Ökonomen zur Ampeleinigung »Wer auf einen großen Klimawumms gehofft hatte, der wurde vielleicht enttäuscht«

Lindner (l)., Lang und Klingbeil nach der Einigung: »Ergebnisse machen Mut«
Foto: Michael Kappeler / dpaInnerhalb der Ampelparteien dürften die Beschlüsse im Koalitionsausschuss noch für einige Diskussionen sorgen. Doch bei Wirtschaftswissenschaftlern kommen die Kompromisse gar nicht so schlecht weg. »Die Ergebnisse machen Mut, dass die Koalition handlungsfähig ist. Ein wichtiges Signal«, sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm der »Rheinischen Post«.
Ähnlich äußerte sich die Wirtschaftsweisen -Vorsitzende Monika Schnitzer. Das Paket sehe »pragmatische und meiner Einschätzung nach sehr vernünftige Lösungen vor«, sagte sie dem »Handelsblatt«.
Ihre Kollegin Grimm sieht sogar den Verhandlungsmarathon positiv. Mehr als 49 Stunden benötigten die Spitzen der Ampel vom Beginn des Koalitionsausschusses bis zur Pressekonferenz. »Es stellt sich als positiv heraus, dass der Koalitionsausschuss sich etwas Zeit gelassen hat«, sagte Grimm, die Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist.
So lobte sie den Plan, dass die Bahn durch eine Umlenkung der Lkw-Maut mehr Geld bekommen soll. »Den Ausbau der Schiene über eine Lkw-Maut zu finanzieren, ist eine gute Idee«, sagte Grimm.
Grimm sieht negative Aspekte abgeräumt
Auch am Klimaschutzgesetz haben die Parteispitzen Änderungen vereinbar: Die sogenannten Sektorziele bleiben zwar erhalten, gehen aber auf in einer Gesamtrechnung. Künftig soll es also möglich sein, Zielverfehlungen in einem Sektor in einem anderen auszugleichen. Umweltschützer kritisieren dies scharf. Denn die Gefahr besteht, dass sich einzelne Minister angesichts der Gesamtrechnung noch stärker davor drücken, in ihren Bereichen CO₂ einzusparen. Ökonomin Grimm lobt den Beschluss dennoch. »Die Reform des Klimaschutzgesetzes mit Blick auf die zeitliche und intersektorale Flexibilität ist ebenfalls eine gute Sache – sofern die Emissionsreduktionsziele eingehalten werden«, sagte sie.
Bei dem heftig umstrittenen Thema Heizungen haben sich die Koalitionäre darauf verständigt, »dass ein technologieoffener Ansatz verfolgt wird«. Dahinter verbirgt sich die Tatsache, dass auch bei Neubauten eine ganze Reihe von Technologien zum Einsatz kommen darf – also nicht nur Wärmepumpen, Fernwärme und Direktstromheizungen. Zugleich wurde Geld für den Einbau neuer klimafreundlicher Heizungen aus dem Klima- und Transformationsfonds angekündigt.
»Im Gebäudesektor ist es offenbar auch gelungen, die negativen Aspekte abzuräumen. Das dürfte alles nicht dazu führen, dass die Stimmung sich gegen den Klimaschutz wendet«, wertete Grimm die Ergebnisse, die von Kritikern als zu schwammig moniert wurden.
Die Ampelparteien hatten sich am Dienstagabend nach Marathonberatungen auf einen gemeinsamen Kurs in der Klima- und Infrastrukturpolitik geeinigt. Die Beschlüsse sehen auch schnellere Planungsverfahren für große Infrastruktuprojekte vor, darunter 144 Autobahnprojekte sowie für die Bahn, für Stromnetze und erneuerbare Energien.
»Nicht den einfachen Weg gewählt«
Der Ökonom Jens Südekum kann dem Reformpaket ebenfalls positive Seiten abgewinnen. »Insgesamt hat sich die Nachtsitzung der Ampel gelohnt«, sagte der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. »Sie hat viele sinnvolle Maßnahmen auf den Weg gebracht, die bisweilen unspektakulär, technokratisch, fast dröge daherkommen, die aber für effektiven Klimaschutz dafür umso wichtiger sind.«
Es sei kein neues schuldenfinanziertes Großpaket geschnürt worden, mit dem jeder der drei Ampelpartner seine Lieblingsprojekte hätte finanzieren können. Die Möglichkeit dazu hätte es gegeben: »Denn weil die Gaspreisbremse für den Bund viel billiger wird als gedacht, schlummern Kreditermächtigungen im hohen zweistelligen Milliardenbereich im Bundeshaushalt, die man hätte umwidmen können«, sagte das Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums. »Wer auf einen großen Klimawumms gehofft hatte, der wurde vielleicht enttäuscht.«
Statt große Summen ins Schaufenster zu stellen, habe die Ampel ein sehr detailliertes, fast kleinteiliges Papier verabschiedet, wie man Planungs- und Genehmigungsverfahren so beschleunigen könne, damit Klimaschutz im bestehenden finanziellen Rahmen effektiver werde. »Das spricht durchaus für die Ernsthaftigkeit dieser Koalition«, sagte Südekum. »Sie hat nicht den einfachen Weg gewählt, sondern begibt sich in mühevolle Strukturreformen.«
Viele der verabredeten Maßnahmen seien ein Kompromiss. Ebenso wie Grimm kann Südekum dem Plan, die jährlich scharfen Sektorziele bei der Emissionsvermeidung aufzuweichen, etwas abgewinnen. Das sei ökonomisch angesichts der Integration der deutschen CO₂-Bepreisung in den erweiterten europäischen Zertifikatehandel sinnvoll. »Trotzdem ist es eine politische Kröte, die die Grünen schlucken müssen«, sagte der Ökonom. Aber Grund zum Jubeln habe auch die FDP nicht, denn wenn deren Verkehrsminister mehr als zwei Jahre in Folge seine Ziele verfehle, müsse verbindlich nachgesteuert werden. »Spätestens dann wird er einem Tempolimit wohl zustimmen müssen«, sagte Südekum.
»Die Weltformel haben wir noch nicht gefunden«
Anders als die Ökonomen reagierten Verbände und die Position. Umweltorganisationen warfen der Koalition eine Aufweichung von Klimaschutzregeln vor. Auch der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Andreas Jung kritisierte die Ergebnisse des Ampel-Koalitionsausschusses scharf. »Ich bin nicht nur enttäuscht, ich bin in Teilen fassungslos«, sagte er am Mittwoch im ARD-»Morgenmagazin«. »Es wurde nichts beschlossen zum Haushalt, es wurde nichts beschlossen zur Kindergrundsicherung«, führte er aus.
Auch in der Heizungsfrage, die zwischen den Koalitionspartnern zum Streitthema wurde, gebe es nur Allgemeinplätze, keine Antworten. »Alle Fragen sind da offen. Da wird der Streit weitergehen«, sagte Jung.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hingegen zeigte sich zufrieden mit den Ergebnissen. »Die Weltformel haben wir jetzt noch nicht gefunden«, aber man habe nun einen klaren politischen Rahmen, in dem man sich bewegen könne, sagte Kühnert im Bayerischen Rundfunk.