SPANIEN Johanna des Kapitals
Fast vier Jahrzehnte hielten sich die spanischen Unternehmer an die Spielregeln eines Regimes, das sie lenkte und behütete. Mit Hilfe des Staates schirmten sie ihre Märkte ah und investierten nur vorsichtig in moderne Technik. Von Konkurrenz war allenfalls, und auch das nur selten, in Festtags-Ansprachen die Rede.
Seit Francos Tod (1975) ist das anders. Unablässig und unbeirrbar predigt die Confederación Espanola de Organizaciones Empresariales (CEOE) die Vorzüge einer freien Marktwirtschaft. Der Präsident dieses Dachverbandes der Unternehmerorganisationen, Carlos Ferrer Salat, setzt sich mit so gläubiger Besessenheit für die gute kapitalistische Sache ein, daß er Huldigungen und Hohn kaum abwehren kann. Die »Heilige Johanna des neuen Kapitals« nennen ihn die einen, Don Quichotte die anderen. Aber Ferrer, der in 16 Werken von Barcelona bis Aachen Pharmazeutika produziert, möchte »nicht gegen Windmühlen« kämpfen: »Ich stelle mich den Realitäten.«
Die allerdings sind verwirrend genug. Denn noch immer prägen Bürokraten und strikte Vorschriften auch das wirtschaftliche Leben des Landes. Das ganze Wirtschaftssystem, meinen Experten, sei wegen dieser Mischung aus antiquierten Regeln und privatwirtschaftlichem Neuerertum kaum rasch und durchgreifend zu reformieren.
»Das ist ungefähr so«, beschreibt Rafael Bermejo Blanco, Generaldirektor im Madrider Wirtschaftsministerium, seine Aufgabe, »als wenn Sie während der Fahrt den Motor eines Automobils austauschen wollen.«
Die Fahrt geht derzeit steil bergab.
Schon der Ölschock und die folgende Weltwirtschaftskrise hatten Spanien härter getroffen als andere westliche Volkswirtschaften.
Mit einer Inflationsrate von über 26 Prozent lag das Land im vergangenen
Jahr -- nach Island und der Türkei -- an der Spitze der europäischen Länder. Die Lohn- und Preiskontrollen, die im Herbst vergangenen Jahres von Sprechern aller im Parlament vertretenen Parteien gutgeheißen worden waren. haben das Tempo zwar merklich abgebremst, aber die Regierung rechnet noch mit mindestens 17 Prozent Geldentwertung für das laufende Jahr. Bei einem Wirtschaftswachstum, das im vergangenen Jahr nur gut zwei Prozent erreichte, wuchs das Heer der Arbeitslosen auf fast eine Million an. Sieben Prozent aller Erwerbsfähigen sind ohne Arbeit. Vor allem in den agrarischen Gebieten wie Andalusien, aber auch in den Industriezentren Kataloniens und des Baskenlandes fehlen Jobs.
Zwar ist es spanischen Unternehmen noch immer fast unmöglich, Arbeitnehmer zu feuern. Doch diese Regelung hilft, etwa bei Firmenzusammenbrüchen, wenig.
Mehrere hundert Firmen kamen im vergangenen Jahr in Existenznot, 85 davon gingen bankrott, allein 531 (Vorjahr: 386) meldeten Zahlungseinstellung (suspensión de pagos) -- eine Art Vergleichsantrag, der nicht nur die Minderung der Schuldenlast, sondern auch einen Abbau der Belegschaft erlaubt.
Auch Wechsel gehen in bedrohlichem Ausmaß zu Protest: im vergangenen Jahr Schuldscheine im Werte von 665 Milliarden Pesetas (15,8 Milliarden Mark). Für 1978 rechnen die Banken mit geplatzten Wechseln über 750 Milliarden Pesetas.
In Schwierigkeiten geraten ist vor allem ein großer Teil der kleinen und mittleren Firmen, die mehr als 95 Prozent der spanischen Industrie darstellen. Aber auch Großunternehmen sind vielfach kaum noch zahlungsfähig.
So meldete Babcock-Wilcox im Februar dieses Jahres Zahlungseinstellung.
