COMPUTER Kräftig getrommelt
Nach Dienstschluß nahm sich Professor Manfred Heckle Zeit für ein paar Notizen. Auf zwei Blatt kariertem Papier schrieb der Leiter des Bereichs Datentechnik im Chemie-Konzern BASF einige Instruktionen nieder.
Die Kunden müßten darüber informiert werden, notierte Heckle, daß elektronische Datenverarbeitung »nicht 100prozentig fehlerfrei sein kann«. Dann widmete sich der Manager einem kleinen Lieferanten, der Dransdata Computer Systeme GmbH (DCS).
Von der Göttinger Firma bezieht die BASF seit Jahren Software für ihr Arbeitsplatz- Computer-System 7100. Doch immer häufiger gab es zwischen der nur zwölf Mann starken Spezialisten-Truppe aus Niedersachsen und dem Multi aus Rheinland-Pfalz Streit über den richtigen Computer-Kurs.
Heckle wollte endlich Klarheit. »Könnten wir«, heißt es in seiner Notiz an einen Untergebenen, »DCS in den Konkurs zwingen, wenn wir auf Zinszahlung etc. bestehen?«
Ähnlich rabiat geht der pfälzische Trust gegen unzufriedene Käufer ihrer Computer vor. Gerd Hadrich, ein Arzt aus Salzgitter, der sich mehrfach über seinen störanfälligen Praxis-Computer aus dem Hause BASF beschwert hatte, berichtet von unmißverständlichen Drohungen.
Wenn Hadrich seinen Fall publik mache, habe ihm ein Manager aus der BASF-Rechtsabteilung angekündigt, hätte das erhebliche Konsequenzen. Er würde damit, meinte der Jurist wohl in Anspielung auf einen möglichen Millionen-Prozeß, seine Existenz gefährden. Hadrich: »Die scheuen offenbar vor nichts zurück.«
Mit der geballten Macht eines Welt-Konzerns versucht das Chemie-Unternehmen, mit den Problemen seiner Datentechnik fertig zu werden. Flankiert von den Hausjuristen, will Heckle auf diese Weise einen krassen Fall von Mißmanagement verdecken.
Mit viel Geld und viel Ehrgeiz war der Chemie-Gigant Ende der 70er Jahre in die branchenfremde Computer-Sparte eingestiegen. Vom japanischen Datenspezialisten Hitachi bezogen die Deutschen Großrechner, die US-Firma Digilog lieferte den kleinen Arbeitsplatzcomputer mit dem Namen System 7100.
Die BASF, die keine eigenen Systeme entwickelt hatte, kümmerte sich vorwiegend um den Vertrieb. Die Manager hatten sich ausgerechnet, daß sich mit der Marktmacht des Chemie-Konzerns
auch im Computer-Geschäft gute Erfolge erzielen lassen wurden
Das Kalkül ging, teilweise jedenfalls, auf. An Großrechnern der Marke Hitachi konnte die BASF beispielsweise mehr Anlagen installieren als Siemens.
Auch im Bereich Arbeitsplatz-Computer lief zunächst alles wie geplant. Die Manager aus Ludwigshafen hatten auf dem hartumkämpften Markt eine vielversprechende Nische erspäht - die Arztpraxis.
Die BASF-Tochter Knoll AG, Hersteller von Pharma-Chemikalien und Arzneimitteln, übernahm die Vermarktung des Arzt-Computers. Die Göttinger Dransdata wurde 1981 verpflichtet, die Software zu liefern.
Die Knoll-Manager träumten von Rekordzahlen. »Bei hohem Werbedruck«, heißt es in einer Marktanalyse aus der Anfangszeit, könnten bis 1986 mindestens 900 Systeme verkauft werden.
Die Realität war anders. Einige Dutzend Anlagen waren installiert, da häuften sich die Klagen von Ärzten. Der BASF-Computer, der sämtliche Patienten-Daten speichern und auch die Kassenabrechnungen erleichtern sollte, erwies sich als überaus störanfällig.
Die Ärzte klagten, daß gespeicherte Diagnose- oder sonstige Daten von Patienten in dem System verlorengingen. Oft auch fielen vom US-Unternehmen Digilog bezogene Hardware, Plattenlaufwerke oder Steuereinheiten aus. Die Probleme bei der Behandlung häuften sich, Abrechnungen mit Kassen- und Privat-Patienten konnten nicht termingerecht abgeliefert werden.
Sicherlich, Ärger mit der komplizierten Elektronik haben andere Computer-Konzerne auch. Doch einigermaßen verblüffend ist, wie die BASF Kunden und Partner, darunter die Dransdata, hinter das Licht führte. Die Fehler, versprachen wiederholt die Chemie-Manager ihren Kunden und der Göttinger Firma, würden bald ausgemerzt. In Werbung und Kundendienst, versicherte beispielsweise BASF-Manager Gregor Weber im Frühjahr 1982 auf einer Händlertagung in Straßburg, werde kräftig investiert. Bereits auf der Hannover-Messe 1983 sollte von der BASF ein neuer 16-Bit-Rechner von Hitachi als Ersatz für den Digilog-Computer vorgestellt werden.
