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LOHNRUNDE Kampf um sieben

Die Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern drohen unerbittlich zu werden. Die Spitzenfunktionare stehen unter dem Druck ihrer Basis, die Industriellen drängen auf weiteren Gewinnanstieg.
aus DER SPIEGEL 1/1977

Franz Steinkühler, Chef des mitgliederstarken IG-Metall-Bezirks Baden-Württemberg, gilt seit Jahren als ein überaus harter und entschlossener Gewerkschafter. Manche Kollegen halten den eisernen Steinkühler gar für so ehrgeizig, daß sie ihm Ansprüche auf den Chefsessel in der IG-Metall-Zentrale zutrauen.

Zur Jahreswende allerdings mußte der Gewerkschafter Steinkühler eine neue Erfahrung machen: Die Kollegen hielten ihn für allzu vorsichtig, seine Tarifforderung -- 6,5 Prozent mehr Lohn und 50 Mark -- für arg bescheiden: Gegen Steinkühlers Willen rundeten sie von 6,5 auf sieben Prozent auf.

Ähnlich erging es IG-Metall-Chef Eugen Loderer. Gewerkschafter aus den Rüsselsheimer Opel-Werken belehrten den Vorsitzenden, als er unlängst eine Lohnforderung von »mindestens 8,5 Prozent« empfahl: »Die Vertrauensleute und die organisierte Belegschaft beabsichtigen nicht, sich auf eine solche Forderung festlegen zu lassen.« Nur mit Mühe gelang es den IG-Metall-Oberen, die Wünsche der Mitglieder in den Betrieben auf insgesamt etwa zehn Prozent zu begrenzen.

Spätestens seit diesen Basis-Erlebnissen haben sich die Gewerkschaftsführer auf eine »knochenharte« (Steinkühler) Tarifrunde für die 3,6 Millionen westdeutschen Metallarbeiter eingerichtet. Und unter dem Druck ihrer Mitglieder, die bis zu 14 Prozent mehr Lohn forderten, geben sich auch die Spitzenfunktionäre stählern.

»Anspruch auf die volle Beteiligung am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs« meldete Loderer an. Kollege Heinz Kluncker von der Gewerkschaft ÖTV stimmte ein: Er hält »eine besondere lohnpolitische Zurückhaltung für unvertretbar«.

»Die statistischen Daten«, glaubt Loderer, »liefern der IG Metall ihre Argumente frei Haus": Während die Arbeitnehmereinkommen 1976 nur um 7,5 Prozent wuchsen, stiegen die Gewinne der Unternehmer im selben Zeitraum um das Doppelte. Die IG Metall: »Das ist Geld in falschen Händen.«

»Verteilungspolitisch bedeutsam« ist für die Gewerkschafter vor allem, daß Gewinne und Vermögenseinkünfte schon wieder denselben Anteil am Volkseinkommen erreicht haben, den sie im Boom-Jahr 1973 hielten. Nachdem sich die Lohnquote, also der Anteil der Arbeitnehmerverdienste am Volkseinkommen, von Mitte 1968 bis Mitte 1975 ständig vergrößerte, wird die Schlüsselzahl seit Ende 1975 wieder kleiner, im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent (siehe Graphik).

Noch verärgerter registrieren die Gewerkschafter, daß trotz des Gewinnanstiegs die Arbeitslosenzahlen kaum zurückgegangen sind. »Zwischen lohnkostenbedingten Gewinnsteigerungen einerseits und der Entwicklung der Beschäftigtenzahl andererseits«, erkannte Eugen Loderer, »klafft eine Lücke.«

In der Tat: Das Münchner Ifo-Institut etwa ermittelt in einer Firmenbefragung, daß 82 Prozent aller geplanten Investitionen nicht den Produktionsapparat ausbauen, sondern die Fertigung rationalisieren, also Arbeitskräfte einsparen sollen. Obwohl die westdeutschen Industrieunternehmen in den letzten beiden Jahren ungefähr 70 Milliarden Mark investierten, arbeiteten im ersten Halbjahr 1976 etwa 824 000 Arbeitnehmer weniger in der Industrie als Anfang 1974. Sogar im ersten Halbjahr 1976, als die Gewinne im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent stiegen, sank die Zahl der Beschäftigten noch einmal um 1,7 Prozent.

Diese Rechnung sagt freilich nach Unternehmeransicht nicht viel aus. Gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank, den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten und dem »Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« plädieren sie für weitere Lohn-Zurückhaltung. Noch immer sei die Ertragslage flau, die Kostenbelastung drückend. »Nach der jahrelangen Gewinnkompression, die 1976 erst zum Teil korrigiert wurde«, bestätigte die Bundesbank, »würde ein erneuter Einbruch bei den Gewinnen den Aufschwung und die Aussichten auf eine Verbesserung der Beschäftigungslage abermals gefährden.«

Auch das liebste Argument der Gewerkschaften gilt bei Bundesbankern nicht. Sie halten wenig von der gewerkschaftlichen Gedankenkette, nach der ein Lohnzuschlag die Kaufkraft stärke und so die Nachfrage mithin am Ende der Konjunktur zugute komme.

Im Gegenteil: Die Bundesbank rechnet damit, daß dann die Unternehmer die höheren Lohnkosten über höhere Preise den Verbrauchern aufbürden würden. Ein neuer Inflationsschub wäre nach dieser Lesart die unausbleibliche Folge. Gefährlicher noch: Der Export, noch immer wichtigster Antriebsmotor der Industrie, käme heftig ins Stottern. Auch die Gewerkschaften können sich in ihrer Skepsis gegenüber der auch von Kanzler Schmidt vertretenen Kurzformel »mehr Gewinne -- mehr Investitionen -- mehr Arbeitsplätze« auf Expertenurteil berufen. Nationalökonomen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) fanden nämlich heraus, daß die Selbständigen immer höhere Gewinnanteile für ihren privaten Verbrauch und zur Geldanlage außerhalb des eigenen Unternehmens abzweigen. Wurde noch 1970 mehr als ein Viertel der Gewinne Innerhalb der eigenen Betriebe investiert, so war dieser Anteil vier Jahre später, 1974, auf ein Zehntel abgesunken.

»Die alte Masche« ziehe nicht mehr, kündigte denn auch Heinz-Oskar Vetter vergangene Woche in einem SPIEGEL-Interview an. »Wir werden keinen Verzicht üben«, nahm sich auch Eugen Loderer vor. Weniger als sieben Prozent Lohnzuwachs, davon sind die Gewerkschaften überzeugt, werden die Mitglieder diesmal nicht akzeptieren.

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