Irrwege im Niemandsland
Norbert Brauer hat viel vor im neuen deutschen Osten, er will groß investieren. Die Baupläne sind fertig, die Finanzierung steht. Der Bau einer Fabrik für Tiefkühl-Pizza soll schon am 2. April beginnen.
Doch das wird eng. Der Geschäftsführer der Dobra GmbH aus Verden hat sein Projekt geplant, ohne einen besonders gewichtigen Faktor einzukalkulieren: die Treuhandanstalt. So kommt es, daß dem Investor, wenige Wochen vor Baubeginn, noch das Wichtigste fehlt - ein Grundstück.
Der gewünschte Standort ist zwar längst ausgemacht, die Offerte für das Grundstück wurde am 12. Dezember der zuständigen Treuhandanstalt in Schwerin übergeben. Bis zum 21. Dezember war eine verbindliche Antwort zugesagt, aber der Termin verstrich.
Es folgten mehrere Versuche, Kontakt mit den Vertretern der Anstalt aufzunehmen. Auf Brauers dringende Bitte, _(* Am 13. Februar vor dem Gebäude der ) _(Treuhandanstalt in Berlin. ) ihm doch zumindest eine Antwort zu geben, kamen am 11. Februar die eingereichten Unterlagen zurück - mit Dank für das bekundete Interesse.
Da hat der Unternehmer noch Glück gehabt. Viele Investoren haben ihre Unterlagen nie wiedergesehen, eine Antwort auf ihre Anfragen und Angebote haben sie von der Treuhandanstalt nie erhalten.
Ohne die Treuhand läuft im deutschen Osten nichts, doch mit ihr läuft auch nicht viel. Die Behörde, so scheint es, behindert, was sie eigentlich schaffen soll: den Umbau der ehemals sozialistischen Wirtschaft.
Kritik an der Treuhand gibt es, seit sie existiert. Die Ziele der Anstalt haben sich geändert, ihre Organisation wurde mehrfach umgestülpt - doch die Klagen nahmen nicht ab, sie nehmen zu.
In Eisenach wird die Produktion des Wartburg eingestellt, die Arbeiter demonstrieren gegen die Treuhand. Die habe, sagt die Geschäftsleitung, die Weiterführung der Produktion bis Ende des Jahres zugesagt.
In Berlin geht die Fluggesellschaft Interflug pleite. Die Treuhand verhandelte so lange mit möglichen Interessenten, bis es nichts mehr zu verhandeln gab.
In Neuruppin wurde den 2500 Beschäftigten der Elektrophysikalische Werke AG zur Jahresmitte gekündigt, empört besetzte die Belegschaft das Werk. Die Landesregierung will eine Beschäftigungsgesellschaft gründen, um die sozialen Folgen zu lindern. Doch dafür braucht sie Teile des Betriebsgeländes - und damit hat die Treuhand wohl anderes vor.
Was immer in der ehemaligen DDR passiert oder nicht passiert: Schuld hat, meinen Kritiker, die Treuhand.
Die Anstalt, so lauten die Vorwürfe, treibe die Firmen in die Pleite, sie würge die Wirtschaft ab, verprelle Investoren, verunsichere die Belegschaften. Zu viele Betriebe würden künstlich am Leben gehalten, klagen die einen; die Kahlschlagpolitik vernichte ganze Branchen, kritisieren die anderen.
Detlev Rohwedder, Präsident der Treuhand, kennt die Vorwürfe, sie treffen ihn offensichtlich nicht. »Alles spricht dafür«, sagt der Manager mit dem ausgeprägten Hang zur Selbstgefälligkeit, »daß wir auf dem richtigen Weg sind.«
Klagen sei nun einmal das Geschäft der Kaufleute, spottet Rohwedder. Beschwerden ostdeutscher Politiker nimmt er nicht ernst. Die sollen sich etwas einfallen lassen, meint er.
Für die Verbitterung der Menschen äußert Rohwedder Verständnis, knapp und kühl. Das Gesicht zeigt keine Regung.
Rohwedder sei, so meinen selbst manche seiner Kritiker, ein tüchtiger Manager. Aber ist er allein deshalb der Mann, dem der Staat das Schicksal von Millionen Menschen überlassen kann?
Die Treuhandanstalt, auch das ist unbestritten, beschäftigt inzwischen hervorragende Fachleute, führende Vertreter der deutschen Wirtschaft sind im Verwaltungsrat vertreten, viele Firmen haben ihr Spezialisten ausgeliehen. Doch darf die Regierung die Zukunft eines großen Teils der Republik einem Verein von Technokraten übertragen?
