ARBEITSPLÄTZE Klasse von Neutren
Barbara Cantwell, 31, geschieden und Mutter von zwei Kindern, wünschte sich, sie »hätte es nie getan Und ihre Kollegin Betty Moler klagt: »Man ist leer, man ist nicht mehr die Frau, die man war.«
Beide Frauen leben in einer der rüdesten Gegenden der Vereinigten Staaten von Amerika, im von Chemiefabriken geprägten, oft ruinierten Ohio-Tal. Und beide haben sich sterilisieren lassen, weil ihr Arbeitgeber sie und ein gutes Dutzend ihrer Kolleginnen nur unter dieser Bedingung weiterarbeiten lassen wollte.
»Ich wollte ohnehin keine Kinder mehr«, meinte Lola Rymer, 43, die bereits drei Kinder zur Welt gebracht hat. »Aber es ist doch nicht richtig, daß eine Firma dich auffordern kann, so etwas zu machen. Ich habe mich sterilisieren lassen, weil ich Angst um den Job hatte und weil ich den Lohn brauche.«
Die Auseinandersetzung in der Cyanamid-Fabrik bei Willow Island im Bundesstaat West Virginia hat nach Meinung vieler Gewerkschafter durchaus etwas von »Orwells 1984: eine Klasse von sterilisierten Arbeitern, von Neutren; das scheinen die Firmen zu wollen« (Anthony Mazzocchi, Vizepräsident der Oil, Chemical and Atomic Workers International Union).
Gespenstisch ist schon, was sich da im industriellen Kernland der USA im vorigen Jahr zugetragen hat. Bereits Anfang 1978 kündigte der wegen strammer Arbeitgebergesinnung bekannte Chemiekonzern American Cyanamid den Arbeitnehmern des Zweigwerks Willow Island an, in fast allen Abteilungen würden vermutlich bald nur noch Frauen beschäftigt, die entweder älter als 50 Jahre seien oder aber den schriftlichen Nachweis ihrer Unfruchtbarkeit erbringen könnten.
Tatsächlich verlangte das Management im September eine schriftliche Sterilisationsbescheinigung, allerdings nicht von allen weiblichen Arbeitnehmern des Betriebs, sondern nur von jenen 17 Frauen, die zusammen mit 22 Männern in der Farbstoffabteilung beschäftigt waren. Falls sie ihre Gebärfähigkeit nicht vernichteten, schrieb das Werk den Frauen, müßten sie mit einem anderen, schlechter bezahlten Job vorliebnehmen oder aber gehen.
Fünf der Frauen ließen sich tatsächlich operieren, um auch weiterhin ihre 325 Dollar pro Woche zu verdienen. Die anderen resignierten oder nahmen Stellungen an, die rund 50 Dollar weniger einbringen.
Erst. Monate später wurde die Sache publik. Die Chemiearbeitergewerkschaft protestierte und verlangte eine rasche Revision der Maßnahmen und eine deutliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Auch die Bundesbehörde für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (Occupational Safety and Health Agency, OSHA) wurde schließlich aktiv. »Das Problem sollte die Kontrolle der giftigen Substanzen sein, nicht die Kontrolle der Arbeiterinnen«, kritisierte OSHA-Direktor John Fronies Anfang Februar.
Dabei ist eine andere Affäre noch bemerkenswerter als der Fall American Cyanamid, nämlich die Geschichte zweier Frauen aus Illinois. Beide arbeiteten in der »Allied Chemical«-Fabrik Danville, als das Management vor zwei Jahren zu der Meinung kam, die Substanz Fluorkohlenstoff führe bei schwangeren Frauen zu gefährlichen Schäden für Mutter und Embryo.
Die beiden ließen sich sterilisieren, sie wollten ihren Job auch um diesen Preis behalten -- und erfuhren einige Wochen später, daß die Operation sinnlos gewesen war: Fluorkohlenstoff, fanden Wissenschaftler heraus, hat nicht die befürchteten Folgen für den Fötus.
