Kostbarer Rohstoff Was den Ölpreis bewegt

Warum sind die Ölpreise zuletzt so deutlich gestiegen? Meist werden als Gründe die brummende Weltkonjunktur und die darum gestiegene Nachfrage genannt. Dabei ist das nur die halbe Wahrheit, wie der Volkswirt Willi Semmler erklärt.

New York - Ein Kollege berichtete mir vor kurzem von einem Gedankenspiel, das er mit seinen Studenten abgehalten hat. Er bat sie auszurechnen, wie viele Jahre die Erdölreserven auf der Welt noch reichen würden. Die Lage beschrieb er ihnen folgendermaßen: Sie sollten annehmen, dass die Ölvorräte weltweit noch 120 Milliarden Tonnen betragen und dass die jährliche Abbaurate bei vier Milliarden Tonnen liegt.

Die Studenten errechneten richtigerweise, dass das Öl in 30 Jahren zur Neige gegangen sein würde. Erst hinterher verriet mein Kollege, dass er dieselbe Aufgabe exakt so schon einmal vor 30 Jahren gestellt hatte, im Jahr 1976. Damals hielt man die genannten Zahlen für korrekt. Er wollte mit der Übung verdeutlichen, wie unsicher unsere Schätzungen über das Ende der Ölreserven sind.

Derzeit geht man davon aus, dass die Erdölreserven in den USA noch etwa 20 bis 30 Jahre reichen. Das kann, muss aber nicht stimmen. So hat es seit dem ersten Ölpreis-Schocks in den siebziger Jahren vielerlei Maßnahmen gegeben, um den Verbrauch von Öl und Energie zu drosseln.

Wie lang reichen die Reserven?

In Europa beispielsweise ist der Ölverbrauch pro Einheit des Bruttoinlandsprodukts seither um 30 bis 40 Prozent gesunken - das gilt sowohl für die privaten Haushalte als auch für die Industrie. In der weltgrößten Volkswirtschaft, den USA, waren die Einsparmaßnahmen allerdings weit weniger deutlich.

Viele Wirtschaftswissenschaftler betonen zudem, dass mit gestiegenen Ölpreisen auch ein zusätzliches Angebot in die Märkte kommt - denn bisher zu kostspielige Produktion wird auf einmal profitabel. So werden inzwischen auch Substitute wie die Ölsände in Kanada abgebaut, was das Ablaufdatum für die globalen Vorkommen nach hinten verschiebt. Für die Mineralölkonzerne sinken mit dem aufwändigen Abbau solcher Vorkommen allerdings die derzeit noch sehr hohen Profitmargen.

Klammert man die Effekte der Inflation aus, liegen die momentanen Rohölpreise immer noch knapp unter den Allzeitrekorden aus den siebziger Jahren. Die Verknappung des Ölangebots hat aber, im Verein mit der gestiegenen globalen Nachfrage, sicherlich ihren Teil zu den jüngsten Preissteigerungen auf den Weltmärkten beigetragen. Erst jüngst kletterte der Preis für ein Barrel Rohöl auf über 78 Dollar, ein Anstieg auf 100 Dollar pro Fass scheint nicht mehr ausgeschlossen. Der Benzinpreis an den amerikanischen Tankstellen ist seit 2004 gar um das Doppelte gestiegen.

Welche Rolle spielen die Futures-Märkte?

Was bewegt den Ölpreis - und warum schwankt er über die Jahre hinweg so extrem? Es gibt vielerlei Theorien, die das zu erklären versuchen. In den siebziger und achtziger Jahren wurden oft das Förderkartell Opec und seine Preispolitik für Anstiege verantwortlich gemacht. Inzwischen betonen Volkswirte und Teilnehmer an den Rohstoffmärkten die Endlichkeit der Ressourcen und die geologische Ungleichverteilung der Lagerstätten: So lagern in den USA, Kanadas und Mexikos zusammen nur noch fünf Prozent des gesamten Weltangebots an Öl.

Natürlich können auch temporäre Störungen des Angebots den Preis ansteigen lassen - und zwar viel stärker als bei den meisten anderen Produkten. Wirbelstürme, geopolitische Krisen, politische Unruhen und Streiks, beeinflussen die Barrel-Preise oft kurzfristig auf dramatische Weise. Wir Volkswirte sagen, dass die Nachfrageelastizität des Energieverbrauchs relativ gering ist und daher kleinere Änderungen im Angebot den Preis stark ansteigen lassen.

Gegenwärtig bewirkt aber noch ein weiterer Mechanismus, der mit der Funktionsweise moderner Finanzmärkten zu tun hat, den Anstieg der Ölpreise: Der Handel mit Ölderivaten auf den Futures-Märkten hat in den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. An diesen Märkten wird schon heute die Nachfrage von morgen gehandelt. Händler antizipieren zum Beispiel, was China künftig für Öl zu zahlen bereit sein könnte. Die Preise für die Derivate wirken dann wiederum auf die realen Preise zurück.

So hat nicht allein die Verknappung des realen Erdöls, die einer steigenden Nachfrage von Wachstumsregionen wie China und Indien gegenübersteht, den Preis hochgetrieben. Auch die Finanzmarktblase bei den paper barrels hat ihren Teil dazu beigetragen. Das Gesamtvermögen, das in die Futures-Märkte investiert ist, ist in den Jahren 2000 bis 2006 von 40 Milliarden auf 140 Milliarden angestiegen. Der Trend wurde noch dadurch verstärkt, dass Kredite aufgrund der niedrigen Zinsraten billig zu haben waren.

Kippt nun die Konjunktur?

Bisher hat der steigende Ölpreis noch keinen großen Einbruch des Wirtschaftswachstums bewirkt. Der kann aber noch kommen. Wenn zum Beispiel als Reaktion auf den Israel-Libanon-Konflikt Massenunruhen in islamischen Ländern ausbrechen sollten wie im Frühjahr während des Karikaturen-Streits, könnte die neue geopolitische Unsicherheit die Ölpreise sprunghaft hochtreiben.

Anfällig wäre die Konjunktur jedenfalls: Das amerikanische Wirtschaftswachstum schwächt sich bereits ab, im vergangenen Quartal betrug es annualisiert nur noch 2,5 Prozent. Der US-Notenbankchef gibt Warnungen heraus, wonach die Zinsrate weiter erhöht werden könnte. Die Kaufkraft der Menschen mit mittlerem Einkommen in den USA ist in den vergangenen Jahren kaum gestiegen. Gleichzeitig stiegen die Schulden der Privathaushalte. Die Immobilienpreise fallen bereits, daher schrumpft auch die Kreditwürdigkeit vieler Haushalte.

Wenn also ein drastischer Anstieg der Ölpreise und weitere Zinserhöhungen zusammenkommen - dann könnte das angesichts der labilen Wirtschaftslage in den USA in der Tat eine Wirtschaftskrise einleiten.

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