Schmutzkampagne gegen Rüstungskonzern "Sie wissen, wo ich wohne"

Der deutsche Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann will sich mit der französischen Firma Nexter zusammenschließen. Das passt nicht jedem. In den vergangenen Wochen wurden Konzern und Geschäftsführer Haun offenbar das Ziel einer Schmutzkampagne.
Krauss-Maffei-Wegmann-Chef Haun: Klingelterror und Erpresserbriefe

Krauss-Maffei-Wegmann-Chef Haun: Klingelterror und Erpresserbriefe

Foto: © Michaela Rehle / Reuters/ REUTERS

Es war morgens, viertel vor fünf, als es bei Frank Haun klingelte. Haun stand auf, er schaute aus dem Fenster, aber unten war kein Mensch an der Tür. Fünf Minuten später: wieder die Klingel. Wieder keiner an der Tür. 4.55 Uhr: die Türklingel, 5 Uhr: die Klingel. 5.05 Uhr: die Klingel. Alle fünf Minuten. Bis 6.20 Uhr. Dann rief er die Polizei.

Jemand hatte am Klingelknopf herumgebastelt, ein kleines Gerät angesetzt, einen Impulsgeber. Der hatte Haun aus dem Schlaf gerissen. Aber für ihn war klar, dass es hier um mehr ging: "Die Nachricht war: Sie wissen, wo ich wohne." Sie?

Haun lebt in München, in einem Mehrfamilienhaus, wo genau, ist streng geheim, denn Haun ist Chef des Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann. Er steht nicht im Telefonbuch, sein Eintrag im Melderegister ist gesperrt, kein Name an der Klingel. Bisher dachte Haun, dass er sich vor Linksautonomen verstecken müsste, vor Rüstungsgegnern, die in ihm einen Händler des Todes sehen. Doch in diesem Fall vermutet Haun, dass andere Gegner ihn gesucht, verfolgt, gefunden hatten.

Umstrittener Zusammenschluss der Rüstungskonzerne

Seit Monaten verhandelt Krauss-Maffei Wegmann (KMW) mit der französischen Panzerfirma Nexter über einen Zusammenschluss, doch der ist umstritten. Oder besser gesagt: er war es zumindest. CDU und CSU in der Regierungskoalition sind grundsätzlich für den Deal, es geht um größere Konzerneinheiten und geringere Kosten. Aber auch darum, dass die Frankreich-Connection mehr Aufträge verspricht.

Die Franzosen sind weniger streng, wenn es um Rüstungsexporte geht, das könnte KMW nach einer Vereinigung für künftige Panzermodelle ausnutzen. Dagegen galt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zunächst als Anhänger einer rein deutschen Lösung, für die auch ein Partner bereitsteht: die Düsseldorfer Rheinmetall AG. Die hat ebenfalls Appetit auf KMW, würde sich gern mit den Bayern zusammentun und Nexter ausstechen.

Allerdings würde die deutsche Panzerindustrie dann voraussichtlich schrumpfen, wegen der Exportkontrollen, die künftig noch strenger gehandhabt werden sollen. Aus Sicht von KMW-Chef Haun ist deshalb "nationale Konsolidierung nationaler Unfug".

Gespielt wird offenbar mit schmutzigen Tricks

Das sieht inzwischen aber wohl auch Minister Gabriel so. Auf Anfrage will sich sein Haus dazu nicht äußern, doch seit ein paar Wochen hört man von Gabriel nichts mehr zur deutschen Variante. Stattdessen soll sein Ministerium schon mit den Franzosen über eine gemeinsame Exportkontrolle für das Projekt "Kant" verhandeln, den KMW-Nexter-Deal.

Und Zufall oder nicht, kaum zeichnete sich der Schwenk ab, begannen die Attacken. Wer auch immer nun die Entscheidung beeinflussen will, mit welchem Ziel - gespielt wird offenbar mit schmutzigen Tricks. Der Klingelalarm am frühen Morgen des 9. Januar ist nur einer davon. Dokumentiert sind die Vorgänge in einem Schreiben von Haun an den französischen Nexter-Chef, Philippe Burtin, und in einer Strafanzeige, die Haun gestern bei der Staatsanwaltschaft München I gegen Unbekannt stellte.

