
Klimawandel: Wir reichen Sünder
Umweltschutz Das können Sie persönlich gegen den Klimawandel tun
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Sie wundern sich über endlose Sommer, sorgen sich um abbrechende Eisberge und halten weiße Weihnachten inzwischen für ausgeschlossen? Fisch und Fleisch essen Sie nur noch mit schlechtem Gewissen? Sie liebäugeln mit einem eigenen Bienenstock auf dem Dach und einem Fairphone unterm Tannenbaum?
Dann sind Sie Teil der Gruppe umweltbewusster Menschen in Deutschland. Die für den Schutz unseres Planeten auch etwas tun - und deshalb Bioprodukte kaufen, auch wenn sie teurer sind. Sie verzichten immer öfter auf Fleisch, essen möglichst regional, saisonal und bio. Kühl- und Gefrierschrank sind hocheffiziente Geräte, gespeist mit Ökostrom. Statt ins Auto schwingen sie sich sogar im Winter bewusst mal aufs Fahrrad. Aber: Die Flugreise in den Süden, der kleine Städtetrip nach Lissabon, darauf mögen sie nicht verzichten. Und auf die geräumige Altbauwohnung oder das leider schlecht gedämmte Eigenheim erst recht nicht.
"Klimabesorgte Klimasünder" nennt das Umweltbundesamt (UBA) diesen Typ, oder auch "umweltbewusst bei hohem Ressourcenverbrauch". Das ist doch ein Widerspruch, denken Sie? Durchaus, aber: "Da unterliegen diese Menschen leider einer Selbsttäuschung", sagt Michael Bilharz vom UBA: "Während die Menschen 'bio' kaufen, weniger Fleisch essen und Fahrrad fahren, unterschätzen sie den CO2-Ausstoß durch ihre Fernreisen, ihre schlecht isolierte Wohnung und ihr Auto. Und das sind leider klimatechnisch die Big Points." Bilharz weiß, wovon er spricht, er ist beim UBA für den CO2-Rechner und nachhaltige Lebensbereiche verantwortlich.
Je höher das Einkommen, desto höher der Umweltverbrauch
Tatsächlich gilt: Je höher das Einkommen, desto höher der Umweltverbrauch. Und: Die besonders umweltbewussten Menschen verursachen auch überdurchschnittlich viel CO2, wie eine UBA-Studie herausfand .
Woran das liegt? Letztlich an Einkommen, Bildungsgrad und Lebenshorizont dieser Gruppe. Denn unter den Umweltbewussten sind besonders viele Akademiker, die mehr verdienen und besonders weltoffen sind. Wer mehr Geld hat, bewohnt eine größere Wohnung. Und wer bereits als Student im Ausland gelebt hat, möchte oft weiterhin reisen und Freunde auf der ganzen Welt besuchen.
In Zahlen ausgedrückt: Wer einmal nach New York fliegt und zurück, stößt vier Tonnen CO2 aus. Wer eine 130 Quadratmeter große, schlecht gedämmte Altbauwohnung beheizt, 4,6 Tonnen CO2 pro Jahr. Damit liegt dieser Mensch bereits tonnenweise über dem deutschen Durchschnitt, der bei rund elf Tonnen CO2 jährlich liegt. Zum Vergleich: Eine (eine!) Tonne CO2 dürften wir Deutschen laut UBA ausstoßen, um die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten.

Klimawandel: Wir reichen Sünder
Müssen wir also in kleine Passivhaus-Wohnungen umziehen, auch bei Minusgraden zur Arbeit radeln und dürfen nie wieder in fremde Länder fliegen? Oder, anders gefragt, wie geht das, unser Umweltbewusstsein in Umweltschutz umzusetzen, ohne auf die geräumige Altbauwohnung zu verzichten? Geht das überhaupt? Darüber hat Bilharz sich eine Menge Gedanken gemacht - und schlägt eine Art nachhaltigeren Lebensstil für die Masse vor. Oder jedenfalls für die umweltbewusste Masse.
Die drei Komponenten: politisch sein, kompensieren und sogenannte Key Points umsetzen - also in den Bereichen Mobilität und Wohnen eingreifen, wo besonders viel CO2 anfällt:
Punkt 1 - Seien Sie politisch: Denn ohne engagierte Bürger und öffentlichen Druck gibt es keine Umweltschutzgesetze. Deshalb: Runter vom Sofa, rein in die Lokalpolitik, zetteln Sie grüne Volksabstimmungen oder Fahrrad-Demos an. Das ist nichts für Sie, keine Zeit, nicht so der Demo-Typ? Kein großes Problem, findet Bilharz, Engagement geht auch passiv: Treten Sie zum Beispiel einer Umweltorganisation bei. Je mehr Mitglieder, desto mehr Einfluss haben diese. Kostenpunkt: frei wählbar, je nach Geldbeutel. Sie können auch mit Petitionen Druck für die gute Sache machen. Suchen Sie sich ein Portal, das tatsächlich das Ziel hat, Petitionen in die Parlamente zu bringen, zum Beispiel Openpetition.de oder das Petitionsportal des Bundestags .
