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FINANZEN Könige des Bundestags

Gerade wieder jonglieren die Haushaltspolitiker des Parlaments mit Milliarden. Ein kompliziertes Geschäft, das durch die Finanzkrise und begehrliche Minister noch schwieriger werden wird.
Von Petra Bornhöft und Christoph Schwennicke
aus DER SPIEGEL 13/2008

Steffen Kampeter und Carsten Schneider trennt ziemlich viel. Der eine ist in Westfalen zu Hause, der andere stammt aus Thüringen. Klassische CDU der eine, unorthodoxe SPD der andere. Gewichtig im Auftritt der 44-jährige Kampeter, jungenhaft-lausbübisch der zwölf Jahre jüngere Schneider.

Eines aber teilt dieses ungleiche Paar: die Leidenschaft fürs Kulturelle, eine Leidenschaft, die sich mancher Sammler eine Stange Geld kosten lässt. Kampeter und Schneider haben sich ihren Enthusiasmus auch viel kosten lassen, genauer gesagt: 400 Millionen Euro. Bezahlt hat in ihrem Fall der Steuerbürger.

Die 400 Millionen Euro hatte Finanzminister Peer Steinbrück Ende des vergangenen Jahres übrig, weil die Steuern so gesprudelt waren. Das geht in die Kultur und nicht auf die hohe Kante, beschlossen die beiden Koalitionäre, die als Obleute ihrer Fraktionen im Haushaltsausschuss sitzen.

»Wir machen Haushaltspolitik und keine Buchhaltung«, sagt Kampeter und ist nicht verlegen dabei, als Haushälter das eiserne Spargebot der Regierung mal außer Acht gelassen zu haben. Schön für die Kunst.

Nach Kampeters und Schneiders Beschluss und dem Plazet der Fraktionschefs von SPD und Union regnete es Geld. Rund die Hälfte der 400 Millionen Euro soll an die Berliner Staatsoper gehen. 45 Millionen Euro kommen in Schneiders Wahlkreis der Klassik Stiftung Weimar zugute. NRW-Mann Kampeter begnügte sich mit 39 Millionen Euro für eine neue Spielstätte der Bonner Stiftung Festspielhaus Beethoven.

Es ist eher eine heimliche Macht, die Kampeter, Schneider und die übrigen 39 Mitglieder des Haushaltausschusses ausüben. Budgetrecht heißt sie dezent. Diese Macht hat sie zu einer besonderen Spezies in der Parlamentswelt werden lassen, mit eigenen und manchmal seltsamen Gepflogenheiten, wie man sie in den nächsten Wochen wieder beobachten kann. Denn gerade haben die neuen Verhandlungen für den Bundeshaushalt begonnen - und alles deutet darauf hin, dass es die härtesten seit Jahren werden.

Die Ministerien haben Anfang März ihre Haushaltsentwürfe im Finanzministerium abgegeben. Doch was Peer Steinbrück an Wünschen der einzelnen Ressorts zu sehen bekam, empfand er als allenfalls mäßig witzig. Allein für 2009 wurden Mehrforderungen in Höhe von 7,5 Milliarden Euro gestellt. Das würde mal eben fast eine Verdopplung der geplanten Neuverschuldung bedeuten.

1,6 Milliarden Euro zusätzlich verlangte allein Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee, weil er unter anderem mehr in den Güterverkehr investieren möchte. Verteidigungsminister Franz Josef Jung wünscht sich rund eine Milliarde extra für die Bundeswehr. Steinbrück lachte nur kurz und schrieb sechs seiner Kollegen einen Brief mit dem Hinweis, die »Ressortanmeldungen« seien »keine realistische Grundlage« für die anstehenden Verhandlungen.

Es sind keine guten Zeiten für lange Wunschlisten. Die Finanzmärkte ächzen unter den Spätfolgen der amerikanischen Immobilienkrise. Nach dem haushaltstechnischen Erfolgsjahr 2007 muss nun für 2009 ein Haushalt gezimmert werden, der unter Börsen-Crash, Rezessionsängsten, Konsumzurückhaltung und Verlustabschreibungen der Banken leiden wird. Unter solchen Bedingungen gerät das erste Gebot der Bundesregierung, bis 2011 einen ausgeglichenen Etat vorzulegen, noch stärker unter Druck.

Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Steinbrück wissen, dass ihre Regierung sonst wenige andere Markenzeichen aufzuweisen hat.

Wer den Konsolidierungskurs gefährdet, dem droht der Zorn der Chefin und ihres Finanzministers.

Doch den anderen Ministern scheint noch nicht ganz bewusst zu sein, dass die fetten Jahre vorbei sind. »Die sind alle noch auf einem komplett anderen Trip«, seufzt Carsten Schneider über seine Kollegen aus den anderen Ministerien.