Die Vorfälle beschäftigen neben den Ermittlern auch das Kanzleramt, das Auswärtige Amt und die Ministerien für Verteidigung und Wirtschaft. Sie alle hat Haun inzwischen alarmiert. Den Anfang in diesem Wirtschaftskrimi machte ein anonymer Erpresserbrief im November, bei dem heute nicht klar ist, ob er tatsächlich schon Teil der "Kampagne" war, von der Haun spricht.

Der Absender forderte 100.000 Euro. Er stellte sich als Ermittler vor, der Schmiergeld-Vorwürfe gegen KMW in Griechenland untersuche und belastende Papiere verschwinden lassen könne. Haun schaltete die Polizei ein, doch zur fingierten Geldübergabe erschien der Erpresser nicht.

Anfang Dezember bekamen die Guerilla-Attacken eine deutliche Richtung. Rund 20 Anteilseigner vom KMW fanden einen Brief im Postkasten, Absender: ein Anwalt aus Zürich. Er vertrete "eine Gruppe von Mitarbeitern der Krauss Maffei - Wegmann GmbH & Co KG" - dass er zwischen "Maffei" und "Wegmann" einen Bindestrich setzte, statt zwischen "Krauss" und "Maffei", sollte aus Sicht von KMW-Chef Haun noch eine Bedeutung bekommen.

Der Schweizer Anwalt schrieb, seine Mandanten wollten anonym bleiben, aus Angst vor "Repressalien". Sie machten sich aber große Sorgen wegen des Joint Ventures mit den Franzosen. Dann warnte er vor "Nachteilen für deutsche Standorte und die deutschen Mitarbeiter". Die könnten ihre Arbeitsplätze verlieren - und die Eigentümer die Kontrolle über die Firma.

Wen vertritt der Schweizer Anwalt?

Zwei Wochen später der nächste Brief aus der Schweizer Kanzlei. Wieder mit dem Bindestrich-Kürzel "KM-W", in der Sache aber noch deutlich rauer. Haun habe im Gespräch mit Journalisten gesagt, er wolle schon deshalb den Deal mit den Franzosen machen, weil die ihm einen neuen Fünfjahresvertrag als Geschäftsführer angeboten hätten.

Seine Mandanten, so der Anwalt, hielten es deshalb für naheliegend, dass Haun "weitgehend im eigenen pekuniären Interesse handle". Haun bestreitet, dass die Franzosen ihm je so eine Zusage gemacht hätten, geschweige denn, dass er sich damit auch noch vor Journalisten gebrüstet habe. Er schickte seine Konzernjuristen los; kurz darauf gab der Schweizer Anwalt eine Unterlassungserklärung ab. Er werde nicht noch einmal behaupten, dass Haun Journalisten so etwas gesagt habe.

Doch für wen er arbeitet, wollte der Advokat weiterhin nicht verraten. Waren seine Mandanten gar keine KMW-Mitarbeiter? Dafür spricht einiges. Am 20. Januar erhielt Nexter-Chef Burtin eine Mail von einem Burnell Ruais, offenbar ein Fantasiename, von einer Internetadresse, die sich nicht zurückverfolgen ließ. Auch Monsieur Ruais warnte vor einer Fusion. Er finde es "beunruhigend, dass ein Vorhaben mit so großen Konsequenzen für die industrielle Entwicklung in Frankreich und die Zukunft der Arbeitsplätze" so nachlässig behandelt werde.

Mail an zwei CSU-Abgeordnete

Merkwürdig: Dieser Schreiber fürchtete nicht um die Zukunft von KMW, wie die Mandanten des Schweizer Anwalts, sondern um die Zukunft von Nexter. Also nicht um die deutsche Interessen, nur um die französischen. Doch der Bindestrich-Fehler war derselbe: "KM-W".

