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BETRIEBSRÄTE Kniffliges Problem

Die Arbeitnehmer des Chemie-Multis Hoechst streiten: Die Betriebsratswahlen müssen wiederholt werden. *
aus DER SPIEGEL 33/1987

Wenn bei Hoechst in Frankfurt der Betriebsrat gewählt wird, gleicht der Aufwand der Kommunalwahl in einer kleinen Stadt. Immerhin dürfen 27000 Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben, ungefähr soviel wie in Buxtehude oder Zweibrücken.

Doch bei den jüngsten Arbeitnehmerwahlen in dem Frankfurter Chemie-Multi war alle Mühe umsonst: Das Arbeitsgericht Frankfurt stellte gravierende Fehler bei der Vorbereitung der Betriebsratswahl fest. Die ganze Prozedur müsse wiederholt werden, verfügten die Richter.

Die Schlamperei haben die IG Chemie und einige Vorderleute des Betriebsrats zu verantworten. Auf einer eigens für die ausländischen Mitarbeiter aufgestellten Kandidatenliste fehlten die Unterschriften der Bewerber, einer der Kandidaten war dafür gleich zweimal vertreten. Drei Kandidaten waren schon im Ruhestand.

Zwingende Formvorschriften, so urteilte das Arbeitsgericht, seien verletzt worden. Also muß die Wahl in der Kleinstadt Hoechst wiederholt werden. Der wahre Konflikt, der hinter dem formalen Fehler steckt, wird dann richtig entbrennen.

Das Verfahren vor dem Frankfurter Gericht war nämlich von Mitgliedern desselben Betriebsrats in Gang gesetzt worden, der nun von den Juristen gedeckelt wurde: Die Betriebsratsfraktion »Kollegen für eine durchschaubare Betriebsratsarbeit« hatte das Gericht angerufen. Der umständliche Name suggeriert mit Bedacht, daß es sich bei den übrigen Betriebsräten um undurchschaubare Gewerkschafter handeln soll.

Die beiden Fraktionen im Hoechst-Betriebsrat werden von zwei sehr unterschiedlichen Köpfen repräsentiert, die geradezu klassisch den Konflikt zwischen Grünen und rechten Sozialdemokraten verkörpern. Die etablierte Mehrheit führt der langjährige Betriebsratsvorsitzende Rolf Brand an, ein Multi-Funktionär mit zahlreichen Ämtern und Posten in der IG Chemie, SPD-Mitglied und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Hoechst.

Sein Widersacher von der »durchschaubaren« Minderheit ist der Biologielaborant Hans-Werner Krauss, dem schon seit Jahren die Zusammenarbeit zwischen Betriebsratsmehrheit und Werksleitung allzu klebrig ist. Mehrfach schon versuchten Brand und das Unternehmen, den lästigen Opponenten loszuwerden. Beim letztenmal wurde Krauss angeblich »ehrenrühriger Behauptungen« über Hoechst beschuldigt. Krauss hatte in einer SPD-Versammlung gesagt, er arbeite bei einem Unternehmen, das Druck auf die hessische Landesregierung ausübe, um die »Produktion mit der Folge lebensbedrohender Umweltverseuchung durchzusetzen«.

Die Fehde zwischen Brand und Krauss währt nun schon über zehn Jahre. Damals ging der Jüngere den Betriebsratschef zum ersten Mal wegen dessen »Kungelei« an. Im Schnellverfahren wurden Krauss und seine Mitstreiter wegen »unzulässiger Fraktionsbildung« aus der Gewerkschaft ausgeschlossen. Seitdem treffen sich die beiden fast mehr vor Gericht als im Betriebsratsbüro, denn mit einer Instanz kommen sie selten aus. Auch über die Anfechtung der Betriebsratswahl ist noch nicht endgültig entschieden. Die Chemiegewerkschafter wollen in die Berufung gehen. So können Brand und seine Freunde noch ein Weilchen im Amt bleiben.

Der Prozeß war ohnedies bisher nur ein »mittelprächtiger Erfolg«, wie Krauss meint. Anders als von ihm erwartet, hat sich das Frankfurter Arbeitsgericht um die Beantwortung des eigentlichen Streitpunktes gedrückt. Mit ihrer Wahlanfechtung wollten Krauss und seine Freunde erreichen, daß die große Zahl der leitenden Angestellten bei Hoechst eingeschränkt wird. Wegen der offensichtlichen Formfehler im Wahlverfahren sparten sich die Richter eine Stellungnahme zu dem kniffeligen Problem.

Im Hoechst-Stammwerk haben von fast 30000 Beschäftigten 1760 den Status eines leitenden Angestellten. Sie dürfen sich laut Gesetz nicht an der Betriebsratswahl beteiligen. Die Mehrheitsfraktion hat dies immer widerspruchslos hingenommen.

Die Fraktion der »Durchschaubaren« jedoch ist der Meinung, daß nur 170 bis 200 Direktoren und Prokuristen tatsächlich leitende Funktionen ausüben. 1600 Gruppen- und Abteilungsleiter seien wahlberechtigt wie alle anderen.

Diese Einstufung hat durchaus praktische Bedeutung. Nach der Zahl der Wahlberechtigten richtet sich die Zahl der Betriebsratsmandate. Wenn mehr Mitarbeiter wählen dürfen, gäbe es bei Hoechst zwei Sitze mehr.

Auch wenn die Leitenden Krauss und seinen Gefolgsleuten kaum besonders wohlgesonnen sind: Die oppositionellen Betriebsräte können mit Kampagnen auf sich aufmerksam machen und die herrschenden Räte als lahme Verwalter darstellen.

Darüber hinaus hat die Einbindung der leitenden Angestellten für die Opposition noch eine tiefere Bedeutung. Krauss und seine Mitarbeiter wollen verhindern, daß sich der Sprecherausschuß der leitenden Angestellten bei Hoechst als Neben-Betriebsrat etabliert. Nach ihrer Auffassung soll der Betriebsrat für möglichst viele Mitarbeiter sprechen, egal ob Arbeiter oder Angestellte.

Diese Einstellung deckt sich eigentlich auch mit der offiziellen Politik der IG Chemie. Erst im Juli hat die Gewerkschaft einen Tarifvertrag ausgehandelt, der die Unterschiede zwischen beiden Arbeitnehmergruppen aufheben soll.

Ihre vielen Meinungsunterschiede können der Abweichler Krauss und Betriebsratschef Brand möglicherweise bald wieder innerhalb der IG Chemie austragen. Wegen ihrer Wiederaufnahme in die Gewerkschaft prozessieren die »Durchschaubaren« in dritter und letzter Instanz. Sein Urteil verkündet der Bundesgerichtshof am 21. September.

Die Sache, meint Krauss zuversichtlich, »steht gut für uns«.

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