Klimaschutz Stromanbieter droht mit Investitionsverlagerung
Berlin Nach SPIEGEL-Informationen laufen führende Wirtschaftsvertreter Sturm gegen die Umweltauflagen der Europäischen Union. Der frühere Staatssekretär Alfred Tacke, Chef der RAG-Stromtochter Steag, mit milliardenschweren Investitionsverlagerungen nach Asien und Lateinamerika. Auch andere Manager greifen die Bundesregierung wegen der Angebote zum Klimaschutz für die Jahre 2008 bis 2012 an Brüssel massiv an.
"Nach unseren Informationen hat das Bundeskabinett im Wesentlichen den Forderungen der EU-Kommission beim Emissionshandel nachgegeben", zitiert die Zeitung "Die Welt" aus einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass von 18 Top-Managern aus der Energie-Industrie unterschrieben sei. Das Investitionsklima werde "nachhaltig dadurch belastet, dass die beschlossenen Verschlechterungen der Zuteilung einen massiven Vertrauensbruch der Politik gegenüber den betroffenen Unternehmen darstellen", heiße es in dem Brief.
Planungssicherheit für den Bau neuer Kraftwerke sei nicht mehr gegeben, so der Hauptvorwurf. "Beim Energiegipfel zugesagte und teilweise bereits in Angriff genommene Großinvestitionen in die Energieinfrastruktur werden durch diese Rahmenbedingungen wirtschaftlich in Frage gestellt." Unterbleibende Kraftwerksinvestitionen würden "absehbar zu höheren Strompreisen führen". Zu den Unterzeichnern des Schreibens gehören nach dem Bericht der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Jürgen Thumann sowie die Vorstandsvorsitzenden der Energiekonzerne E.on, RWE, Vattenfall, EnBW und Steag.
Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte auf Druck der EU- Kommission für die Jahre 2008 bis 2012 den zunächst nach Brüssel gemeldeten zulässigen deutschen Jahresausstoß an Kohlendioxid (CO2) von 482 Millionen Tonnen auf 465 Millionen Tonnen gesenkt. Und damit ist Brüssel noch nicht zufrieden die EU-Kommission verlangt eine weitere Verringerung auf 453 Millionen Tonnen. Umweltkommissar Stavros Dimas forderte erst heute in der "Wirtschaftswoche": "Deutschland muss nachbessern." Insbesondere die Emissionen des Flugverkehrs müssten reduziert werden, in kaum einem Bereich steige der Ausstoß schneller als im Transportwesen.
Strompreiserhöhungen um zehn Prozent
Im Bundesumweltministerium rechnet man nach SPIEGEL-Informationen wegen der Kosten, die mit der erneuten Verringerung des CO2-Ausstoßes verbunden sind, allerdings schon bei den bisher seitens der Bundesregierung angebotenen Zahlen mit Strompreiserhöhungen von zwei Cent pro Kilowattstunde oder zehn Prozent. Auf die gesamte deutsche Wirtschaft kämen demnach Belastungen von rund zehn Milliarden Euro pro Jahr zu.
Die "Frankfurter Rundschau" berichtet unter Berufung auf SPD-Fraktionskreise, dass Berlin zumindest bei den Privilegien für neue Kraftwerke einlenken will. Sie sollen demnach nicht mehr generell von Klimaauflagen befreit sein, sondern Verschmutzungszertifikate nach einem Verfahren zugeteilt bekommen, das Standardwerte für den CO2- Ausstoß von Kohle- und Gaskraftwerken festlege und moderne Anlagen besser stelle.
Gabriel wies die Angriffe auf Merkel und die Berichte über eine angebliche Übereinkunft zurück. Es gebe mit der EU-Kommission eine harte Debatte über die Frage, ob Brüssel die richtigen Daten bei der Überprüfung der deutschen Emissionsziele habe, sagte Gabriel am Samstag in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Dazu ist bisher nichts entschieden." Die Gespräche dauerten an. "Es gibt keine wie auch immer geartete Übereinkunft."
Merkel persönlich habe sich gegenüber Kommissionschef Manuel Barroso nachhaltig für die deutschen Interessen eingesetzt. "Alle Vorwürfe der Industrie, wir würden das nicht ausreichend tun, sind haltlos und aus der Luft gegriffen", sagte Gabriel. Allerdings müsse sich die deutsche Wirtschaft selber vorwerfen lassen, ihre im Jahr 2001 abgegebene Selbstverpflichtung zur Senkung von Treibhausgasen nicht einzuhalten. Das betreffe vor allem den Ausbau der Kraft-Wärme-Koppelung. "Die Energiewirtschaft hat weit mehr emittiert, als die Industrie gesenkt hat."
ase/AP/dpa