Die Anstalt mit dem unscheinbaren Namen ist Eigentümer des ehemals volkseigenen Vermögens in den fünf neuen Ländern. Sie ist der größte Konzern der Welt und einer der größten Grundbesitzer dazu. Ihr gehören 8000 Betriebe, Wälder, Äcker, halbe Kommunen.
Ziel der Anstalt ist es, ihr Eigentum zu privatisieren. Immer mehr Leute werden eingestellt, damit sich die Anstalt möglichst bald überflüssig macht. Doch sie wird ein langes Leben führen.
Schon bald wird die Treuhand aus den tristen Büros eines Hochhauses am Alexanderplatz in das ehemalige Luftfahrtministerium des Deutschen Reiches umziehen. Noch mehr Leute werden hinzukommen, die Infrastruktur wird verbessert, die Effizienz vermutlich gesteigert.
Vielleicht wird die Anstalt dann funktionieren, wie ihre Macher und Kunden sich das wünschen. Vielleicht werden die Verantwortlichen dann telefonisch erreichbar sein, werden Briefe beantwortet. Vielleicht ist die Treuhand dann tatsächlich das Dienstleistungsunternehmen, das Rohwedder vorschwebt.
Eine Service-Agentur, ein Partner der Wirtschaft und der Politiker in West und Ost, soll die Treuhand sein, wenn die gröbsten organisatorischen Mängel erst einmal beseitigt sind. Aber die Treuhand ist bereits jetzt viel mehr: Sie ist ein Staat im Staat, eine Konzentration wirtschaftlicher Macht, wie es sie kein zweites Mal gibt - und wie es sie eigentlich auch ein erstes Mal nicht geben dürfte.
Die Treuhand bewegt sich in einem ordnungspolitischen Niemandsland. Soll sie die Unternehmen, die ihr anvertraut sind, sanieren oder privatisieren? Soll sie die Firmen, um den Preis zu heben, zunächst sanieren und dann privatisieren - oder besser schnell liquidieren? Das alles entscheidet im Zweifel Detlev Rohwedder und sonst niemand.
Die Politiker halten sich heraus, sie verstecken sich gern hinter der anonymen Institution. Die Kollegen im Treuhand-Vorstand wagen gegenüber dem selbstherrlichen Vorsitzenden nur selten Widerworte.
Rohwedder mag Kritik nicht, und grundsätzliche Kritik mag er schon gar nicht: Sie ist, in seinen Augen, vollkommen unnötig. Die Treuhand, meint er, sei in einem »lichten Moment« gegründet worden. Gäbe es sie nicht, sie müßte erfunden werden.
Rohwedders Sicht verwundert nicht. Immerhin verdankt er dem angeblich lichten Moment eine Machtfülle ohnegleichen.
Der Präsident der Treuhand entscheidet, welche Firmen leben und welche sterben sollen. Er ist Struktur- und Ordnungspolitiker in einem, er ist der eigentliche Wirtschaftsminister.
Keine andere Institution ist so mächtig wie die Treuhand. Hier werden Liquiditätskredite für die maroden Ost-Firmen vergeben, hier werden ihre Sanierungskonzepte beurteilt, hier müssen Investoren antreten, die sich im Osten engagieren wollen.
Die Machtkonzentration am Alexanderplatz wissen auch die Politiker in Bonn zu schätzen. Sie erspart ihnen lästige Entscheidungen und mühsames Nachdenken. Und sie lenkt den Zorn der Ost-Bürger ab. Ihre Wut richtet sich gegen die Anstalt in Berlin, der richtige Adressat wäre das Bundeskanzleramt in Bonn.
Die Treuhandanstalt war und ist für die Regierung ein bequemes Alibi für eine fehlende Wirtschaftspolitik. Im Osten, so hofften die Bonner, werde die Marktwirtschaft alles von allein richten. Nach dieser allzu naiven Sicht bedurfte es nur einer Institution, die den Umbau von der Plan- in die Marktwirtschaft abwickelt - der Treuhandanstalt eben.
Doch der Umbau, das merken nun auch die Bonner, vollzieht sich alles andere als reibungslos. Die Investoren aus dem Westen bleiben aus, die Märkte im Osten brechen weg - die ostdeutsche Industrie steht vor dem totalen Zusammenbruch.
Für diese Situation kann die Treuhand nichts, und für eine solche Situation wurde sie nicht gegründet. Die Geschichte der Treuhand ist auch eine Geschichte der Irrtümer, der Irrwege und der Illusionen.
Fehler konnten nicht ausbleiben: Es gab ja keine Erfahrungen, wie eine starre Planwirtschaft in ein funktionierendes marktwirtschaftliches System umgebaut werden kann. Und irgend jemand mußte schließlich die gewaltige Aufgabe in die Hand nehmen.