Auf Schneider und seine Mitstreiter vom Haushaltsausschuss wird es schließlich ankommen. Ihr Budgetrecht bedeutet, dass sie am Ende alle Wünsche genehmigen müssen. Das macht sie gerade in Zeiten von Finanzkrisen, in denen die Ressourcen knapp sind, zu Königen

des Bundestags. Die Frage ist nur, ob die Mitglieder des Ausschusses ihrer Königsrolle gerecht werden. Zweifel sind angebracht.

283 Milliarden Euro umfasst aktuell der Bundeshaushalt. Etwa 80 Prozent dieses Geldes sind fest gebunden. Aber über die verbleibenden rund 20 Prozent, also rund 50 Milliarden jedes Jahr, verfügt der Haushaltsausschuss. Man muss Glück haben, um bei dem Spiel, das die Haushälter spielen, zu gewinnen.

Der Roulettetisch der Republik steht im zweiten Stock des Nordflügels des Paul-Löbe-Hauses in Saal 2400 hinter einer gerundeten Glasfront. Vor jedem Platz liegen zwei dicke Bücher, gut doppelt so stark wie ein hochgeschnittenes Tournedosteak. Eines ist braun und fest gebunden. Das ist der Haushalt 2007, eines hellgrün und nur in Pappe gefasst. Das ist der Haushalt 2008. Hier an diesem doppelten Halbkreis aus mittelbraunem Holz können Träume platzen oder wahr werden, Ministerträume genauso wie Lobbyistenträume.

Manche Haushälter treten hier ganz ungeniert als Lobbyisten in eigener Sache auf. Der Berichterstatter für den Agraretat, Georg Schirmbeck von der CDU, schaffte es beispielsweise im Haushalt 2007, eine Million Euro für »Maßnahmen zur Revitalisierung der Wälder« zu sichern. »Schorse«, wie sie ihn liebevoll im Ausschuss nennen, ist Eigentümer eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs in Niedersachsen sowie Vorsitzender des Waldbesitzerverbandes Weser-Ems.

Prompt reagierte der Deutsche Forstwirtschaftsrat - Lobby der zwei Millionen Waldbesitzer - und wählte Schirmbeck im vergangenen Juni zu seinem Präsidenten. Schließlich stehe Schirmbeck als Berichterstatter »in direktem Kontakt zum für die Forstwirtschaft zuständigen Bundesministerium«.

Die hochgelobte »zupackende, pragmatische Art« des neuen Ober-Försters Schirmbeck zahlte sich aus: Im Haushalt 2008 wurden die Revitalisierungsmittel für den Wald auf zwei Millionen Euro verdoppelt.

Steffen Kampeter erfreute dagegen seine Heimatstadt. Sie kann mit bis zu 300 000 Euro rechnen, um das Jubiläum der Schlacht bei Minden aus dem Jahre 1759 angemessen zu würdigen, bei der die Briten und Preußen die Franzosen besiegten. Ganz in der Nähe und im selben Jahr sollen drei Sonderausstellungen an das Jubiläum der Varusschlacht erinnern. Auch hier hat Kampeter geholfen und sogar bis zu 1,5 Millionen Euro Bundesmittel losgeeist.

»Für meine Ideen muss ich in der Arbeitsgruppe, bei den Berichterstattern, in der Fraktion, im Ausschuss und im Bundestag Mehrheiten finden«, so Kampeter. »Das ist transparent und entsprechend demokratisch legitimiert.«

Transparent. Man begegnet diesem Begriff beim Rundgang durch die Flure und Büros der Haushälter immer wieder. Wer welches Geld wohin umlenkt, das sei alles ganz transparent, heißt es. Transparent arbeitet aber auch der Hütchenspieler in der Fußgängerzone.

Man kann dessen Hände jederzeit sehen. Nur ist man nicht so schnell mit den Augen wie er mit den Händen. Und die eigene Welt des Haushälters versteht der Normalsterbliche eben nicht. Jeder kann alles überprüfen. Aber die wenigsten wissen, wie sie das machen sollen.

Das Zentrum dieser Großmacht der deutschen Politik ist kaum acht Quadratmeter groß. Zimmer 3340, dritter Kamm, dritter Stock im Paul-Löbe-Haus. Wolfgang Hinz hat es sich nett gemacht, so gut es geht. Bei Hinz laufen die Fäden zusammen, die Akten und Termine ein. Bei ihm an der Steckwand ordnet sich die Welt in rote, gelbe, blaue, grüne und orangefarbene Zettel. Hinz ist der Leiter des Büros des Haushaltsausschusses.

Die Welt an der Wand von Wolfgang Hinz versteht nicht jeder. 24 Jahre macht Hinz das schon. Er ist in jeder Sitzung dabei, all die Jahre. Diskretion ist seine Tugend. Unter der Wand liegt der aktuelle Haushalt in Einzelpläne aufgefächert in einem dicken nummerierten Aktenordner.

Es ist schwer, hier den Überblick zu behalten. Ein potentieller Kamellenwagen ist der Etat des Verkehrministeriums. Verkehr, das sind Straßen, Unterführungen, Ortsumgehungen, die berühmten Lückenschlüsse im Autobahnnetz. Unter den Haushältern hat es keinen gewundert, dass der Verkehrsminister für das nächste Jahr mit 1,6 Milliarden Euro schon wieder eine üppige Erhöhung angemeldet hat. Der Verkehrsetat ist asphaltierte Wohltat.

