
Energiewende Wie Ronald Pofalla den Kohleausstieg retten könnte

Ronald Pofalla
Foto: Marius Becker/ dpaDer Zustand der Kommission, die den Kohleausstieg in Deutschland vorbereitet, ist beklagenswert. Wenn dafür ein weiterer Beweis nötig gewesen wäre, dann haben ihn die Mehrzahl der 31 Teilnehmer an diesem Wochenende geliefert, als sie auf einen Vorstoß des Co-Vorsitzenden Kommission, Ronald Pofalla, reagierten, über den der SPIEGEL berichtet hatte .
"Empörend", sei das, was Pofalla als Kompromisslinie vorverhandelt habe, zürnte der RWE-Gesamtbetriebsratschef. Ein Konzernsprecher des Essener Energieriesens sagte, der Ausstiegskorridor von 2035 bis 2038 sei "ein K.O.-Kriterium" für die Debatte um das Ende der Kohleverstromung. Ein Greenpeace-Mann zeigte sich "irritiert" über den Vorstoß des Bahn-Vorstandes Pofalla. Der Chef der Energiegewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis, beklagte sich über "Hinterzimmergespräche", so als würde Vassiliadis solche Art von Gesprächen niemals führen.
Alle Beteiligten des Kohleausstiegs - Umweltverbände, Industrieleute, Gewerkschaften und die Betroffenen aus den Kohlerevieren - sind über das Wochenende wieder in ihre Schützengräben für die ultimative Verhandlungsschlacht gestiegen. Genau das aber war es, was der Vertraute der Bundeskanzlerin beklagt hatte: Das Aufstellen von Maximalforderungen, den Unwillen, Kompromisse zu suchen, das Verheddern im Unterholz der Klima- und Energiepolitik.
Dabei war das, was Pofalla mit den Kommissionsteilnehmern in vertraulichen Gesprächen verhandelt hatte, genau das Gegenteil davon: Er hat versucht, eine Schneise durch das wuchernde Gestrüpp der Interessen zu schlagen. Pofalla hatte vorgeschlagen, bis ins Jahr 2020 bis zu sieben Gigawatt Kraftwerksleistung stillzulegen oder in eine Reserve zu stecken, als vertrauensbildende Maßnahme für die Klimaschützer. Spätestens im Jahre 2027 solle verbindlich überprüft werden, ob genügend Kraftwerke bis zum Jahre 2030 aus dem Netz gehen, um die Klimaziele aus dem Weltklimavertrag von Paris zu erfüllen. Zwischen 2035 und 2038 dann sollte endgültig Schluss sein mit dem Verfeuern von Kohle, um Elektrizität zu gewinnen.
Jetzt aber ziehen alle wieder ihre Roten Linien, jeder mit moralischem Impetus: Dem einen geht es um die Rettung des Weltklimas, dem anderen um die des Wirtschaftsstandortes und dessen Beschäftigte. Und die Politiker warnen, dass die Kohlereviere in der Lausitz oder Mitteldeutschland der AfD zur populistischen Ausschlachtung überlassen wird.
Ein Mechaniker der Macht
Pofalla dürfte überrascht gewesen sein von den der Heftigkeit der Reaktionen. Die dramatischen Ereignisse im Hambacher Forst am Wochenende wirkten da wie ein Brandbeschleuniger.
Der Bahn-Manager wird sich davon aber nicht beeindrucken lassen. Er ist ein Mechaniker der Macht. Als Kanzleramtschef hat er Angela Merkel politische Hindernisse aus dem Weg geräumt. Aus langer Erfahrung wird er wissen: Wenn alle an einem solch komplizierten politischen Prozess beteiligten Personen aufjaulen, dann muss er mit seinem Vorschlag in die richtige Richtung zielen.
Über die vergangenen Wochen hat er die Schmerzgrenze jedes Interessenvertreters ausgelotet. Grüne und Umweltschützer könnten mit einem Ausstiegsdatum bis 2035 leben. So hat es eine von ihnen in Auftrag gegebene Studie beschrieben. Die Konzerne wollen einen möglichst klaren Fahrplan für den Ausstieg, und sie wollen Geld für ihre alten Kraftwerke. Dann sind sie bereit zum Ausstieg aus der Kohle, die in ihren Bilanzen mittlerweile zu einem schwer kalkulierbaren Risikofaktor geworden ist. 2038 könnte ein Datum sein, hinter der sich die Kohlekonzerne versammeln könnten.
Der Durchbruch ist möglich
Pofalla kennt aber auch die Befindlichkeiten der Menschen vor Ort: Sie wollen Verlässlichkeit und ein klares Bekenntnis des Bundes zum Strukturwandel. Deshalb schlägt er ihnen ein Bundesgesetz vor, in dem alle Infrastrukturprojekte, vom Breitbandkabel über den Bahnanschluss bis zur Ansiedlung von Bundesbehörde festgeschrieben werden. Pofalla hat kein Vertrauen zerstört, so wie seine Kritiker jetzt behaupten, sondern er hat die Bälle in die Luft geworfen.
Am Dienstagmorgen setzen sich die Kommissionsmitglieder zu ihrer nächsten Sitzung zusammen. Jetzt besteht die Möglichkeit, endlich das Spiel mit den Bällen aufzunehmen. Die pragmatischen Kräfte in der Kommission müssen ab heute den vorgezeigten Pfad ausformulieren. Viel Zeit bleibt dem Regierungsgremium nicht. Ende Oktober sollen die Ergebnisse zum Strukturwandel festgezurrt sein, Anfang Dezember dann das gesamte Ausstiegspaket.
Es wäre der Durchbruch: Deutschland würde unter Beweis stellen, Klimapolitik nicht immer nur mit der Formulierung ambitionierter Ziele für die ferne Zukunft zu betreiben. Das Heimatland der Energiewende könnte der Weltgemeinschaft demonstrieren, dass man es ernst meint damit, den Planeten vor der Überhitzung zu bewahren.
Im Video: Protest gegen Braunkohle (SPIEGEL TV von 2017)