Tatsächlich gab es gute Gründe, die Treuhand zu schaffen. Doch inzwischen fragen sich viele, ob diese Gründe noch Bestand haben, ob nicht eine andere, eine bessere Treuhand vorstellbar sei.
Der damalige DDR-Regierungschef Hans Modrow und seine Mannschaft wußten ganz genau, warum sie die »Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums« am 1. März 1990 ins Leben riefen: Das Volkseigentum sollte bewahrt werden. Die Treu-Protestaktion hand war somit legitime Nachfolgerin Günter Mittags, des obersten Wirtschaftslenkers der DDR. Und ganz im Sinne der SED-Tradition fanden viele verdiente Vertreter der alten Planwirtschaft in der neuen Anstalt Unterschlupf.
Drei Tage vor der ersten freien Wahl auf dem Gebiet der DDR, am 15. März, beschloß der Ministerrat das Treuhand-Statut. Die neue Regierung brauchte drei Monate, bis sie die Hinterlassenschaft neu regelte.
»Das volkseigene Vermögen ist zu privatisieren«, heißt es im Treuhandgesetz vom 17. Juni 1990. Das war ein hehres Ziel, mehr nicht. Die Mitarbeiter der Anstalt dachten nicht daran, es in der Praxis zu verwirklichen.
An diesen Strukturen und am eigenen Unvermögen, sie zu ändern, scheiterte Rohwedders Vorgänger Reiner Gohlke. Der ehemalige Bundesbahn-Chef kam im Sommer an die Spitze der Treuhand. Er wirbelte viel und bewegte doch nichts. Nach wenigen Wochen trat er ab.
Seither führt Rohwedder die Anstalt. Er fand ein Haus vor, in dem Chaos herrschte. Seitdem hat sich viel geändert, das Chaos blieb.
Die Mitarbeiter der Treuhand mußten, sofern sie aus dem Osten kamen, erklären, nie für den DDR-Staatssicherheitsdienst gearbeitet zu haben. Für Rohwedder war das Thema personelle Altlasten damit erledigt.
Die 15 regionalen Niederlassungen wurden aufgewertet und ausgebaut, an ihre Spitze rückten ausnahmslos West-Manager. An der zentralistischen Struktur der Treuhand, einem Erbe der Regierung Modrow, hat sich jedoch nichts Grundlegendes geändert.
Die Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft, ureigenste Aufgabe der Treuhand, kommt nur schleppend voran. Doch die Berliner Zentrale verbreitet unverdrossen Erfolgsmeldungen. Rund 700 ehemals volkseigene Betriebe, so die jüngste Nachricht, seien verkauft, 3,1 Milliarden Mark erlöst worden.
Er sei mit dem Tempo zufrieden, sagt Rohwedder. Schließlich sei die Treuhand erst seit Oktober voll arbeitsfähig. Doch das Ergebnis kann niemanden befriedigen. Mindestens 8000 Betriebe gehören der Treuhand, durch ständig neue Abspaltungen werden es eher mehr, nicht weniger.
Etwa 110 Milliarden Mark Altschulden der Betriebe sind derzeit bei der Anstalt geparkt, kein Investor ist bereit, mit den Betrieben die Schulden der Vergangenheit zu übernehmen. Auch die ökologischen Altlasten bleiben nach Verkäufen stets bei der Treuhand.
Die Anstalt verkauft sich arm. Bei Zeiss Ost will Zeiss West einsteigen. Doch vorher muß die Treuhand das Unternehmen gesundschrumpfen, von knapp 30 000 auf 5000 Beschäftigte. Allein diese Sanierung kostet die Treuhand rund zwei Milliarden Mark.
Es gab einmal die Vorstellung, der Verkauf des volkseigenen Vermögens werde am Ende viele hundert Milliarden Mark in die Staatskasse bringen. Die Aufsicht über die Anstalt liegt deshalb auch beim Bundesfinanzministerium.
Die Vorstellung hat sich als Illusion erwiesen, sie wird von Rohwedder allerdings noch gern verkündet. Die Wirtschaft der ehemaligen DDR ist ein Konkursfall. Teile sind vielleicht zu retten, aber das wird mehr Geld kosten als einbringen.
Die Treuhand kann und muß die Privatisierung beschleunigen. Bisher feilscht sie monatelang um den höchsten Kaufpreis, wartet auf Mitbewerber - doch je mehr Zeit verstreicht, desto aussichtsloser wird die Lage in den Unternehmen. Zuwarten kostet Geld. Der Wert des Unternehmens verfällt, am Ende bleibt möglicherweise, siehe Interflug, nichts mehr übrig.
