GEWERKSCHAFTEN Jedem das Seine
Georg Leber nahm gerade an einem Treffen der ehemaligen Verkehrsminister im Bonner Hotel Bristol teil und sah sich Karikaturen aus seiner Amtszeit an, als er ans Telephon gerufen wurde. Es meldete sich Heinz Ruhnau, einst Staatssekretär in Bonn und heute Vorstandschef der Deutschen Lufthansa.
Ruhnau, der Leber aus gemeinsamer Gewerkschafter-Vergangenheit kennt, kam ohne Vorrede zur Sache. Ob Leber, der im vergangenen Jahr den Metallerstreik um die 35-Stunden-Woche beigelegt hätte, auch im Konflikt zwischen der Lufthansa und der ÖTV als Schlichter tätig werden könne? Kurz nach Ruhnau rief auch ÖTV-Chefin Monika Wulf-Mathies an und stellte dem ehemaligen Minister die gleiche Frage.
Lebers Bereitschaft, den Job zu übernehmen und am nächsten Morgen ins Kempinski-Hotel nach Neu-Isenburg bei Frankfurt zu kommen, befreite die Lufthansa und die ÖTV aus einer argen Verlegenheit. Die Kontrahenten hatten sich so verrannt, daß sie allein nicht mehr zurechtkamen.
Die Lufthansa hatte mit den Unterhändlern der Gewerkschaft vereinbart, daß ein Teil des Jahresgewinns an die Mitarbeiter ausgeschüttet wird. Jeder Unternehmensangehörige sollte 850 Mark plus sechs Prozent seines Gehalts, mindestens jedoch 1025 Mark bekommen.
Doch was den meisten ÖTV-Funktionären ausreichend erschien, genügte den ÖTV-Mitgliedern nicht. Die wollten mindestens 1100 Mark für jeden und traten für den Differenzbetrag von 75 Mark vergangene Woche in den Streik.
Der Kampf war von vornherein verloren. Den wenigen, die sich daran beteiligten, konnte es nicht gelingen, den Flugbetrieb der Lufthansa zu behindern. Die Maschinen starteten zum Teil noch pünktlicher als sonst. Frühestens in dieser Woche, wenn für die Lufthansa-Maschinen die routinemäßige Wartung fällig geworden wäre, hätte sich der Streik der ÖTV-Aktivisten auswirken können.
Soweit ließen es beide Kontrahenten nicht kommen. Mit Hilfe von Schlichter Leber war am Donnerstagabend der Kompromiß gefunden.
Das Ergebnis weist den Streik endgültig als ÖTV-Fiasko aus. Die Lufthanseaten erhalten im besten Fall 35 Mark mehr, als das Unternehmen herausrücken wollte. Die Vorruhestandsregelung, die eingeführt werden soll, bleibt in dem vorher ausgehandelten Rahmen.
Die Blamage im Streit mit der Lufthansa kommt für die ÖTV-Führung zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt. Just in der Streikwoche gab sie ihre Tarifforderungen für den öffentlichen Dienst bekannt; am 16. Dezember beginnen die Verhandlungen.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren muß dabei der öffentliche Dienst die Prozentzahl aushandeln, an der sich dann alle anderen Branchen orientieren werden.
Das Debakel bei der Lufthansa verheißt nichts Gutes für die nächste Tarifauseinandersetzung: Angeschlagene Gewerkschafter sind unberechenbar; die ÖTV-Führung könnte versucht sein, den Image-Verlust wieder wettzumachen.
Dabei hatte die Stuttgarter ÖTV-Spitze von vornherein erkannt, daß sie für einen Streik bei der Lufthansa zu schwach war. Die Scharfmacher an der ÖTV-Basis hatten vergessen, daß in ihrer Gewerkschaft nicht mal ein Drittel der Lufthansa-Mitarbeiter organisiert ist. Sie hatten auch außer acht gelassen, daß die ÖTV-Mitglieder bei der Lufthansa zumeist die niederen Dienste verrichten, als Schlosser etwa, Elektriker oder Monteure in der Flugzeugwartung.
Unmittelbare Folgen hätte bei der Lufthansa allein ein Streik des uniformierten Personals. Wenn Piloten und Stewardessen die Arbeit einstellen, wenn die Abfertigungsschalter geschlossen werden, läuft nichts mehr. In diesen Jobs aber, im höheren Dienst, ist die ÖTV nur schwach vertreten. Das ist eine Domäne der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG). ÖTV und DAG stehen seit Gründung der Lufthansa in einem scharfen Wettbewerb; sie versuchen gegenseitig, sich die Mitglieder abzujagen. Versucht die DAG etwas für die Piloten herauszuholen, stört die ÖTV diese Bemühungen; streiken die ÖTVler, findet das der DAG-Vorstand wie jetzt wieder »völlig unverständlich«.
Piloten und Wartungspersonal haben eben nicht viel gemeinsam, vor allem nicht beim Gehalt: Während ein Jumbo-Kapitän über 18 000 Mark im Monat erreicht, kommt der einfache Dienst gerade auf ein Fünftel.
Die DAG sorgt dafür, daß die Distanz gewahrt bleibt. »Wir wollen nicht jedem das gleiche geben«, sagt Gerhard Halberstadt, DAG-Verhandlungsführer für den öffentlichen Dienst, »sondern wir wollen jedem das Seine geben.«
In vier Wochen, zur ersten Verhandlungsrunde für die öffentlich Bediensteten, wird diese Variante des Verteilungskampfes fortgesetzt. Da tritt Halberstadt mit einer Forderung von 5,5 Prozent für alle an. Die ÖTV-Chefin Wulf-Mathies will sechs Prozent herausholen - allerdings mit einer »sozialen Komponente": Die unteren und mittleren Einkommen sollen stärker angehoben werden.
Nach den Erfahrungen bei der Lufthansa, wo eben jenes soziale Anliegen zum Streik führte, wird die ÖTV es schwer haben, sich mit ihrer Forderung durchzusetzen. Die Vorsitzende baut deshalb schon vor. Sie wolle »kein Signal für die folgenden Branchen setzen«, sagte Frau Wulf-Mathies am Donnerstag vergangener Woche, als sich die Niederlage im Lufthansa-Streit abzeichnete. Die ÖTV wolle nicht »zum Schulmeister der Nation gemacht werden«.
Die Gefahr ist gering, nach dem Reinfall in der vergangenen Woche. _(Mit ÖTV-Vorstand Eike Eulen und ) _(Lufthansa-Chef Heinz Ruhnau. )
Mit ÖTV-Vorstand Eike Eulen und Lufthansa-Chef Heinz Ruhnau.