Börsen Jagd auf Hexen
Seit vier Wochen werden die Aktien des Daimler-Konzerns an der New Yorker Wall Street gehandelt, und schon sind die Schwaben unangenehm aufgefallen.
Jedes neue Mercedes-Modell, jeden Großauftrag, jede Schließung einer Fabrik des Tochterunternehmens Dasa meldet Daimler über den Atlantik. »Wir ersaufen in Material«, beschwerten sich die Amerikaner bei ihrem neuen Börsenmitglied.
Die Daimler-Manager wollen mit ihrem Übereifer vermeiden, gegen die rigiden Veröffentlichungspflichten der New Yorker Börse zu verstoßen. In den USA muß alles, was den Kurs bewegen könnte, verbreitet werden.
Den anderen deutschen Aktiengesellschaften steht der Kulturschock einer radikal veränderten Informationspolitik noch bevor. Am Mittwoch wird das Bundeskabinett voraussichtlich das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz verabschieden; Insiderhandel soll künftig auch in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden.
Das Gesetz verpflichtet - getreu seinem amerikanischen Vorbild - die Unternehmen unter Strafandrohung, alle kursrelevanten Informationen unverzüglich zu veröffentlichen. So soll Insiderwissen erst gar nicht entstehen.
Für zusätzliche Transparenz sorgt eine Bestimmung, die Aktiengesellschaften zwingt, Kapitalbeteiligungen an Unternehmen von mehr als fünf Prozent offenzulegen. Insbesondere Versicherungen und Banken müssen so zum erstenmal den wahren Wert ihres Portefeuilles offenbaren.
Das Gesetz ist überfällig. Eine EG-Richtlinie hatte von den Mitgliedstaaten verlangt, bis spätestens Juni 1992 die weitverbreitete Ausnutzung von Insiderwissen zu Lasten anderer Aktionäre unter Strafe zu stellen. Nur Deutschland hielt die Vorgabe nicht ein.
Selbst den Banken, die lange Zeit mit Hinweis auf die freiwilligen Selbstkontrollen jeden Fortschritt blockierten, war das lasche Vorgehen zuletzt peinlich. »Wer Insidermißbrauch betreibt, gehört in den Knast«, mahnte Hilmar Kopper. Der Vorstandssprecher der Deutschen Bank hatte gemerkt, daß manche Ausländer ihr Geld wegen der provinziellen Kontrollen nicht mehr an der deutschen Börse anlegen wollten.
Bei 20 Prozent aller positiven Unternehmensnachrichten geht der Kurs schon vorher erkennbar nach oben - ein deutliches Zeichen, daß Insider ihren Informationsvorsprung nutzen. Sobald das Gesetz Bundestag und Bundesrat passiert hat, drohen diesen Profiteuren nun bis zu fünf Jahre Haft.
Der zurückgetretene IG-Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler kann froh sein, daß das Gesetz von der Bundesregierung so lange verzögert wurde. »Nach dem neuen Gesetz hätte er mit einer Freiheitsstrafe rechnen müssen«, meint der Stuttgarter Strafverteidiger Peter Müller.
Steinkühler hatte als Aufsichtsratsmitglied bei Daimler-Benz für fast eine Million Mark Aktien der Mercedes-Automobil-Holding MAH gekauft. Kurz danach gab Daimler die Verschmelzung mit der MAH bekannt; der Aktienkurs stieg, wie erwartet, steil an.
Nicht nur Vorstandsmitglieder und Aufsichtsräte gelten nach dem Gesetz als Primär-Insider. Auch die Sekretärin, die ein Übernahmeangebot auf der Maschine schreibt, oder der Buchhalter, der in der Kaffeeküche von einem ungewöhnlich hohen Verlust hört, dürfen die Aktie des Unternehmens weder verkaufen noch anderen zum Verkauf raten. Sie dürfen noch nicht einmal über das Gehörte reden.
Aktienanalysten oder Journalisten, die dennoch an die heiße Information kommen, dürfen mit der Aktie ebenfalls nicht handeln, bis die Öffentlichkeit unterrichtet ist. In den USA gibt es mittlerweile ein Corporate Communications Handbook, das den Unternehmen auf 270 Seiten erzählt, in welchem Fall die Öffentlichkeit wann als informiert gilt.
Selbst die Putzfrau des Buchhalters, die zufällig ein paar Worte aufschnappt, macht sich unter Umständen als sogenannter Sekundär-Insider strafbar. Sicher müßten eine Menge Prozesse geführt werden, »bis feststeht, wer alles als Insider gilt«, mutmaßt Anwalt Müller.
Um Insiderfälle aufzuspüren, wird ein neues Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel geschaffen. Ähnlich wie Steuerfahnder können deren Beamte Aussagen erzwingen oder Geschäftsräume durchsuchen. Auch das Bankgeheimnis zählt bei Verdacht von Insiderhandel nicht mehr. Verdächtige Börsenumsätze können mit Hilfe vernetzter Computer bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgt werden.
In den USA spekulieren sogar Undercover-Agenten der amerikanischen Bundespolizei mit Staatsgeldern an den Börsen, um Manipulationen von innen her aufzudecken. Im vergangenen Jahr flog ein Insiderring um Edward R. Downe auf, den Ehemann der Ford-Erbin Charlotte Ford. Zu der Southampton-Connection, benannt nach einem vornehmen Badeort auf Long Island, gehörten auch mehrere Vorstandsmitglieder renommierter Unternehmen.
So forsch werden die deutschen Fahnder wohl kaum vorgehen. Dennoch wird sich für Banken und Unternehmen einiges ändern.
»Durch das Insidergesetz wird es eine Hexenjagd geben«, meint Dieter Eisele, der bei der Deutschen Bank die Informationsflüsse zwischen den einzelnen Abteilungen überwacht. Er rät zu stärkeren Kontrollen der Mitarbeiter.
Nur wer technisch in der Lage sei, schnell einem Insiderverdacht nachzugehen, so Eisele, könne den Vertrauensschaden begrenzen. Y