es weltweit nirgendwo und ist Träumerei. Wegen des Widerstandes mussten wir das Konzept ändern.
SPIEGEL ONLINE: Kritiker unterstellen, Sie wollten Swiss Express gründen, damit Sie sich im großen Stil von Piloten trennen oder die Tochter im Notfall gar allein in den Bankrott schicken können - alles, um das Interkontinentalgeschäft zu retten.
Dosé: Das ist eine dumme Spekulation der Gewerkschaft, das so hinzustellen. Wir brauchen den Regionalverkehr, damit das Gesamtsystem Swiss funktioniert. Wer solche Vorwürfe erhebt, hat nicht begriffen, worum es eigentlich geht: um das nackte Überleben des Regionalteiles. Leider sind die Verhandlungen sehr, sehr harzig. Es ist ein schwieriger Weg, bis wir wieder konstruktiv miteinander reden können.
SPIEGEL ONLINE: Ist es möglich, dass das ganze Ausgründungsprojekt scheitert, weil die Piloten nicht mitspielen? Mit Streik haben sie bereits gedroht.
Dosé: Wir haben uns natürlich überlegt, was für Möglichkeiten uns bleiben, wenn die Leute nicht kooperieren. Aber das ist derzeit nichts für die Öffentlichkeit.
SPIEGEL ONLINE: Bereitet Ihnen das Amt eines Airline-Chefs derzeit eigentlich noch viel Freude?
Dosé: Sagen wir mal: Es ist nach wie vor sehr spannend.
SPIEGEL ONLINE: Und besonders spannend, wenn man in der Schweiz lebt und ein nationales Prestigeprojekt führt?
Dosé: Wenn Sie so in der Öffentlichkeit stehen wie ich momentan, ist es manchmal sehr schwierig. Ich kann kaum einen Schritt gehen, ohne dass ich angesprochen werde. Persönlich erhalte ich zwar sehr, sehr positive Reaktionen. Aber es gibt bei uns leider Tendenzen in gewissen Kreisen, die eher Freude am Scheitern haben als am Gelingen. Da muss das ganze Land sein Selbstbewusstsein ändern.
Das Interview führte Matthias Streitz