Als Lichtblick im derzeit düsteren Bild der spanischen Wirtschaft haben die Konjunkturlenker in Madrid allein die Zahlungsbilanz ausgemacht. Erstmals seit mehreren Jahren verringerte sich das Defizit 1977 von 4,29 Milliarden auf 2,51 Milliarden Dollar, vor allem wegen eines von der Peseta-Abwertung begünstigten Exportwachstums und des unverhofften Tourismusbooms (erwarteter Zuwachs der Deviseneinnahmen 1978: gut 20 Prozent). Für das laufende Jahr rechnet Madrid mit einer weiteren Verringerung des Zahlungsbilanz-Defizits auf 1,5 Milliarden Dollar.
Zugleich wurden die Importzuwächse kleiner, zum Teil mit Hilfe der Bürokraten. Manche Unternehmen bekommen ihre Importlizenzen für Maschinen oder Vorprodukte erst mit monatelanger Verzögerung, andere nur, wenn sie mit der Schließung ihrer Firma drohen.
Auch bessere Absatzchancen für das wichtigste Exportprodukt des Landes, den bei Valencia gebauten Ford Fiesta, oder noch mehr Deutsche in Torremolinos können allerdings kaum die flaue Inlandskonjunktur wettmachen. Noch immer stehen Zehntausende unverkaufter Scat-Automobile auf Halde, noch immer kümmern die Investitionen dahin.
So fand die Deutsche Handelskammer für Spanien durch eine Umfrage unter Mitgliedsfirmen in Katalonien heraus, daß fast 60 Prozent der Befragten Konjunktur und Auftragslage für schlecht halten.
Förderungsprogramme der Regierung halfen wenig. Als die Banco de
* Unverkaufte Autos der Fiat-Tochter Seat.
Espana den Unternehmen im Februar dieses Jahres 500 Millionen Dollar Investitionskredite anbot, wurde nur ein Bruchteil (140 Millionen) tatsächlich abgerufen.
Den Vorwurf eines »Investitions-Streiks«, den selbst der Präsident der Staatsbank daraufhin erhob, will Arbeitgeber-Präsident Ferrer nicht gelten lassen. Die Unternehmer, klagt er, hätten Mühe, die stetig steigenden Belastungen der Wirtschaft zu verkraften. Die Beiträge für die Sozialversicherung etwa, die weitgehend von den Firmen aufgebracht werden, seien im vergangenen Jahr um 34 Prozent gestiegen.
Vor allem aber mißfällt den Unternehmern, daß die seit Jahrzehnten überfällige Steuerreform nun endlich in Angriff genommen werden soll. Auch die gesellschaftspolitische Gesetzgebung müsse wohlüberlegt sein. Nachdem es den Unternehmern bereits gelungen ist, die Marktwirtschaft in der neuen spanischen Verfassung verankern zu lassen, möchten sie nun die Spielregeln des geplanten Wirtschafts-Systems festschreiben.
Dazu gehört für den Unternehmerverband CEOE, dessen eine Million Mitgliedsfirmen gut zwei Drittel aller Arbeitnehmer Spaniens beschäftigen, die Möglichkeit zur Entlassung von Arbeitnehmern. Das Streikrecht müsse durch das Recht der Firmen auf Aussperrung ergänzt, der gewerkschaftliche Einfluß auf die Betriebe begrenzt werden.
Weil wichtige Gesetzentwürfe noch in diesem Sommer verabschiedet werden sollen, machten Unternehmer und Arbeitnehmer schon seit Wochen verbal mobil. Die einen drohen mit Steuerstreik. die anderen mit einer Mobilisierung der Massen. »Wenn die Wirtschaft nicht funktioniert«, weiß Ferrer, »dann funktioniert auch die Demokratie nicht.«
Weil aber das demokratische System von der Mehrheit gewünscht wird, könnte sich auch die Wirtschaft bald erholen, hoffen manche Experten. »Wir sind«, denkt Professor José Luis Sampedro, Senator und Wirtschaftlicher Beirat der Banco Exterior de Espana, »in einer sehr ernsten Situation -- und zugleich in der besten aller möglichen.«