Jamaika-Gespräche Warum die CDU beim Kohleausstieg bremst

Kohlekraftwerk Mehrum in Hohenhameln
Foto: Julian Stratenschulte/ dpa304 Millionen Tonnen, so viel CO2 hat Deutschland im vergangenen Jahr bei der Stromerzeugung ausgestoßen. 53 Prozent davon stammen aus Braunkohlekraftwerken. Das geht aus dem sogenannten Monitoringbericht hervor, den Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt jedes Jahr zum Strommarkt erstellen und der dem SPIEGEL vorliegt.
Deutschlands Ziel, die klimaschädlichen Emissionen um 40 Prozent unter den Wert von 1990 zu drücken, rückt damit in weite Ferne. Schlimmer noch: 2016 sind die CO2-Emissionen nicht einmal mehr gesunken, sondern um drei Millionen Tonnen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.
In den Sondierungsgesprächen für eine Jamaikakoalition dürfte diese Zahl am Donnerstagmittag eine große Rolle spielen. Dann nämlich geht es dort um das Thema Energie - und damit um die Frage, wie schnell und wie konsequent die Bundesrepublik Deutschland die nächste Stufe der Energiewende erreicht und seine Kohlekraftwerke abschaltet.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet, der Verhandlungsführer der CDU für den Bereich Energie und Klima, hat dazu eine klare Meinung. "Klimaschutz ist wichtig", beteuerte er schon vor dem Treffen gegenüber der "Rheinischen Post". Aber nur, wenn durch ihn der Industriestandort Deutschland und Tausende Arbeitsplätze nicht gefährdet seien. In diesem Fall werde es keine Koalition geben.
Laschet geht damit auf Konfrontationskurs zu seinem möglichen Koalitionspartner, den Grünen. Die nämlich wollen Deutschlands Klimaschutzziele mit einem recht radikalen Plan retten. Sie wollen die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke bis 2020 einfach abschalten - und so rund 90 Millionen CO2-Emissionen pro Jahr vermeiden. Die restlichen Kohlemeiler sollen bis 2030 vom Netz - so die Maximalforderung der Grünen.
Laschet kann das nicht gefallen. Erste Kandidaten für eine Stilllegung wären die mehr als 40 Jahre alten Meiler Neurath A und Weisweiler G in NRW. Ohnehin gibt es in Laschets Bundesland besonders viele Braunkohlekraftwerke. Hinzu kommen der Braunkohletagebau im Rheinischen Revier und eine Reihe Unternehmen, die besonders viel Elektrizität verbrauchen und daher auf niedrige Strompreise angewiesen sind. Und Braunkohlekraftwerke sind noch immer eine der günstigsten Formen der Energieerzeugung.
Kein Wunder also, dass Laschet schon vor den Sondierungen den Hardliner gibt. Ebenso klar, dass die Gegenseite entsprechend zurückkeilt. "Laschet hat immer noch nicht begriffen, dass Klimaschutz und Arbeitsplätze keine Gegensätze sind", sagt der NRW-Politiker Oliver Krischer, er sitzt für die Grünen in den Energie-Sondierungsgesprächen. Tatsächlich scheint es kaum vorstellbar, dass die Grünen ihren Anspruch auf Einhaltung der Klimaziele für das Jahr 2020 aufgeben.
Ähnlich wie die Kohlelobby führt CDU-Mann Laschet vor allem drei Hauptgründe für einen langsamen Kohleausstieg an. Wie stichhaltig sind sie? Der Check:
1. Jobs
Das erste Argument lautet, in der Kohleindustrie würden zahlreiche Jobs verloren gehen. Doch tatsächlich ist dies längst geschehen. Von den gut 650.000 Beschäftigten, die zu Beginn der Sechzigerjahre in der deutschen Kohleindustrie arbeiteten, sind - je nachdem, wie man zählt - nur noch 20.000 bis 50.000 übrig. Mit dem Auslaufen der Steinkohleförderung im Jahr 2018 wird die Zahl der Jobs noch einmal deutlich schrumpfen.
