SCHIFFAHRT Jeder ein Achtel
Der Hamburger Bergungsschlepper »Oceanic« dümpelte seit Wochen vor der Karibik-Insel Barbados: Die See war ruhig, das Wetter gut, zu schleppen oder zu bergen gab es nichts.
Dann, Donnerstagabend vorletzter Woche, schreckte ein SOS-Ruf die 20-Mann-Crew auf. 130 Seemeilen südlich, vor dem Karibik-Eiland Tobago in der Nähe von Trinidad, signalisierte Kimminos Haralobos, Funker des griechischen 210 000-Tonnen-Tanker »Aegean Captain«, die Kollision mit dem 292 000-Tonner »Atlantic Empress«.
In der Dämmerung des regnerischen Abends hatten sich die Wege der beiden griechischen Schiffsgiganten in der Karibik gekreuzt: Die »Aegean Captain« wollte von Venezuela nach Singapur, die »Atlantic Empress« steuerte, beladen mit saudi-arabischem Öl, auf die texanische US-Küste zu.
Sechs Wochen nur nachdem im Golf von Mexico die Ölquelle Ixtoc I in Brand geraten war und das Meer mit Tausenden Tonnen Öl zu verschmutzen begann, hatte das Ölzeitalter wieder einmal, so schien es, seine größte Katastrophe. Den Männern auf der »Oceanic« konnte es nur recht sein.
Denn der Alptraum vom klebrigen Öl an den weißen Palmen-Stränden der Karibik versprach Arbeit nach einer langen Phase des Nichtstuns. Und Geld, viel Geld: Nach altem Piratenbrauch wird die Bergungsmannschaft an der »Beute« beteiligt -- sie erhält einen Anteil des geretteten Wertes.
Gewitzt durch Erfahrung, lauern Schlepperkapitäne wie Peter Loydved von der »Oceanic« an den Gefahrenstellen der internationalen Schiffahrtswege und warten auf ein Unglück. Die Bedingungen der Branche sind simpel: Wer einen Havaristen zuerst erreicht, macht das Geschäft.
In der Karibik schaffte es diesmal Loydved mit seinen zwanzig Männern. Wenige Minuten nachdem der Funker den SOS-Ruf aufgefangen hatte, war die »Oceanic« startklar. Mit voller Kraft -- 20 000 Pferdestärken -- dampfte der Schlepper in fünf Stunden zum Unglücksort.
Der schnelle Start lohnte. Die Deutschen konnten eine Umweltkatastrophe verhindern und sicherten ihrer Reederei den lukrativsten Auftrag seit Jahren.
Über Funk alarmierte Kapitän Loydved seinen Arbeitgeber, die Hamburger Bugsier-, Reederei- und Bergungs-Aktiengesellschaft.
Die setzte sieh sofort mit den Schiffseignern und Versicherern in Verbindung, um sich das Recht zur Rettung der brennenden Tanker zu sichern.
Während Bugsier-Chef Behrend-Janssen Schuchmann über seinen Londoner Agenten die Verträge aushandelte, kämpfte sich die »Oceanic« durch das Inferno von sechzig Meter hohen Flammen und dichtem Qualm. Die Besatzung fischte zunächst sechs ölverschmierte Griechen aus dem Wasser, darunter den Funker Haralobos, der nach dem Notruf über Bord gesprungen war.
Kapitän Loydved manövrierte die »Oeceanic« an den brennenden Bug der »Aegean Captain« und löschte mit dem Schaum der Bordkanonen die Flammen. Dann steuerte der Bergungsschlepper zum Heck des über 320 Meter langen Tankers.
Ein paar Mann enterten die »Aegean Captain«, nachdem mit Tauen eine Verbindung zu dem hilflos treibenden Koloß hergestellt war. Während der Schlepper den Tanker von der Küste auf das offene Meer hinauszerrte, bemühte sich der Rettungstrupp auf dem Schiff, das Öl aus dem geborstenen Tank umzupumpen, um die im Meer hängende Nase des Tankers anzuheben, damit das Öl nicht mehr durch das Leck auslaufen konnte.
Gemeinsam mit den Kollegen der inzwischen eingetroffenen »Swartezee« und »Smit Enterprise« des holländischen Konkurrenten Smit International suchten die kurz nach der »Oceanic« eingetroffenen Bugsier-Schlepper »Atlantic« und »Baltic« das Feuer auf der »Atlantic Empress« zu bändigen. Aber vergeblich: Während auf der »Aegean Captain« nur einer der 20 Tanks in Brand geraten war, schlugen die Flammen auf der »Atlantic Empress« aus vier Tanks -- ein großer Teil der Steuerbordseite brannte.
Aus Sorge um eine Ölpest baten die Behörden der bedrohten Inseln -- Schuchmann: »Die »Amüsierstaaten"' -- die Kapitäne der Bergungsschlepper, den ölleckenden und feuerspeienden Koloß wenigstens ein Stück zu entfernen. Obwohl neue Explosionen Tanker und Retter in die Luft zu jagen drohten, nahmen die Schleppschiffe die brennende »Atlantic Empress« auf den Haken und hievten den Tanker über 200 Meilen aufs offene Meer hinaus.