Deshalb ist er bei den Etatverhandlungen am heftigsten umkämpft. »Da redet jeder mit«, sagt Carsten Schneider. Monatelang ringen die Abgeordneten, fordern und feilschen. Es geht um ihr Renommee daheim. Am Ende kann es passieren, wie im Etat 2007, dass in der letzten Nachtsitzung die Ausgaben für Bauarbeiten an den Autobahnen auf insgesamt 420 Millionen Euro hochschnellen. 255 Millionen Euro hatte das Ministerium veranschlagt. Die Haushälter sehen sich mit einem Minister mindestens auf Augenhöhe.

»Das Parlament ist der Auftraggeber der Exekutive«, sagt Kampeter. Wer das nicht begreifen will, muss fühlen. Kein Ministerium habe den Ausschuss so hinter die Fichte geführt wie das Auswärtige Amt, als es zum Beispiel um die Defizite der Goethe-Institute ging. »Das Außenministerium hält das Parlament für blöd, störend und überflüssig«, klagt Kampeter.

Die Rache der Haushälter hat zwei Buchstaben: kw. Drei protokollarische Stellen des Auswärtigen Amts sind zu Ende 2008 mit einem »kw-Vermerk« versehen worden. Kw heißt ausgeschrieben: Künftig wegfallend.

Bei harten Fällen greift der Ausschuss zu »erzieherischen Maßnahmen« (FDP-Mann Jürgen Koppelin). Als Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul einmal versucht hatte, direkt Einfluss auf die Fraktionsvorsitzenden

zu nehmen, musste sie Stunden um Stunden vor der Tür warten wie ein Kassenpatient beim Chefarzt.

Der Haushälter dagegen wartet, dass er umschmeichelt wird: Reisen, Essen, Aufmerksamkeit. Oft bewilligt der Bundestagspräsident ihnen Reisen nach Asien, Amerika, Afrika. Die Chefs der parteinahen Stiftungen bitten zum Frühstück, der Rüstungskonzern EADS hofiert sie.

Und wenn sie nicht gerade selbst verwöhnt werden, verwöhnen sie andere. Im November 2006 schufen Schneider und Kampeter einen neuen Haushaltstitel: »Initiative Musik«. Ein Projekt zur Förderung junger Künstler und zur besseren Integration ausländischer Musiker. Dem 32-jährigen Schneider liegt neben der Klassik eben auch die »Independent Music« am Herzen - und dass seine »SPD für die Kreativwirtschaft sichtbar wird«.

Kampeter will genauso sichtbar werden. Für seine Ideen zur »Förderung der Creative Industries« wirbt der Westfale gern auf der Musikmesse in Cannes. »Der deutsche Gemeinschaftsstand war ein Erfolg«, vermerkt sein letzter Reisereport. Im Etat 2008 ist erneut eine Million Euro gesichert.

In der Großen Koalition achten Union und SPD penibel auf Proporz. Anders als bei kleinen Koalitionen, beobachtet FDP-Haushaltsveteran Koppelin häufig »genau austarierte Kompensationsgeschäfte«. Der Steuerzahler subventioniert die Harmonie.

So genehmigten die Haushälter mit der »Personalliste B« im Etat für das laufende Jahr 73 neue Planstellen für »Grundsatzangelegenheiten« im Kanzleramt und in den Ministerien. Unionsgeführte Häuser bekamen 36 Stellen, die von SPD-Politikern geleiteten Ressorts wuchsen um 37 größtenteils höher dotierte Stellen. »Wenn wir bei einem SPD-Minister kürzen wollen, fragt der sofort, was wir dafür bei der Union streichen«, sagt Kampeter.

In öffentlichen Reden polieren Kampeter und Schneider mit großem Pathos ein anderes Image. »Wenn die Dämme brechen, ertrinken wir in der Schuldenflut«, sagte Kampeter mit Blick auf die Ausgabenwünsche in der Koalition. »Wer es ernst meint mit der Sanierung des Haushalts, der muss jetzt den schönen Worten auch Taten folgen lassen«, variierte Schneider das gleiche Thema.

Es ist ein Selbstbetrug. Erst wenn Haushaltspolitiker etwas Abstand zu ihrer Arbeit haben, geht ihnen das auf. Helmut Wieczorek war 22 Jahre im Ausschuss, zuletzt als Vorsitzender. Er sagt: »Der Haushaltsausschuss hat an der Staatsverschuldung einen Anteil.« Weil man die eigene Regierung nicht »torpedieren« wollte, habe man mitgemacht. Und dann sagt er noch einen Satz, den kein Aktiver so leicht über die Lippen brächte: »Die Politiker sind ja Amateure. Bei aller bewundernswerten Sachkenntnis bleiben sie Amateure.«

PETRA BORNHÖFT, CHRISTOPH SCHWENNICKE

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