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Kanäle: »Einbahnstraße nach Westen«

Rund vier Milliarden Mark steckt der Staat in ein ebenso aufwendiges wie sinnloses Projekt: Der Rhein-Main-Donau-Kanal hält keiner Wirtschaftlichkeitsrechnung stand. Dafür aber sorgt das Projekt schon vor seiner Fertigstellung für außenpolitischen ärger. Die Russen machen Bonn die »ausschließlich deutsche Souveränität« streitig.
aus DER SPIEGEL 37/1977

Noch vor zwei Jahren war Bayerns Ministerpräsident Alfons Goppel kein Wort zu mächtig.

Der Rhein-Main-Donau-Kanal, rühmte der Landesvater, verbinde als »transkontinentale Wasserstraße zwischen Nordsee und Schwarzem Meer« erstmals zwei »große Industriegebiete Europas, das Ruhrgebiet und das Donezbecken, miteinander«. Die Schifffahrtsstraße über die Höhen des Fränkischen Jura sei ein »Symbol zur Völkerverständigung«, die »friedliche Wirkung« des Vorhabens stehe außer Zweifel.

Von all diesen vollmundigen Versprechen ist kaum noch die Rede. Nachdem Experten schon seit Jahren den Kanal -- Scheitelhöhe 406 Meter über Normal Null -- für blanken wirtschaftlichen Unsinn halten, droht nun auch sein erhoffter Beitrag zur Völkerverständigung ins Wasser zu fallen: Bonn und Moskau sind uneins, wer auf dem Kanal das Ruder führen soll.

Während Bonn die Verkehrsrechte für die »nationale Wasserstraße« selbst in »alleiniger Zuständigkeit« regeln will, bestreitet Moskau die »ausschließlich deutsche Souveränität«.

Ungerührt fordern die östlichen Donau-Anlieger, allen voran die Russen, freie Fahrt bis zum Rhein. »Alle Abschnitte des transkontinentalen Wasserweges von Rotterdam bis zur Mündung ins Schwarze Meer«, schrieb zum Beispiel »Sowjet-Union heute«, die Hauszeitschrift der Russen-Botschaft in Bonn, »müssen auf gleichberechtigter Grundlage und ohne jegliche Diskriminierung den Handelsschiffen aller Länder zugängig sein«.

Genau diesen »ungehinderten Zugang« zu den Frachtzentren an Rhein und Ruhr aber will Bonn so ohne weiteres »nicht zulassen«.

Erst sollen sich die Staatshandelsländer in Verkehrsverträgen zur Einhaltung der Regeln fairen Wettbewerbs verpflichten, verbreiten diskret Beamte des Auswärtigen Amtes. Wenn Bundesverkehrsminister Kurt Gscheidle im Oktober nach Moskau reist, müsse in dieser Sache hart verhandelt werden.

Zur deutlichen Aussprache besteht Anlaß. Merkwürdig genug nämlich nimmt sich aus, wie die Ostschiffer die letzten beiden westlichen Donau-Reedereien, den Bayerischen Lloyd und Österreichs Erste Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft, tief in die Verlustzone abgedrängt haben.

Sie werden »vom Staat seit Jahren subventioniert«, warnt der Bundesverband der deutschen Binnenschiffahrt jetzt in einer Denkschrift. Auch den Rheinreedern drohe die »Gefahr des Existenzverlustes"« wenn die Rote Armada via Rhein-Main-Donau-Kanal auf Westkurs gehe.

Nichts anderes haben die Russen vor. Die künstliche Wasserstraße übers Gebirge, fand Moskaus führendes Fachorgan »Sowjet-Staat und Recht«, sei eine interozeanische Verbindung. Deshalb müsse der Kanal internationalisiert werden wie die Schiffahrtsstraßen von Panama oder der Suez.

Für Klaus-Jürgen Hoffie, Verkehrsexperte der FDP-Bundestagsfraktion, ist der Kampf um den Kanal ein Modellkonflikt, bei dem der Steuerzahler gleich dreifach zahlen muß: Der Staat finanziert zunächst den Bau des Kanals, der den Ostflotten den Weg zum Rhein öffnet;

* kommt dann für den Zuschußbedarf der Bundesbahn auf, der zwangsläufig steigt. (Der Staatsbetrieb hat lediglich die Wahl, entweder Transporte an die Kanalschiffer zu verlieren oder mit billigen Ausnahmetarifen den Frachtverlust zu verhindern);

* zahlt schließlich, wie bislang schon auf der Donau, auch für die Rheinschiffahrt Millionen-Subventionen. Doch Einreden und Warnungen haben die Bauherrn nicht beeindrucken können. Was der frühere Ministerialrat Erwin Deischl von der Gesellschaft für rationale Verkehrspolitik für eine »unverantwortliche Vergeudung von Steuergeldern« hält, ist für Alfons Goppel, nebenher Vorsitzender des Aufsichtsrats der Rhein-Main-Donau AG, ein »Glaubensbekenntnis zur Zukunft des eigenen Volkes«.

Bereits vor zehn Jahren halte der Bayerische Oberste Rechnungshof angemerkt: »Ein wirtschaftliches Bedürfnis für den Weiterbau der Schiffahrtsstraße über Nürnberg hinaus ist nicht feststellbar.«

Realen Nutzen vermag auch der Münchner Anwalt Hans Christian Kopf nicht auszumachen, im Gegenteil: Vor dem bayrischen Verwaltungsgericht in Regensburg versuchte er in einem Prozeß zu beweisen, daß der Kanalbau aus mancherlei Gründen »rechtswidrig« ist. Das Fehlen einer verbindlichen Kosten-Analyse etwa verstoße gegen zwingende Vorschriften der Bundeshaushaltsordnung.

