Regierungswechsel in Japan Mit neuen Schulden gegen die alte Krise

Japans Wirtschaft leidet an hartnäckiger Wachstumsschwäche, die Staatsschulden erreichen schwindelerregende Höhen. Jetzt will der neue Premierminister die Volkswirtschaft aus ihrer Lethargie reißen - mit noch mehr Schulden, begleitet von außenpolitischem Getöse. Ein riskanter Kurs.
Von Yuka Hayashi, George Nishiyama und William Mallard
Shinzo Abe: Zurück an der Macht, zurück zur Schuldenpolitik

Shinzo Abe: Zurück an der Macht, zurück zur Schuldenpolitik

Foto: YOSHIKAZU TSUNO/ AFP

Tokio - Die japanischen Wähler haben sich am Sonntag für den riskanten Schritt entschieden, auf einen neuen Ministerpräsidenten zu setzen. Der verspricht eine radikale Wende in der Wirtschafts- und Außenpolitik und will so das Land aus der langjährigen Stagnation befreien.

Shinzo Abe, der Vorsitzende der siegreichen Liberaldemokratischen Partei LDP, hat in seinem Wahlkampf eine neue, aggressive Geldpolitik angekündigt. Große Infrastrukturprojekte sollen das Wachstum ankurbeln, und eine härtere Linie soll China in die Schranken weisen. Mit seiner überwältigenden Mehrheit vom Sonntag im Rücken könnte das die Beziehungen Japans mit seinen asiatischen Partnern und die Weltwirtschaft beeinflussen - wenn Abe seine Versprechen hält und er sich lange genug an der Regierungsspitze hält.

Devisenspekulanten haben den Wert des Dollar gegen den Yen bereits um 5 Prozent sinken lassen. Auch das Monatsplus von 12 Prozent im Nikkei-Index ist eine Reaktion auf Abes Wahlkampf. Die Märkte erwarten, dass er massiv frisches Geld in die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt pumpt.

Einige Anleger haben erklärt, dass die Größe von Abes Mehrheit den Handel in dieser Woche bestimmt. Denn davon hängt ab, wie viel von seiner Wirtschaftspolitik er wirklich durch das Parlament bringen kann. Im frühen Handel am Montag fiel der Yen weiter; der Dollar erreichte gegenüber der japanischen Währung seinen höchsten Stand seit April 2011. Der Nikkei-Index startete mit einem Plus von 1 Prozent und erreichte ein Neunmonatshoch.

In Peking startete die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua bereits am Sonntag einen rhetorischen Präventivschlag. In einem Kommentar wurde Abe davor gewarnt, seine Politik werde die "Beziehungen Japans zu seinen Nachbarn abkühlen lassen und die politischen und militärischen Gefahren in der Region vergrößern."

"Wir haben drei Jahre voll diplomatischem Versagen und wirtschaftlichem Chaos erlebt", sagte Abe am Sonntagabend in einem Interview. "Wir beginnen in einer Krisensituation, und wir müssen daraus entkommen."

Anleiheinvestoren warnten jedoch das Finanzministerium am Freitag, dass Abes Pläne den Schuldenberg des Landes weiter aufblähen. Aus der Sicht des Marktes "könnte es zu Ausschlägen nach oben" bei den Renditen kommen, sagte ein Beamter des Ministeriums.

Das Ergebnis vom Sonntag ist ein bemerkenswertes Comeback sowohl für Shinzo Abe, der vor sechs Jahren schon einmal kurzzeitig Regierungschef war, als auch seine Partei LDP. Diese hatte Japan mehr als ein halbes Jahrhundert lang regiert, bevor man vor drei Jahren eine desaströse Niederlage gegen die Demokratische Partei Japans DPJ erlebte. Die DPJ hatte damals versprochen, die Bürokratie abzubauen und von Japans USA-zentrierter Außenpolitik abzukehren, um die Beziehungen zu China zu verbessern.

Gemeinsam mit einem kleineren Koalitionspartner hat die LDP am Sonntag ihre Sitze im Parlament mehr als verdoppelt und dürfte jetzt im Unterhaus eine Zweidrittelmehrheit halten. Damit kann die Regierung das Oberhaus ausschalten und so Gesetze deutlich schneller verabschieden. Abes Vorgänger waren hier in vielen Punkten gescheitert.

Noda tritt als Parteichef zurück

Shinzo Abe hat dabei auch gleich eine lange Liste umstrittener Pläne, die er zu Gesetzen machen möchte. Am Sonntag betonte er immer wieder, seine oberste Priorität sei "wirtschaftliche Erholung und die Überwindung der Deflation". Schon im Januar könnte er ein Wachstumspaket von mehr als 10 Billionen Yen (90 Milliarden Euro) auf den Weg bringen. Damit würde er mit der aktuellen Fiskalpolitik brechen, die auf die Eindämmung der Verschuldung ausgerichtet war. Unter Abe kehren auch die alten LDP-Rezepte von hohen Staatsausgaben zurück, die sowohl das Wachstum beflügeln als auch die Wähler auf dem Land bedienen sollen.