In der Zwischenzeit hatten die Heckenschützen auch in Deutschland weiter gezielt und gefeuert. Ein angeblicher KMW-Mitarbeiter namens Marko Goldschmidt meldete sich per Mail bei zwei Bundestagsabgeordneten, Hans-Peter Uhl und Florian Hahn, beide CSU. Er forderte sie auf, bei der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth einen Antrag gegen die Fusion mit Nexter zu beschließen.

Uhl nennt das Schreiben heute "bizarr". Weder habe es in Kreuth einen Antrag zu dem Rüstungsvorhaben gegeben, noch sei einer geplant gewesen. Wieder verlor sich die Spur des Absenders im Nichts. Und binnen vier Tagen bekamen IG-Metall-Funktionäre per Mail fünf Hilferufe, angeblich alle von KMW-Mitarbeitern.

"Kommerzielles Stalking"

"Ich habe 3 Kinder und meine ganze Familie in Deutschland, ich könnte mir nicht leisten, nach Frankreich auszuwandern", jammerte eine Barbara. "Falls KMW fusioniert, werden wir definitiv Schritte und Wege einleiten müssen, um dies zu verhindern, und wenn nur mehr streiken hilft", drohte ein Peter. Doch wieder waren alle Namen falsch - und die Mails, wie von einer Hand, alle zwischen 15 und 18 Zeilen lang.

Bei einer hatte sich der anonyme Absender einen dicken Patzer geleistet. Der selbe "Marko Goldschmidt", der sich schon an die Abgeordneten Uhl und Hahn gewandt hatte, dankte den IG-Metallern "zuallererst für Ihren Einsatz am KMW-Standort Treuchtlingen im Jahr 2013", wo die "Schließung ohne die Intervention der IG Metall sicherlich durchgeführt worden" wäre. Pech für den Schreiber: Das gerettete Werk Treuchtlingen gehört zur KraussMaffei Technologies GmbH, einer Firma, die schon seit dem Jahr 2000 außer dem Namen nichts mehr mit dem Rüstungsunternehmen KMW zu tun hat. Das weiß auch jeder KMW-Mitarbeiter, der Absender wusste es nicht.

Konzernchef Haun spricht in seinem Schreiben an Nexter-Manager Burtin denn auch von "kommerziellem Stalking". Es sei nicht schwer, sich auszumalen, wer hinter den Attacken stecke: einer, der ein persönliches oder geschäftliches Interesse habe, die Fusion zu verhindern. Man werde gegen den Schweizer Anwalt gerichtlich vorgehen, sehe ansonsten aber keine Chance, die Sache zu stoppen.

Nexter-Konkurrent Rheinmetall teilte auf Anfrage des SPIEGEL mit, man habe von keiner der verdächtigen Aktionen auch nur die geringste Kenntnis; schon gar nicht habe man damit irgendetwas zu tun, weder unmittelbar noch mittelbar. Eine Überprüfung nach der SPIEGEL-Anfrage habe zudem ergeben, dass es zu der Schweizer Anwaltskanzlei "nach unserer Kenntnis keine Geschäftsbeziehung gibt oder gab". Der Konzern verwahre sich daher dagegen, "hier irgendeinen Zusammenhang zu Rheinmetall zu konstruieren". Darüber hinaus stellte Rheinmetall klar: "Die geschilderten Praktiken verurteilen wir auf das Schärfste."

KMW-Chef Haun will unbeeindruckt mit Nexter weiterverhandeln. Er schwärmt von einem "Zusammenschluss auf Augenhöhe". Im März soll in Frankreich das Privatisierungsgesetz für Nexter ins Parlament gebracht werden. Stimmen die Kartellbehörden und die Regierungen in Berlin und Paris zu, könnte die Allianz im Sommer beschlossen sein. Als voraussichtlicher Firmensitz ist allerdings weder Frankreich noch Deutschland vorgesehen. Die Holding soll stattdessen in den Niederlanden sitzen.

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