KfW-Ökonomin zur Geldpolitik »Die Inflation frisst sich mit Verzögerung durch die Wirtschaft«

Obstkauf in Berlin: »Preissteigerungen werden nun durchgereicht«
Foto: David Gannon / AFPDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
SPIEGEL: Frau Köhler-Geib, die Inflation ist hartnäckiger, als viele Experten dachten, auch die Europäische Zentralbank wirkt überrumpelt. Wann bekommt die Notenbank die Preise wieder in den Griff?
Köhler-Geib: Der russische Angriff auf die Ukraine hat wie ein Brandbeschleuniger für die Inflation gewirkt. Aber ich glaube, dass das Schlimmste bald überstanden ist. Wir rechnen in Deutschland für dieses Jahr mit einer Inflationsrate von rund sechs Prozent, also mit einem deutlichen Rückgang im Vergleich zum Vorjahr. Im kommenden Jahr dürfte die Rate dann sogar auf rund zwei Prozent sinken.
SPIEGEL: Was macht Sie optimistisch? Die Kerninflation, die Energie- und Lebensmittelpreise außen vor lässt, ist sogar auf ein Rekordhoch gestiegen.
Köhler-Geib: Die Inflation frisst sich mit Verzögerung durch die Wirtschaft: Für die Herstellung der meisten Produkte braucht man Energie, und auch wenn die Strom- und Gaspreise inzwischen wieder gesunken sind, müssen viele Unternehmen dafür heute mehr zahlen als vor der Krise. Diese Preissteigerungen werden nun durchgereicht. Manche Unternehmen nutzen die Gelegenheit auch, um ihre Marge auszuweiten. Und auch die höheren Lohnkosten sorgen in einigen Branchen für steigende Preise, etwa bei Dienstleistern.
SPIEGEL: Droht uns jetzt die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale, bei der höhere Lohnabschlüsse zu noch höherer Inflation führen und umgekehrt?
Köhler-Geib: Meine Einschätzung ist, dass wir von einer Lohn-Preis-Spirale doch deutlich entfernt sind. Die Reallöhne sind im vergangenen Jahr ja massiv gesunken, aber die bisherigen Tarifabschlüsse sind vergleichsweise moderat geblieben. Die aktuellen Forderungen mögen hoch sein, aber auch hier ist entscheidend, welchen Konsens die Tarifparteien finden.
SPIEGEL: Nun ja. Manche Gewerkschaften fordern zwischen zehn und 15 Prozent mehr Lohn.
Köhler-Geib: Die Situation ist herausfordernd. Einerseits muss sich die Produktion für die Unternehmen trotz gestiegener Kosten rechnen, andererseits müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Leben auch bestreiten können. Das Dilemma lässt sich nur schwer auflösen. Aber ich setze darauf, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei den Tarifverhandlungen mit Augenmaß agieren.
SPIEGEL: Wie weit muss die EZB die Zinsen noch erhöhen, um die Inflation zu bändigen?
Köhler-Geib: Dafür gibt es leider keine exakte Formel. Vieles hängt von den Inflationserwartungen ab. Die der Verbraucherinnen und Verbraucher sind zwar aktuell leicht gesunken, liegen aber noch immer deutlich über dem EZB-Inflationsziel von zwei Prozent. Auch die Märkte gehen davon aus, dass die Inflation langfristig höher bleiben wird. Deswegen rechne ich fest damit, dass die EZB die Zinsen am kommenden Donnerstag erhöhen wird und dass weitere Zinsschritte folgen. Die Schwierigkeit liegt beim Timing, denn die geldpolitischen Maßnahmen entfalten ihre Wirkung erst mit einer gewissen Verzögerung.

EZB-Chefin Lagarde: »Die Schwierigkeit liegt beim Timing«
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SPIEGEL: Höhere Zinsen sind Gift für die Konjunktur. Was, wenn die Notenbank die Wirtschaft abwürgt?
Köhler-Geib: Tatsächlich sehen wir bereits Bremsspuren: Die Nachfrage nach Krediten im Euroraum geht zurück, die Wirtschaftsaktivität schwächt sich ab. Von einer tiefen Rezession sind wir aber zum Glück weit entfernt. Wir bei der KfW gehen davon aus, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland in diesem Jahr stagnieren wird. Das ist keine sonderlich gute Nachricht, allerdings besser als noch vor wenigen Monaten befürchtet. Die EZB muss ihr Mandat im Blick behalten und sich darauf konzentrieren.
SPIEGEL: Wie meinen Sie das?
Köhler-Geib: An dem Hauptfaktor für die hohe Inflation, den gestiegenen Energiepreisen, kann die Notenbank nichts ändern. Hier muss die Politik ansetzen, kurzfristig durch Abfedern von Belastungen, aber insbesondere langfristig, indem sie zügig für den Ausbau der erneuerbaren Energien sorgt. Die EZB ist allein der Preisstabilität verpflichtet. Und da gibt es angesichts der derzeitigen Inflationsraten nun mal keinen Spielraum. Noch muss sie am Zinssteigerungskurs festhalten.