Bertelsmann-Studie Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut bedroht

Die Lage hat sich zuletzt nochmals verschärft: In Deutschland steigt die Zahl der von Armut bedrohten Kinder. Das ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsmann Stiftung. Die Autoren fordern die Regierung zum Handeln auf.
Kinder in Berlin (Symbolbild)

Kinder in Berlin (Symbolbild)

Foto: Inga Kjer / Photothek via Getty Images

In Deutschland ist mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene von Armut bedroht. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Donnerstag veröffentlichte Analyse der Bertelsmann Stiftung aus Gütersloh. Demnach waren 2021 knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche und weitere rund 1,55 Millionen junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren betroffen. Die Lage habe sich zuletzt nicht gebessert, sondern durch aktuelle Krisen und Preissteigerungen verschärft.

Die Stiftung zog ein ernüchtertes Fazit und forderte Gegenmaßnahmen von der Bundesregierung. »Kinder- und Jugendarmut bleibt ein ungelöstes Problem in Deutschland«, erklärte sie. Die im Koalitionsvertrag versprochene Kindergrundsicherung müsse »schnellstmöglich« und mit der erforderlichen Ausstattung beschlossen werden. Zentraler Maßstab müsse sein, dass die Kindergrundsicherung Armut »wirksam vermeidet«.

Überdurchschnittlich von Armut betroffen sind nach Angaben der Stiftung junge Menschen in Alleinerziehendenfamilien sowie in Familien mit drei oder mehr Kindern. Die große Betreuungsverantwortung mache es den Eltern in diesen Fällen oftmals unmöglich, voll erwerbstätig zu sein. Viele von ihnen seien auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Wie aus der Analyse hervorgeht, stieg die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Hartz-IV-Haushalten leben, in Deutschland zuletzt zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder an.

Viele junge Erwachsene betroffen

Den Anstieg führen die Experten auf Fluchtbewegungen wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine zurück. Den Betroffenen und ihren Familien stehen seit Juni vergangenen Jahres Hartz-IV-Leistungen zu. In diesem Monat stieg laut Stiftung die Zahl der unter 18-Jährigen, die entsprechende staatliche Zahlungen in Anspruch genommen haben, auf rund 1,9 Millionen an.

Ein oftmals unterschätztes Armutsproblem gibt es nach Einschätzung der Bertelsmann-Experten aber auch in der Altersgruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren. In dieser sei das Armutsrisiko sogar höher als in jeder anderen Altersgruppe und liege laut Untersuchung bei 25,5 Prozent. Mithin sei jeder vierte junge Mensch in Deutschland von Armut bedroht.

Frauen sind demnach zudem gefährdeter als Männer, in Ostdeutschland ist das Risiko größer als im Westen. Ein Blick auf die Quote der Hartz-IV-Bezieher vermittelt laut Untersuchung bei jungen Menschen zudem nur bedingt ein Bild der Lage, weil sich viele in Ausbildung oder Studium befinden. Sie beziehen deshalb Leistungen wie etwa Bafög oder Wohngeld. Der Anteil der Bezieher von Hartz-IV-Leistungen in dieser Altersgruppe liegt bei nur sieben Prozent.

Die geplante Einführung der Kindergrundsicherung müsse »die Verteilung mit der Gießkanne beenden und gezielt denjenigen helfen, die besonders darauf angewiesen sind«, forderte die Bertelsmann-Bildungsexpertin Anette Stein. Sie müsse sich »an den tatsächlichen Bedarfen junger Menschen für gutes Aufwachsen, Bildung und Teilhabe« orientieren. Höheres Kindergeld bringe dagegen nichts. Dieses komme bei Familien im Hartz-IV-Bezug gar nicht an.

In der von der Ampelkoalition geplanten sogenannten Kindergrundsicherung sollen finanzielle Unterstützungsleistungen gebündelt werden. Dazu gehören das Kindergeld, Sozialhilfezahlungen für Kinder, der Kinderzuschlag sowie Teile des Bildungs- und Teilhabepakets. Ziel ist es, durch eine einfachere Struktur und leichteren Zugang mehr Familien zu erreichen und Kinderarmut zu bekämpfen. Erstmals ausgezahlt werden soll die Kindergrundsicherung 2025.

Die Stiftung fordert von der Regierung weitere Maßnahmen, um die Lage armutsgefährdeter junger Menschen zu verbessern. Dazu zählt sie eine Reform der Ausbildungsförderung Bafög sowie die Einführung einer Ausbildungsgarantie. Beide Projekte seien »unerlässlich«.

mik/AFP
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