Der »Oceanic«-Crew und ihrem hanseatischen Reeder winkt nun ein stattlicher Lohn der Angst -- nach vorsichtigen Schätzungen mehr als zwei Millionen Mark. Selbst wenn die »Atlantic Empress« noch auf hoher See absäuft und damit keinen Pfennig bringt, bleibt ihnen die »Aegean Captain«.
Der betagte Tanker, elf Jahre alt, wird zwar nur noch auf knappe acht Millionen Dollar geschätzt. Aber das zu 90 Prozent gerettete Öl dürfte immerlin noch knappe 50 Millionen Mark wert sein. Handelsüblich stehen den Rettern bis zu fünf Prozent des Bergegutes zu.
Das Geld wird dann später nach festen Regeln geteilt, jeder hat Anrecht auf eine bestimmte »Schrage« (Seemannsjargon). Der Kapitän bekommt anderthalb Prozent, jeder Mann ein achtel, der Funker drei achtel Prozent. Wenn der Kapitän »einen besonders raushebt für seinen Einsatz«, sagt Schuchmann, darf's wohl auch ein Achtel mehr sein.
Den Bergungslohn pflegen die Bugsier-Manager mit den Reedereien der geretteten Schiffe auszuhandeln. Wenn sich die Parteien nicht einigen können, und bei der Dimension des Tankerunglücks liegt das nahe, wird ein Schiedsgericht der Lloyd's-Versicherung in London bemüht. Und das, ahnt Schuchmann, »dauert vielleicht zwei Jahre«. Genervt von komplizierten Geldstreitigkeiten und mangelnden Aufträgen auf den Weltmeeren, hatte (ler hanseatische Reeder vor ein paar Jahren seine Rettungsflottille schon stilliegen wollen, um sieh nur noch dem geruhsameren Schlepp-Geschäft im Hamburger Hafen zu widmen.
Der große Schwung der Nachkriegsjahre, als die Bugsier-Schlepper durch die Bergung zahlloser Wracks viel Geld verdienten, war sowieso hin. Auch die Übernahme der feinen Hapag-Reederei war den Schuchmanns mißglückt, weil das Hamburger Reeder-Establishment die robusten Piraten-Schiffer auf Abstand halten wollte. Neuen Schub bekam die Schlepper-Flotte allerdings, als die Ölgesellschaften verstärkt vor den Küsten zu bohren begannen. Plötzlich waren die hochseetüchtigen Schiffe für den Transport von Bohrinseln gefragt.
Fortan gingen die fünfzehn Großschlepper der Bugsier-Reederei wechselnden Geschäften nach. Sie zogen Bohrplattformen von Neuseeland durch den Indischen Ozean in die Nordsee, lauerten bei Kap Hoorn auf einen hilfsbedürftigen Havaristen oder schleppten Bohrgerät nach Südkorea.
Einzig nennenswerter Konkurrent in der Rettungsbranche sind die Schlepper der holländischen Smit International. Die Niederländer haben ebenfalls fünfzehn Rettungsdampfer unter ihrer Flagge im Einsatz. Der holländische Schlepp-Dienst Wiysmuller liegt mit fünf Bergungsschiffen schon deutlich hinter den Marktführern zurück.
Obwohl nur gut drei Dutzend hochseetüchtige Schlepp-Dienste auf den Weltmeeren operieren, kommt es bei jeder Havarie zu einem Wettrennen um die Kundschaft. Und da ist oft, selbst nach einem schnellen Start, ein bißchen Glück vonnöten. Vor drei Wochen etwa lief der amerikanische Erdgas-Tanker »Pablo Kaiser« auf den berüchtigten Felsen La Perla, in der Straße von Gibraltar von Tarifa. Ein Bugsier-Schlepper dampfte mit höchster Geschwindigkeit aus der Biskaya Richtung Süden.
Aber »als er um die Ecke kam«, erinnert sich Schuchmann, konnte sich der Kapitän »nur noch die Augen wischen": Ein Konkurrent der Wiysmuller-Flotte hatte den gefährdeten Riesen, der tiefgefrorenes Gas von Algerien nach Amerika fahren sollte, schon wieder flottgemacht.
Selbst rechtzeitiges Eintreffen sichert nicht immer den erwarteten Gewinn. Als der griechische Tanker »Amoco Cadiz« im vergangenen Frühjahr mit einem Ruderschaden manövrierunfähig vor der französischen Küste trieb, weigerte sich der italienische Kapitän Pasquale Bardari zunächst, die Hilfe des Bugsier-Schleppers »Pacific« anzunehmen; die international üblichen Bedingungen erschienen ihm zu kostspielig. Die »Amoco Cadiz« zerschellte schließlich vor der Küste und verursachte eine verheerende Ölpest.
Beim Zusammenprall in der Karibik war die Befehlsgewalt über die beiden Tanker rechtzeitig auf besonnenere Schiffsführer -- die Kaufleute in den Reedereien -- übergegangen: Die Kapitäne waren über Bord gesprungen.