HANDEL Klein und dezent
Auf den ersten Blick sah alles aus wie zu jedem Schlußverkauf. Pünktlich um neun Uhr am Montag vergangener Woche stürmten die ersten Kunden die Warenhaus-Filialen und Textilgeschäfte, drängten sich um die Grabbeltische und zerrten sich gegenseitig besonders preiswerte Stücke aus den Händen.
Doch etwas war diesmal anders: In den meisten Läden fehlten die riesigen bunten Hinweistafeln mit dem durchgestrichenen alten Preis, die den neuen besonders attraktiv erscheinen ließen. »Die Schnäppchen«, meinte ein Mitglied de. Arbeitsgemeinschaft der Verbraucher, »mußten miß der Lupe gesucht werden.«
In der Tat waren die Hinweise, wie stark die Ware zum Winterschlußverkauf reduziert worden war, nur schwer zu entdecken.
Die meisten Geschäfte hatten sowohl in ihren Zeitungsannoncen als auch in ihren Schaufenstern darauf verzichtet, mit einer Gegenüberstellung der Preise zu werben. Lediglich an der Ware selbst war der gewohnte Vergleich zwischen dem alten und dem neuen Preis zu finden.
Die merkwürdige Zurückhaltung ist keine neue, besonders schlaue Verkaufsmasche, die Kunden neugierig machen und m die Läden locken soll. Sie ist die Folge einer heftig umstrittenen Änderung im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), die zum Jahresbeginn in Kraft trat.
Seither kommt ein Händler schon mit dem Gesetz in Konflikt, wenn er »die tatsächlich geforderten Preise für einzelne aus dem gesamten Angebot hervorgehobene Waren ... höheren Preisen gegenüberstellt oder Preissenkungen ... ankündigt und dabei den Eindruck erweckt, daß er die höheren Preise früher gefordert hat«.
Kaum war das neue Gesetz in Kraft, begann die große Stunde der Wettbewerbsjuristen und Abmahnvereine. Denn das Verbot gilt - wie könnte es anders sein - nicht uneingeschränkt. Der Gesetzgeber legte nämlich fest, das Verbot sei »nicht anzuwenden auf Preisauszeichnungen, die nicht blickfangmäßig herausgestellt werden«.
Damit war der Ärger zwangsläufig. Darüber nämlich, was als »blickfangmäßig« anzusehen ist, läßt sich unter Advokaten trefflich streiten. Auf die Gerichte, soviel ist schon jetzt sicher, rollt eine Welle von Wettbewerbsprozessen zu, in denen die Richter den verschwommenen Begriff für die Praxis auslegen müssen.
Die ersten Prozesse laufen schon. Manche Händler wollten sich in ihrer Werbung nicht mit abgegriffenen Superlativen wie »knallhart reduziert«, »unglaublich günstig« oder »Preishammer« begnügen. Statt dessen begannen sie, die Grenzen des neuen Gesetzes auszuloten.
Die Werbeleiter bei Karstadt, Hertie und Horten, in Verbrauchermärkten, Textilhäusern und Schuhläden versuchten auf vielfältige Art, auf Nachlässe aufmerksam zu machen. Die einen nahmen
für die Preisauszeichnung dezentere Farben, andere nur kleinere Schildchen. Manche blieben bei Preisvergleichen altneu, verwendeten sie aber nur am Verkaufsstand, nicht im Fenster.
Die Chancen, damit durchzukommen, sind jedoch gering. Landgerichte in Bremen, München, Bonn und Mannheim untersagten solche Werbung und drohten bei Zuwiderhandlungen mit Ordnungsgeldern bis zu einer halben Million Mark.
Noch handelt es sich in allen Fällen um einstweilige Verfügungen, bei denen die verschiedenen Standpunkte gar nicht zur Sprache kamen. Erste Urteile sind frühestens im Sommer zu erwarten.
Die Gesetzesnovelle, so meinten Kritiker von Anfang an, wird dem Verbraucher nichts bringen. Er kann, wenn die Richter bei ihren harten Linien bleiben, künftig noch weniger erkennen, wo ihm ein besonders günstiges Angebot gemacht wird.
Die Bonner Regierungskoalition hatte das Gesetz nach monatelangem Streit im Eilverfahren in den Bundestag gebracht. Denn Preisvergleiche im Handel waren nicht immer echt, der durchgestrichene Preis war bisweilen frei erfunden. Damit sollte nun Schluß sein.
Doch gleich nach der ersten Lesung des Gesetzes im Februar vergangenen Jahres meldeten sich Dutzende von Verbänden mit Verbesserungsvorschlägen.
In einem Punkt waren sich fast alle Kritiker einig: Ihren angestrebten Zweck, den harten Wettbewerb im Handel zugunsten der kleinen Betriebe zu zügeln, werde die UWG-Novelle mit Sicherheit verfehlen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie fürchtete, ein bewährtes Gesetz werde zur »Dauerbaustelle« gemacht, und die Verbrauchervertreter sahen eine »massive Behinderung des Preiswettbewerbs«. Der Münchner Wettbewerbsrechtler Gerhard Schricker erkannte in der Novelle eine »Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft«.
Doch die Koalition, die mit strikteren Wettbewerbsregeln etwas für den Mittelstand tun wollte, war nicht mehr zu stoppen. Schon Ende Juni wurde das Gesetz vom Bundestag verabschiedet. Noch vor der Sommerpause passierte es innerhalb von fünf Minuten den Bundesrat, obwohl selbst die Justizminister der Länder davor gewarnt hatten.
In zwei Jahren, zum 1. Januar 1989, muß die Bundesregierung einen Bericht über die praktischen Erfahrungen mit den neuen Spielregeln im Handel vorlegen. Große Erfolge wird der Wirtschaftsminister aller Voraussicht nach nicht melden können - außer einem vielleicht: einen Beitrag zur Vollbeschäftigung der Rechtsanwälte geleistet zu haben.
»Bei aller verständlichen Kritik«, meinte denn auch vergangene Woche ein Stuttgarter Wettbewerbsrechtler, »uns kann das Gesetz nur recht sein.«