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PHARMA Kontrolle über jede Pille

Um Fälschungen und unerwünschte Exporte zu unterbinden, will der Pharmakonzern Pfizer den Medikamentengroßhandel entmachten.
Von Heiko Martens
aus DER SPIEGEL 33/2005

Pfizer-Chef Henry McKinnell ist nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht, den Profit seines Unternehmens zu mehren.

Mit der aggressivsten Werbung der ganzen Branche drückt der Chef des größten Pharmaherstellers der Welt seine Pillen in den Markt. Mit 38 000 Arztbesuchern, der größten Verkaufsmaschinerie der Pharmawelt, bearbeitet er die verschreibenden Mediziner.

Und wenn dem starken Boss aus New York die Gesundheitspolitik eines Landes nicht passt, dann schießt er auch schon mal mit einer Anzeigenkampagne gegen die Regierung - wie jüngst in Deutschland, als Pfizer sich weigerte, den Preis für den Cholesterinsenker Sortis auf Druck aus Berlin herabzusetzen.

Jetzt hat McKinnell ein neues Ziel: Er will den deutschen Arzneimittelmarkt aufmischen. Vorigen Donnerstag erläuterte sein Chefjurist Michael Klein, Geschäftsführer der Pfizer Pharma GmbH in Karlsruhe, ausgesuchten Medikamentengroßhändlern den Plan. »Da läuft ein riesiges Machtspiel«, beobachtet ein Pfizer-Konkurrent, »das den Pharmamarkt in Deutschland auf den Kopf stellt.«

Mit einem neuen Vertriebssystem will Pfizer, mit einem Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Euro auf Rang drei im deutschen Arzneimittelmarkt, die vollständige Kontrolle über jede Pille erreichen, die für den deutschen Markt ausgeliefert wird.

Für die Verteilung will der Pharmariese mit wenigen Großhändlern Verträge schließen, die den Zwischenhandel zum reinen Logistikumschlagplatz herabstufen. Nach den Anweisungen eines 38-seitigen »Request for Proposal« (RfP), das den Großhändlern mit Vollsortiment zugeschickt wurde, sollen die Händler bis Mitte September ihre Angebote einreichen.

Pfizer beabsichtige, so heißt es darin, allen 21 400 in Deutschland ansässigen Apotheken »das gesamte Pfizer-Produktportfolio an verschreibungspflichtigen Medikamenten direkt zu liefern«. Bis zur Übergabe an den Apotheker werde Pfizer in Zukunft Eigentümer der Produkte bleiben.

Mit der totalen Transparenz und Kontrolle - täglich müssen die ausgewählten Vertragshändler »Daten aller eingegangenen Bestellungen und den daraus resultierenden Lieferungen inklusive Kundeninformationen« (RfP) nach Karlsruhe melden - will Pfizer angeblich vor allem den Patienten in Deutschland dienen. Engpässe bei den Apotheken soll es in Zukunft nicht mehr geben, Fälschungen sollen vom Markt verschwinden.

Allerdings hat Pfizer mit gefälschten Medikamenten, die vornehmlich im Großhandelsbereich in die Verteilerkette gemischt werden, besonders große Probleme. Erst vor zwei Wochen fischten Fahnder in England große Mengen gefälschter Sortis-Packungen aus der offiziellen Handelskette. Die Fälschungen, die nicht den Pfizer-Wirkstoff enthielten, waren aufgefallen, weil die Packungen nicht versiegelt, sondern mit einer Lasche verschlossen waren.

Besonders anfällig ist das teure Potenzmittel Viagra. Weltweit wurden im Vorjahr zehn Millionen gefälschte Tabletten sichergestellt, und das bei einem Tablettenpreis von über zehn Euro das Stück.

Das allein, so argwöhnen die vor der Entmachtung stehenden Großhändler, würde aber den radikalen Umbau des Vertriebssystems wohl nicht rechtfertigen.

Tatsächlich entsteht Pfizer wie allen anderen Pharmafirmen ein zunehmender Schaden durch den schwunghaften Handel, der von Großhändlern und Apotheken mit Medikamenten getrieben wird. Originalpräparate wie Sortis, Norvasc oder das Epilepsiemittel Lyrica werden aus dem deutschen Markt heraus in Länder exportiert, in denen diese Produkte teurer sind. Pfizer-Chef Klein: »Da gehen erhebliche Mengen weg.«

Und das kann nicht nur zu Engpässen in deutschen Apotheken führen. Das schadet vor allem dem Hersteller, der in den hochpreisigen Ländern wie Österreich entsprechend weniger absetzen kann.

Inzwischen grasen fliegende Händler die Apotheken ab und kaufen Restbestände der begehrten Ware. Mit einem geringen Arbeitsaufwand, wirbt etwa der Pharmahändler A. C. A. Müller in Gottmadingen in einem Rundschreiben an Apotheker, seien leicht mehrere tausend Euro zusätzlich im Monat drin. »Ich kann Sie darauf hinweisen«, so Müller, »dass wir von einigen Apotheken vier- bis sechsmal pro Monat Lieferungen in der Größenordnung von 25 000 bis 70 000 Euro erhalten.«

Fälschungen und der durchaus legale schwunghafte Im- und Export zwischen Ländern vor allem in Europa, wo fast überall die Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel staatlich reglementiert werden, schmerzen nicht nur den Marktführer Pfizer. Wenn die hemdsärmeligen New Yorker mit der Übernahme des Vertriebssystems Erfolg haben, so fürchten Händler und Apotheker, dann werden die anderen Pharmahersteller nachziehen und die Löcher für gute Nebenverdienste stopfen.

McKinnells Stadthalter Klein ist vom Erfolg seines eigenen Vorstoßes überzeugt: »Wir werden das durchsetzen.«

HEIKO MARTENS

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