Menschen sieht man in den Tagebauen nur noch vereinzelt, sie werden von gigantischen Schaufelradbaggern dominiert, auch die Kraftwerke sind hoch mechanisiert. Zugleich bauen sich Branchengrößen wie die Mibrag-Gruppe bereits neue Geschäftsfelder auf. Das im Mitteldeutschen Revier ansässige Bergbauunternehmen hat eine Reihe von Firmen gegründet, die etwa Ingenieurs- und Bohrdienstleistungen anbieten oder Garten- und Landschaftsbau betreiben. Im Ökostromsektor arbeiten laut dem Bundesverband Erneuerbare Energien indes bereits heute 330.000 Menschen.
Fazit: Der Strukturwandel, den Laschet vorgeblich abfedern will, ist in Wahrheit bereits im vollen Gange. Es geht nicht mehr darum, die verbleibenden Jobs in der Kohleindustrie möglichst lange zu erhalten, sondern darum, für die noch in diesem Sektor beschäftigten Menschen attraktive Karriereperspektiven zu entwickeln. Je schneller die künftige Regierung dieses Thema angeht, desto weniger ruckelt auch der Übergang für die Betroffenen.
2. Versorgungssicherheit
Laschet führt ins Feld, dass die Versorgungssicherheit bei einem raschen Kohleausstieg gefährdet wäre. Auch das muss nicht so sein. Zwar stimmt es, dass die Produktion von Wind- und Solarstrom mit dem Wetter schwankt und es in Deutschland noch an Speichern mangelt, um den Strom in Zeiten hoher Produktion und geringer Nachfrage für einen späteren Verbrauch zu konservieren. Doch ließe sich dieser Reservestrom auch auf andere Weise liefern - zum Beispiel durch einen verstärkten Einsatz von klimaverträglicheren Gaskraftwerken oder durch den Ausbau von staatenübergreifenden Strommärkten.
Derzeit gibt es im deutschen Kraftwerkspark zudem Überkapazitäten. Am 24. Januar etwa, als bundesweit kaum Wind wehte und wenig Sonne schien, lieferten Ökostromanlagen über weite Teile des Tages nur etwa ein Zehntel des gesamten Elektrizitätsbedarfs. Gas- und Kohlekraftwerke mussten einspringen. Die Versorgung der Republik war aber selbst an diesem Tag nicht ernsthaft gefährdet: Noch immer standen viele Gaskraftwerke still. Und unterm Strich exportierten Deutschlands Kraftwerke sogar am 24. Januar noch durchgehend Strom.
Fazit: Ein paar besonders schmutzige Kohlemeiler ließen sich ohne Bedenken sofort abschalten.
3. Bezahlbarkeit
Das dritte große Argument gegen einen schnellen Kohleausstieg ist die Furcht vor explodierenden Energiepreisen. Lobbyorganisationen wie der Bundesverband der deutschen Industrie waren schon lange davor, dass die Strompreise zu rasch steigen können und sich Wertschöpfung von Deutschland ins Ausland verlagern könnte.
Doch auch dieses Argument ist wenig überzeugend. Fakt ist: Die Strompreise steigen schon jetzt Jahr für Jahr, und die Energiewende ist dafür nur zum Teil verantwortlich. Die stetige Verteuerung ist nämlich auch auf die ineffiziente Energiepolitik der Bundesregierung zurückzuführen.
Ein zentrales Projekt der Energiewende - der Ausbau der Stromnetze - kommt zum Beispiel nur im Schneckentempo voran. Von den rund 1800 Kilometer Höchstspannungsleitung, die bis 2022 gebaut werden müssen, um Ökostrom von der windreichen Küste in den industriereichen Süden des Landes zu transportieren, sind laut Monitoringbericht von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt gerade einmal 40 Prozent fertig.
Weil wichtige Leitungen fehlen, werden Ökostromproduzenten ihren Strom oft nicht los. Sie erhalten dann Entschädigungszahlungen für ihre entgangenen Einnahmen. Laut Monitoringbericht haben sich diese 2016 verdoppelt - auf insgesamt rund 634 Millionen Euro. Der Netzausbau ist nur eines von vielen Beispielen, wie schlechtes Management die Energiewende verteuert.
Fazit: Wenn die deutsche Energiepolitik endlich effizienter würde, könnte es auch nach dem Kohleausstieg Strom zu international konkurrenzfähigen Preisen geben.