COMPUTER Japanische Flut
Die Tokioter Büroangestellte Hiroko Asaka hat stets eine kleine Plastickarte in ihrer Handtasche. Denn braucht sie Bares -- mit der Plastikkarte wird es fast zum Kinderspiel.
Hunderte von Kauf- und Bürohäusern in Japans Hauptstadt haben in der Außenwand einen Geldautomaten installiert. Wer die mit einem unsichtbaren, elektronisch abtastbaren Kode versehene Karte hineinsteckt, erhält in Sekundenschnelle fünf knisternde 10 000-Yen-Noten (rund 90 Mark) ausgezahlt.
Benötigt Hiroko Asaka etwa am Wochenende größere Beträge, hilft auch hier das Plastikkärtchen weiter. An bestimmten Automaten kann sie die stattliche Summe von 299 000 Yen (2630 Mark) auf einmal abrufen.
Gibt ihr Konto bei der Dai-Ichi Kangyo Bank das nicht her, leuchtet mit japanischer Höflichkeit nur das Schriftzeichen auf: »Bitte wiederholen Sie den Vorgang.« Die Geldautomaten sind an einen Zentraleomputer angeschlossen, der alle Kontobewegungen von Hunderttausenden Tokioter Bankkunden registriert.
Ausgeknobelt wurde das elektronische Geld-System von Japans größtem Computer-Hersteller Fujitsu. Und für die Japaner sind derlei von heimischen Produzenten erstellte elektronische Datenverarbeitungsanlagen augenfälliger Beweis für den rapiden technologischen Fortschritt, der Nippons Computer-Industrie alsbald auf dem Weltmarkt zum Durchbruch verhelfen soll.
»Die Computer-Industrie«, bekennt ein Top-Beamter in Tokios mächtigem Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (Miti), »wird das Herzstück unserer Industriestruktur werden. Computer werden ein wichtiges strategisches Produkt sein, das Automobile und Fernsehgeräte ersetzt.«
Schon ängstigen sich US-Experten, daß Amerikas Marktmacht -- US-Firmen bauten 53 Prozent aller derzeit in der Welt installierten Computer, die westeuropäischen Konkurrenten rund 27 Prozent, die Japaner 10 Prozent -- von den fernöstlichen Elektronikern gebrochen werden könnte.
»Einige Branchenkenner glauben«, schrieb »The Wall Street Journal«, »daß in wenigen Jahren die japanische Flut die Gewinne von Amerikas größten Computer-Firmen aushöhlen und das Überleben kleinerer Hersteller gefährden wird.« Selbst den bisher kaum angefochtenen Marktführer IBM (Welt-Anteil bei Großrechnern 80 Prozent) werden die Japaner das Fürchten lehren, meinen Analysten.
Die Vorwärts-Strategie der Japaner auf dem Computer-Sektor vollzieht sich nach bewährtem Vorbild: »Es ist das gleiche Muster«, gesteht ein japanischer Manager aus der Branche, »wie beim Elektrogeräte- und Automobil-Export.«
Sorgfältig schirmte Tokios Regierung jahrelang die sechs japanischen Computerhersteller -- Fujitsu, Hitachi, Nippon Electric' Toshiba, Mitsubishi, Oki -- auf dem heimischen Markt gegen die Auslandskonkurrenz ab. Gleichzeitig päppelte das Miti mit hohen Subventionen die Forschung der Unternehmen.
Allein in den letzten fünf Jahren steckte das Miti umgerechnet rund eine halbe Milliarde Mark in die Entwicklung japanischer Konkurrenzmodelle zur IBM-Großrechenanlage 370. Weitere 260 Millionen Dollar sollen in den nächsten vier Jahren den Herstellern helfen, die US-Konkurrenten womöglich schon bei der nächsten Computer-Generation abzuhängen.
Beunruhigt registrieren die Amerikaner bereits jetzt, daß die japanischen Firmen, die einst vergleichsweise simple elektronische Teile für Radios und Elektrogeräte verschifften, jetzt eine wachsende Zahl technologisch hochwertiger Mikroprozessoren liefern.
Sogar einige vollständige Computer-Systeme setzten die Japaner in den USA ab, die lange als uneinnehmbares Bollwerk der heimischen Hersteller galten. Und eine Reihe weiterer Anlagen sind schon geordert. Das Washingtoner Handelsministerium errechnete, daß in diesem Jahr die Einfuhren von Computern und Systemkomponenten aus Japan 30mal höher liegen als 1976.
Erfahrungen, die den Erfolg auf den lukrativen Märkten Amerikas und Europas vorbereiten und sichern sollen, sammeln die Japaner allerdings vorerst -- ähnlich wie bei früheren Exportoffensiven -- vor altem in Ländern, die noch auf fremdes Know-how angewiesen sind.
Ob in Spanien, Brasilien, Australien, Kanada, Bulgarien oder Irland -- die Japaner sind immer dabei, wenn die Regierungen Computer ordern.
»Die bittere Ironie dabei ist nur«, klagt ein westlicher EDV-Fachmann in Tokio, »daß auch nicht das kleinste ausländische Computer-Teil in japanischen Regierungsbüros zu finden ist.« Und Geschäfte der Produzenten aus Übersee mit privaten Kunden werden durch saftige Zölle -- 13,5 Prozent gegenüber 5 Prozent in USA und 7 Prozent für fertige Computer in der EG -- erheblich erschwert.
Umgekehrt wollen die Japaner schon bald die Zollfreiheit innerhalb des Gemeinsamen Marktes nutzen.
Für den Vorstoß in die EG dient beispielsweise der japanischen Fujitsu die Amdahl International in München als Speerspitze.
Die Amdahl International ist eine Tochtergesellschaft der amerikanischen Amdahl Corp., an der Fujitsu zu etwa 20 Prozent beteiligt ist. Fujitsu baut zwei der fünf wichtigsten Komponenten des Amdahl-Großrechners 470V-6' der mit dem IBM-Modell 168 konkurriert.
Diesen Rechner will Amdahl ab 1980 im EG-Mitgliedsland Irland fertigen. Bisher verkaufte Amdahl zwei dieser Computer in Deutschland an das Münchner Max-Planck-Institut und die Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt. Auch die Nippon Electric will in Irland Bauelemente herstellen, um so einen Fuß in die EG-Tur zu bekommen.
Daß es den Japanern gelingen wird, nun auch zu einer Computer-Weltmacht aufzusteigen, ist unter den meisten Experten unumstritten. IBM-Chairman Frank T. Cary: »Wir nehmen die japanische Herausforderung nicht auf die leichte Schulter.«