Abe will auch die Unabhängigkeit der japanischen Zentralbank beschneiden. Sein Inflationsziel liegt deutlich über dem der Bank of Japan (BOJ), und er will die Währungshüter dazu drängen, neben der Preisstabilität auch die Förderung der Beschäftigung als Ziel auszugeben. Wenn sich die Notenbank nicht füge, werde er die Gesetze überarbeiten, die der BOJ ihre Autonomie garantieren, hatte Abe erklärt.

Sein Comeback als Ministerpräsident gibt Abe zu einer Zeit wachsender Spannung mit den Nachbarn China und Südkorea. Er will sich nicht wie seine Vorgänger fortgesetzt für die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs entschuldigen; die Streitkräfte sollen zudem ausgebaut werden. Seine stabile Mehrheit im Parlament würde es ihm erleichtern, die Verfassung des Landes zu ändern. Diese erlegt dem japanischen Militär enge Grenzen auf. Zudem will Abe Beamte auf den mit China umstrittenen Inseln stationieren, was eine klare Provokation Pekings wäre.

Noch ist aber fraglich, wie viel Abe trotz seines Erdrutschsieges erreichen kann. Er ist der sechste Ministerpräsident seit seinem eigenen Rücktritt 2007. Sein Vorgänger Yoshihiko Noda war 16 Monate im Amt. Seine DPJ war 2009 mit ähnlich überwältigender Mehrheit an die Macht gelangt. Der erste Regierungschef der DPJ musste jedoch nach weniger als einem Jahr wegen interner Streitigkeiten und Stillstand im Parlament seinen Hut nehmen.

In den USA setzt man daher vor allem darauf, dass Abe sich über einen längeren Zeitraum im Amt hält. In Zeiten rasanten Wandels in der Region benötigt Washington einen verlässlichen Partner. "Japan sollte versuchen, seine Politik zu stabilisieren. Dann wären die USA beruhigt, einen guten Verbündeten im Asien-Pazifik-Raum zu haben", sagt Ichiro Fujisaki, der im November nach vier Jahren seinen Dienst als Botschafter in Washington beendete. "Wegen Veränderungen in der Politik und Regierung, haben wir das einige Jahre nicht ausreichend geleistet."

Depression und Angst prägen die Stimmung

Der Sieg von Abe und der LDP gründet weniger in einer neuen Begeisterung über die alte Regierungspartei, als in der Enttäuschung der Wähler über das Scheitern der DPJ. Die Regierung agierte bei Tsunami und dem Fukushima-Unglück im vergangenen Jahr wenig entschlossen. Der LDP wird immerhin Erfahrung zugerechnet. Das gestand auch Abe am Sonntagabend ein und sagte vor den Fernsehkameras: "Ich denke, das Ergebnis zeigt nicht, dass wir das öffentliche Vertrauen zu 100 Prozent zurückgewonnen haben. Es reflektiert vielmehr die Nein-Stimmen gegen die Politik der Demokratischen Partei, die in den vergangenen drei Jahren alles zum Stillstand gebracht hat. Die Öffentlichkeit wird uns einer genauen Prüfung unterziehen, ob wir ihre Hoffnungen erfüllen und ob sich die LDP wirklich verändert hat."

Die Stimmung in Japan ist von Depression und Angst geprägt. Am Montag vergangener Woche hatte die Regierung Daten veröffentlicht, die bestätigten, das die Wirtschaft im zweiten Quartal in Folge geschrumpft ist. Viele Volkswirte rechnen damit, dass sich die Rezession auch in diesem Quartal fortsetzt. Am Mittwoch startete Nordkorea dann eine Rakete, die über japanisches Territorium flog. Am Donnerstag trat ein chinesisches Aufklärungsflugzeug in umstrittenen Luftraum ein. Tokio ließ als Antwort acht F-15-Kampfjets aufsteigen.

Der 41-jährige Taro Yamamoto brachte seine Frau und seine junge Tochter zu Abes letzter Wahlkampfansprache am Samstagabend in Tokio mit. Er war einer von vielen in der Menge, die große japanische Flaggen schwenkten. Im modernen Japan sind solche Darstellungen von Patriotismus immer noch ungewöhnlich. Er unterstütze Abe, sagt Yamamoto, weil dieser sich der "Aggression Chinas" entgegenstelle, die de facto eine "Invasion Japans" sei.

Viele Japaner sehen Abes Nationalismus jedoch mit Skepsis. Der Pazifismus der Nachkriegsjahre ist im Land immer noch tief verwurzelt. Der 39-jährige Taro Shibata, der in der Videospielbranche arbeitet, sieht in der LDP die beste Wahl in Wirtschaftsfragen. Bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Woche vor dem Urnengang sagte er aber: "Abe ist in der Außenpolitik ein bisschen extrem. Gegenüber China und Südkorea sagt er zu oft Dinge, die ein bisschen zu provokativ sind."

Originalartikel auf Wall Street Journal Deutschland 

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