Vom hochgiftigen Blei, das in Willow Island anfällt, kann das kaum behauptet werden, im Gegenteil: Kein Wissenschaftler bezweifelt, daß Blei ein ungewöhnlich gefährliches Metall ist und große Dosen von Bleidampf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu Krebs und zu genetischen Schäden führen können.
Wegen dieser Einsichten ordnete die OSHA an, nach dem 1. Februar 1979 dürfe der Bleigehalt der Luft in den Fabriken statt bisher 200 nur noch 50 Millionstel Gramm pro Kubikmeter betragen.
Niemand weiß mit Sicherheit zu sagen, ob diese Dosis zum Beispiel für Männer absolut ungefährlich ist und ob nicht auch männliches Sperma auf Blei ebenso reagiert wie das unbefruchtete Ei oder der Embryo. »Medizinische Untersuchungen haben bewiesen«, sagt Gewerkschafter Mazzocchi, »daß die gefährlichen Auswirkungen auf den männlichen Samen genauso groß sind.«
Manche der Frauen von Willow Island, aber auch die Gewerkschafter und OSHA-Beamten vermuten deshalb hinter der rüden Politik der Cyanamid-Manager andere, weniger ehrenwerte Motive. Sie argwöhnen, die Firma versuche, die per Gesetz untersagte Diskriminierung berufstätiger Frauen auf ihre Art zu unterlaufen.
Rechnerisch ginge dieses Kalkül durchaus auf. Weil die Frauen im Durchschnitt häufiger krank sind und die Vorschriften des gesetzlichen (in den USA allerdings dürftigen) Mutterschutzes geltend machen können, sind sie bei gleichem Lohn häufig teurer als ihre männlichen Kollegen.
Nach Ansicht des Cyanamid-Direktors Robert Clyne allerdings besteht zwischen der Sterilisationsforderung seiner Firma und den allgemeinen Kostenrechnungen kaum ein Zusammenhang. »Es gibt in diesem Bereich keine praktische, anwendbare Methode, um den Fötus zu schützen«, meint er. Sollten solche starken Schutzmaßnahmen aber etwa vorgeschrieben werden, »dann wäre die amerikanische Industrie pleite«.
Perry Gehring von Dow Chemical formuliert die Vergleichsrechnung vorsichtiger. »Die Schwierigkeiten und die Kosten des industriellen Arbeitsschutzes sollten nicht als Vorwand benutzt werden, um Frauen herauszudrängen«, verspricht er. Aber: »Wenn die Kosten für das Einhalten bestimmter Maximalwerte unverhältnismäßig stark steigen, ist es berechtigt, Frauen aus bestimmten Jobs herauszunehmen.«
So unfaßbar diese Maxime ist, so unbestreitbar bleibt, daß auch der Chemiekonzern Gründe für seine Geburtenregelung vorbringen kann. Wenn sich nämlich herausstellen sollte, daß der Fötus durch die Bleieinwirkung tatsächlich beschädigt worden ist und die Mutter ein verkrüppeltes Kind zur Welt bringt, müßte die Firma mit einem kostspieligen Schadenersatzprozeß rechnen, der sie einige Millionen Dollar kosten könnte.
Noch immer schwebt ein Verfahren gegen Dow Chemical und Shell Chemical Co., das vermutlich ein Musterprozeß wird. Beide Firmen entdeckten vor zwei Jahren, daß der Samen jener Männer, die mit der Herstellung des Schädlingsbekämpfungsmittels Dibromochloropropan (DBCP) beschäftigt waren, sich verändert und weniger Spermatozoen aufwies.
Die Arbeiter klagten auf zehn Millionen Dollar Schadenersatz -- und die Versicherungen der beiden Firmen sprangen ab. Shell versichert sich seither bei einer Konzlerntochter, Dow bekam seine Police nur zu einer deutlich heraufgesetzten Prämie.