Die Dransdata wurde immer wieder ermuntert, nach den Programmen für Ärzte auch Software für Versicherungen, die Forstwirtschaft oder Krankenhäuser zu erarbeiten. Etliche neue Kunden ließen sich locken: Die Salzburger Landesregierung etwa, der Fürst Bismarck aus dem Sachsenwald oder die Medizinische Hochschule Hannover orderten BASF-Computer.
In Wirklichkeit aber drehte der Konzern seine Aktivitäten kräftig zurück. Der Vorstand, will die Dransdata wissen, habe bereits Mitte 1982 beschlossen, was Ende 1983 endgültig passierte: BASF hörte auf, Personal-Computer zu verkaufen.
Das Ende zeichnete sich bereits vor vier Jahren ab. Damals durchkreuzte der weltgrößte Computer-Bauer IBM die Pläne der BASF: Der US-Multi kündigte einen neuen Personal-Computer an. Gegen diesen Konkurrenten aber rechnete sich die BASF mit ihrem Pannengerät offenkundig kaum noch Chancen aus.
Intern jedenfalls war die Meinung über das System 7100 einhellig. »Die Gerätekonzeption"«, heißt es in einer Vorlage für die BASF-Vorstandssitzung am 1. Juni 1982. »hat bereits 1981 ihren Kulminationspunkt in der technologischen Wettbewerbsfähigkeit erreicht.
Und: »In 1982 muß der derzeitige Typ durch einen neuen, leistungsfähigeren und kostengünstigeren ergänzt oder ausgetauscht werden.«
Daran war aber nicht zu denken. »Die finanziellen und personellen Ressourcen dafür«, heißt es in einem »streng vertraulichen"« Protokoll, »können zur Zeit nicht bereitgestellt werden.«
Das Management wurde vergattert, vom Rückzug nur ja kein Wort verlauten zu lassen. Schließlich drohten so eine BASF-Studie, »Schadenersatzforderungen von verschiedenen Softwarehäusern und auch Großkunden«. Die hätten immerhin »Mittel in die Anwendung unseres Systems investiert«.
Andererseits aber wollte die BASF den Verkauf der reichlich vorhandenen Lagerbestände nicht gefährden. So wurde denn für das umstrittene Produkt auch weiterhin kräftig getrommelt.
»In der europäischen EDV«, tönten die Ludwigshafener Mitte 1983 in einem Werbetext, »hält die BASF Schritt mit der Spitze.« Eine »überzeugende Konzeption: Qualität und Leistung liegen hoch, die Kosten niedrig«.
Für viele Kunden liegt die Wahrheit genau umgekehrt. Ein Dutzend Ärzte hat nun beschlossen, gemeinsam gegen die BASF vorzugehen. Die Mediziner wollen sich, so der Trierer Urologe Georg Martin, »nicht länger verdummen und hinhalten lassen«.
Das Göttinger Dransdata-Team muckt ebenfalls gegen den Multi auf. Die Firma, die sich auf die Expansionssprüche aus Ludwigshafen verlassen hatte, sieht sich nun um etliche Expansionschancen betrogen. Sie hat eine Schadenersatzklage in Höhe von über 14 Millionen Mark eingereicht.
BASF-Manager Heckle, dem Kollegen Ambitionen auf einen Vorstandsposten nachsagen, hat nicht nur diese Klagen abzuwehren: Zugleich soll der ehrgeizige Bereichsleiter auch die BASF Großcomputer völlig neu gruppieren.
Der Vorstand in Ludwigshafen will seinen gesamten Hardware-Bereich, Großrechner, Platten- und Bandlaufwerke, Drucker, aus dem Konzern ausgliedern und in eine neue Firma, Sitz in Mannheim, einbringen. Die neue Tochter wird auch zuständig sein für die rund 300 von der BASF in Europa installierten Hitachi-Großrechner.
Einen Partner für das Projekt hat die BASF offenbar gefunden: Siemens soll mit einer Minderheitsbeteiligung in die neue Firma einsteigen.
Eine solche Partnerschaft könnte den Münchnern aus arger Verlegenheit helfen. Siemens wurde über Jahre hinweg vom japanischen Computer-Produzenten
Fujitsu mit Großrechnern versorgt, bis die Japaner überraschend vor wenigen Monaten, die Lieferung der Betriebssysteme einstellten.
BASF könnte da einspringen. Die Fujitsu-Anlagen sind wie die Hitachi-Geräte mit IBM-Computern kompatibel. Mit relativ geringem Aufwand könnte Siemens somit das Hitachi-Betriebssystem für seine rund 100 in Europa installierten Fujitsu-Großrechner ummodeln.