Punkt 2 - Kompensieren Sie: Bei einem seriösen Anbieter wie Atmosfair oder myclimate , und zwar nicht nur den Flug, sondern den eigenen jährlichen CO2-Ausstoß. Bei elf Tonnen kostet das rund 250 Euro, steuerlich absetzbar. Also 68 Cent am Tag. So billig kann Klimaschutz sein! Dabei wird das Geld verwendet, um den CO2-Ausstoß an anderer Stelle tatsächlich zu senken, es fließt also in saubere Technologien wie Solarkocher in Ruanda, die klimaschädliche Holzkohle-Feuerstellen ersetzen. "Das wirkt und hat nichts mit Ablasshandel zu tun", sagt Bilharz. Tatsächlich weisen seriöse Anbieter minutiös und öffentlich nach, wie und wo sie das Geld investieren und wie viel Klimagase sie damit einsparen. Ein weiterer Vorteil: Man verschiebt den Klimaschutz nicht auf morgen. Und natürlich ist Kompensation kein Freifahrtschein für ungebremsten CO2-Konsum.
Punkt 3 - Gehen Sie die großen Posten an: Das betrifft vor allem Wohnfläche, Dämmstandard, Fernreisen und Auto. Und hier wird's problematisch: "Selbst BUND-Mitglieder wollen kaum in eine kleinere Wohnung umziehen oder auf den Urlaubsflug verzichten", sagt Bilharz. Aber wie dann? Bilharz hat sich einen Trick ausgedacht: "Es geht nicht nur um Sie, sondern auch um die anderen: Stoßen Sie Klimaschutz in Ihrer Umgebung an." Der Hebel ist sogar oft größer. Konkret: Selbst wer Mieter ist, kann seinen Vermieter zur energetischen Sanierung animieren, Unterstützung im Netz gibt es etwa bei co2online.de . Wer kein Passivenergiehaus hat, kann in erneuerbare Energien investieren : 10.000 Euro für Windkraft erspart der Umwelt rund elf Tonnen CO2 - genau der eigene Jahresausstoß. "Und das Geld kann eine gute Rendite liefern", sagt Bilharz. Wer weniger Geld hat, eröffnet ein Sparbuch bei einer Ökobank: 1000 Euro vermeiden rund 0,2 Tonnen CO2 im Vergleich zu konventionellen Banken.
Das klingt alles relativ machbar. Aber was ist mit dem eigenen Auto? Muss das weg? Teilen, nicht mehr besitzen, lautet Bilharz' Devise. Also Carsharing, am besten nicht privat, sondern bei einer Organisation wie Cambio , car2go oder DriveNow . Damit fallen überflüssige Fahrten weg. Denn: Wer nur schnell zum Bäcker muss, dabei das car2go aber zwei Ecken und fünf Klicks entfernt ist, geht zu Fuß oder schwingt sich aufs Rad. Das funktioniert aber nur, wenn man die eigene Karre wirklich abschafft - was trotz steigender Carsharing-Mitgliederzahlen leider bisher nicht der Fall ist.
"Flugreisen zerhauen die CO2-Bilanz komplett"
Und die Flugreisen? Leider: nein. "Die zerhauen die CO2-Bilanz komplett", sagt Bilharz. Also: Urlaubsziele in der Nähe suchen - Deutschland ist vielfältiger, als der Dauer-Globetrotter gemeinhin denkt. Bei Zielen im Ausland: Auto und Flugzeug stehen lassen - und Bahnfahren. Das verbraucht auch CO2, aber deutlich weniger. Mit ICE und Nachtzug schafft man es auch aus Norddeutschland über Nacht nach Norditalien. Und wer sich unbedingt seinen New-York-Traum erfüllen will: kompensieren - "und klimafreundliche Trends anstoßen". Siehe oben, Punkt 1 und 2.
Was ist aber mit dem Fleisch? Mit den Biolebensmitteln? Ökokleidung? Kalt waschen? Ein Grad runter mit der Heizung? Amazon oder Einzelhandel? Alles richtig und wichtig, sagt Bilharz. Aber der Klima-Effekt dieser Einzelhandlungen ist leider in der Praxis oft begrenzt. Um hier die Spreu vom Weizen zu trennen, schlägt Bilharz vor:
- Erstens den Effekt von Biokost und Kaltwaschgang im CO2-Rechner erfragen - und sich auf die Schwergewichte konzentrieren.
- Zweitens fragen: Wie lange halte ich das durch? Denn: Gewohnheiten ändern ist extrem schwierig. Ein Passivhaus dagegen spart tonnenweise Energie, jahrzehntelang.
- Und drittens die Frage: Stoße ich damit einen Trend, politischen Druck an? Eine Mitgliedschaft in einer Klimaschutzorganisation wirkt über mich hinaus - und ist damit effektiver als die kalt gewaschene Wäsche.
Also, umweltbewusste Klimasünder, rafft euch auf: engagiert euch, kompensiert euren CO2-Ausstoß, dämmt eure Wohnungen und verkauft euer Auto!
Im Video: Wie eine Familie Treibhausgase einspart
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes fand sich die Formulierung, dass CO2 "verbraucht" werde, gemeint war aber "verursacht". Der Fehler wurde korrigiert.