Die Kostenrechnung hätte vermutlich, übereinstimmend mit den Bemerkungen des Bayerischen Obersten Rechnungshofes, die Überflüssigkeit des Wasserweges bewiesen: Zwischen Nürnberg und Regensburg sind weder Schiene noch Autobahn ausgelastet.

Durch den Großschiffahrtsweg und die aufwendigen Straßen -- und Brückenbauten, klagt Kopf, werden Natur und Landschaft zerstört. »Kanalbau-Vandalismus«, trauerte unlängst die Naturfreunde-Zeitschrift »kosmos«, verwandle das Altmühltal in eine Landschaft, die den Besucher »an seine großstädtische Heimat erinnert

Rechtswidrig sei das Vier-Milliarden-Ding, rügt Anwalt Kopf, überdies durch die mannigfache »Interessenverfilzung« der Akteure:

* Rupprecht Pschorr entscheidet als Präsident der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Süd über Anträge. die derselbe Rupprecht Pschorr in seiner Funktion als Vorstand der Aktiengesellschaft Rhein-Main-Donau (RDM) zur Prüfung einreicht; > Ministerialdirektor Philipp Nau, Chef der Abteilung Wasserstraßen im Bundesverkehrsministerium, bezieht von der Firma RMD ein Salär als Aufsichtsrat;

* Burkart Rümelin, Naus Vorgänger im Bonner Amt und damals ebenfalls RMD-Aufsichtsrat, wurde kurz nach seiner Pensionierung zum RMD-Vorstand reaktiviert. Was vor allem aber »dem Wohl der Allgemeinheit schadet« und damit laut Kopf, den Weiterbau verbietet, ist die Gefährdung der westlichen Binnenschiffahrt.

Nach Öffnung des Kanals werden die Ostflotten, nach Ansicht des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT), im Rheinstromgebiet »dauerhaft Beschäftigung suchen«.

Da trifft es sich, daß nach der sogenannten Mannheimer Akte von 1868 auf dem Rhein für jedermann Handels- und Ladefreiheit, Abgaben- und Zollverbot gilt.

Dank des Kanals, der »Einbahnstraße nach Westen« (Deischl), können die Staatshändler diese Vorteile voll ausschöpfen: Die mit westdeutschen Steuergeldern gebaggerte Wasserstraße erlaubt ihnen den Transport von Exportgut in eigener Regie mit eigenen Fahrzeugen nach Westeuropa. Erst einmal zum Rhein vorgestoßen« können sie sich nach Belieben umtun und mit Hilfe ihrer Billigtarife erfolgreich um Rückfracht bemühen.

Umgekehrt halten die niedrigen östlichen Raten die Rheinreeder von der Donaufahrt fern -- zu holen ist da schon seit Jahren nichts mehr. Die Schiffahrt auf der Donau wird »dadurch auf Null reduziert«, warnt der DIHT, daß Westreeder in den Staatshandelsländern »entweder keine Rückladung erhalten oder Beförderungen für östliche Auftraggeber nur zu Frachten durchführen können, die weit unter ihren Kosten liegen«.

Mit einem Drittel der Gesamttonnage stellt die Sowjet-Union die stärkste Flotte; der Bayern-LloYd« den nur noch Bonn als Hauptaktionär über Wasser hält, ist mit zwei Prozent nach Österreich das Schlußlicht.« Die Donau ist nicht blau, sondern rot« ("International Herald Tribune").

Selbst Bayerns Goppel wird da bange. Bonn müsse handeln, feuert er die Bundesregierung an: Noch bevor der Bayern-Kanal fertig ist, sollen durch Verkehrsabkommen mit den Ostanliegern der Donau die bereits absehbaren katastrophalen Folgen abgewendet werden.

Eine Reglementierung der freien Fahrt nach Westen, erkannte inzwischen der Rostocker DDR-Verkehrswissenschaftler Professor Manfred Schelzel, verstoße kraß gegen die KSZE-Schlußakte von Helsinki. Dort heißt es über die »Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Verkehrswesens«, die Partner seien willens, eine »angemessene Teilnahme an diesem Verkehr auf der Grundlage des gegenseitigen Vorteils zu fördern«.

Ernster als der Einwand des DDR-Gelehrten ist ein für Bonn »ganz neues Argument« aus Moskau: Die Entnahme von his zu 425 Millionen Kubikmeter Donauwasser, mit dem der Kanal gefüllt und der trockene fränkische Wirtschaftsraum mit Industriewasser versorgt werden soll, sei rechtswidrig.

Als Wiedergutmachung für diesen Wasserentzug schulde die Bundesrepublik, fordert Moskau, den Donau-Anliegern das unbegrenzte Verkehrsrecht.

Zu der »wirtschaftlichen Fragwürdigkeit des Kanals« und den »verheerenden Auswirkungen auf das Landschaftsbild«, murrte Professor Friedrich-Christian Schroeder in der »FAZ«, kommen »nun auch noch erhebliche internationale Querelen«.

Bonn hat, verständlich, »kein besonderes Interesse daran, eine große Polemik darüber anzufangen«. Denn die Lage ist verfahren.

FDP-Hoffie fordert deshalb »sofortigen Baustopp« an dem »unsinnigen Kanalprojekt«. Und ein CDU-Experte überlegte: »Der letzte Kilometer dürfte nicht gebaut werden.«

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