Die Investoren aus dem Westen andererseits kennen die Notlage der Treuhand, und sie nutzen sie aus. Die Verträge, mit denen sich Volkswagen, Daimler und BASF in Ostdeutschland einkauften, haben Schule gemacht: Die Treuhand übernimmt die Altlasten, der Käufer einen Teil der Beschäftigten, mehr nicht.
Die Interessenten stehen ohnehin nicht Schlange. Daß sie sich um die Ost-Firmen reißen würden - auch das war eine Illusion, die Rohwedder und schon sein Vorgänger Gohlke gern verbreiteten. Die Treuhand muß ihre Firmen anpreisen, sie muß, auch im Ausland, selbst Investoren suchen, sie muß Marketing betreiben. Bisher ist von solchen Bemühungen wenig zu sehen.
Das Geschäft der Treuhand ist mühsam, und es wird nicht einfacher. Die besten Stücke aus dem Angebot sind bereits verkauft, für einen großen Teil der Betriebe wird sich kein Investor finden.
Allein aber ist kaum ein ehemals volkseigener Betrieb lebensfähig - in Ostdeutschland droht eine Pleitewelle ohne Beispiel. Gefährdet sind so traditionsreiche Firmen wie das MZ Motorradwerk in Zschopau, ja selbst Carl Zeiss in Jena, die einstige Prestigebranche Mikroelektronik hat ebensowenig eine Chance wie die Hauptwerke des einstigen Vorzeigekombinats Robotron. Die Textilindustrie bricht bereits zusammen, der Schiffbau kämpft ums Überleben.
Viele Betriebe, ja ganze Branchen werden nicht zu sanieren sein, sie müssen stillgelegt werden - je schneller, desto besser. Andere könnten vielleicht, mit viel Mühe und vielen Milliarden, doch noch gerettet werden. Und das soll Detlev Rohwedder allein entscheiden.
Eine Pleite kann betriebswirtschaftlich unumgänglich und doch volkswirtschaftlich verheerend sein. Die Treuhand muß, so ist sie konzipiert, betriebswirtschaftliche Entscheidungen treffen.
Es gibt viele Monostrukturen im Osten, Regionen, die allein vom Schiffbau, vom Stahl oder von der Mikroelektronik leben. Sie würden zu Industriebrachen, wenn diese Firmen geschlossen werden. Es ist absurd, die Verantwortung dafür einer Einrichtung zu überlassen, die sich jeder parlamentarischen Kontrolle entzieht.
Mit der Treuhand, der mächtigsten Institution im Lande, beschäftigt sich in Bonn, wenn überhaupt, ein Unterausschuß des Haushaltsausschusses - ein Witz, wenn nicht mehr: ein Skandal. Den Finanzminister interessiert an der Treuhand nur, daß er bei ihr Milliarden verstecken kann, die sonst den Haushalt belasten würden: 14 Milliarden für die Stillegung und Entsorgung der ostdeutschen Kernkraftwerke, zunächst 25 Milliarden für die Sanierung der Betriebe, 28 Milliarden an Bürgschaften für Liquiditätskredite.
Die Politiker müssen sagen, was sie wollen: ein marktwirtschaftliches Crash-Programm mit allen Risiken oder eine konsequente Industrie- und Strukturpolitik. Sie müssen Vorgaben machen und Verantwortung übernehmen, sie dürfen sich nicht länger hinter der Treuhand verstecken.
Jürgen Möllemann, das politische PR-Talent, weiß, wie mächtig die Treuhand ist. Der neue Wirtschaftsminister will sie deshalb im eigenen Haus haben.
Die Hüter der Marktwirtschaft, die Frankfurter Allgemeine voran, schreien vorsorglich auf. Industriepolitik ist für so manchen offenbar immer noch der erste Schritt in die Planwirtschaft. Doch was kann so schlecht daran sein, wenn nicht ein Manager namens Rohwedder, sondern der zuständige Minister der vom Volk gewählten Regierung die notwendigen Entscheidungen über das Schicksal von Betrieben und Arbeitnehmern trifft?
Gäbe es die Treuhand nicht, man müßte sie gewiß erfinden. Etwas anders allerdings, als Rohwedder meint, weniger zentralistisch und mit einem begrenzten Auftrag, mit klaren Vorgaben aus Bonn - und strikter Kontrolle.
Das aber setzt in Bonn eine Wirtschaftspolitik voraus, die diesen Namen verdient. Die Zukunft Ostdeutschlands ist zu wichtig, um sie einer Institution wie der Treuhand zu überlassen.
* Am 13. Februar vor dem Gebäude der Treuhandanstalt in Berlin.