Kreditderivate Investments wie Zeitbomben
"Derivate sind finanzielle Waffen zur Massenvernichtung. Sie bergen schlummernde Risiken, die tödlich sein können." Investmentlegende Warren Buffett formulierte die bis heute bekannteste und prägnanteste Kritik an den Finanzinstrumenten in seinem Bericht an die Aktionäre seiner Investmentfirma Berkshire Hathaway bereits vor fünf Jahren.
Schon damals warnten neben Buffett weitere Finanzexperten vor den Gefahren, die insbesondere von Kreditderivaten ausgehen. Howard Davies, damals Chef der britischen Aufsichtsbehörde Financial Service Authorities, nannte die Papiere "Giftmüll", Randall Dodd, Chef des Washingtoner Derivatives Study Center, kritisierte: "Es gibt keine Anforderungen an das Reporting, keine Anforderungen an hinterlegte Sicherheiten und keine Lizenzierung von Händlern." Grund für die Besorgnis war bereits 2002 das rasante Wachstum des Markts für Kreditderivate. Von gerade 180 Millionen Dollar 1998 stieg das Volumen der gehandelten Papiere bis 2002 auf 2,1 Milliarden Dollar.
Das allerdings ist nicht einmal ein Zehntel des Volumens, das Banken, Hedge-Fonds und auch Privatanleger heute handeln (siehe Grafik). Kein Wunder ist da, dass sich Aufseher, Zentralbanker, Ökonomen und Anlagestrategen weiterhin sorgen: Ex-US-Notenbanker Alan Greenspan warnt ebenso vor den Gefahren, die von Kreditderivaten ausgehen, wie der Chef der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet. Auch die Volkswirte des Internationalen Währungsfonds sehen in den Papieren eine Gefahr für die Stabilität der Finanzmärkte.
Kreditderivate sind dabei im Grunde eine sinnvolle Erfindung: Mit den Finanzkonstrukten geben Banken einen Teil ihres Kreditrisikos an Dritte weiter und versichern sich so gegen eine mögliche Zahlungsunfähigkeit eines Kunden. Die Papiere ermöglichen es den Finanzinstituten einerseits, besonders große Risiken abzusichern. Andererseits können sie ihre Risiken mit den Papieren auch auf Branchen und Regionen verteilen, zu deren Firmen sie keine direkten Geschäftsbeziehungen haben. Die einfachste Variante der Kreditderivate, ein Credit Default Swap (CDS), funktioniert tatsächlich genau wie eine Versicherung: Die Bank zahlt einem Vertragspartner eine Prämie dafür, dass der die Schulden übernimmt, falls der Kreditnehmer sie nicht zurückzahlen kann.
Spekulation statt Sicherung
Doch zunehmend werden die Kreditderivate nicht mehr in erster Linie zur Absicherung eingesetzt. Sie sind zu einem begehrten Spekulationsobjekt geworden, mit dem vor allem Hedge-Fonds ihre Renditen aufpeppen wollen. Hedge-Fonds-Manager sind mittlerweile für 58 Prozent des Handels mit den Papieren verantwortlich, ergibt eine Untersuchung des Research-Hauses Greenwich Associates.
Da sich die Ausfallraten von Krediten auf langjährigen Tiefständen befinden, ist es verlockend, eine Versicherung gegen solche Ausfälle anzubieten. "Eine Menge Hedge-Fonds haben solche Versicherungen verkauft und fahren die Prämien ein", sagt Charles Gradante, einer der Gründer der Hedge-Fonds-Beratungsfirma Hennessee Group. "Sie stehen aber mit dem Rücken zur Wand."
Was nämlich passiert, wenn Firmen wie zuletzt um die Jahrtausendwende wieder reihenweise pleitegehen, weiß niemand genau. Vor allem komplexere Papiere wie die sogenannten Collaterized Debt Obligations (CDOs), in denen eine Vielzahl von Kreditrisiken gebündelt wird, sind häufig so kompliziert strukturiert, dass selbst Fachleute nicht mehr durchblicken.
Warnende Beispiele
So ließen sich etwa die später zur HSH Nordbank fusionierten Landesbanken Hamburgs und Schleswig-Holsteins von der britischen Barclays Bank im Jahr 2000 CDOs mit den klingenden Namen Corvus und Nerva andrehen. Im Corvus-Papier waren 150 Kreditderivate gebündelt. Anfangs bewerteten die Analysten von Fitch das Papier mit der höchsten Note AAA. Bis September 2003 sackte die Einstufung auf das Ramsch-Niveau BB. Offensichtlich waren selbst die Kreditexperten der Agentur mit der komplexen Struktur überfordert. Das Investment der HSH Nordbank von 151 Millionen Dollar jedenfalls war Ende 2003 nichts mehr wert. Die Bank klagte, weil sie sich in die Irre geleitet fühlte, und einigte sich schließlich außergerichtlich mit den Briten.
Nicht der erste Fall: Der Versicherungsarm der japanischen Investmentbank Nomura klagte wegen unzureichender Risikoaufklärung erfolgreich gegen die Credit Suisse First Boston. Die italienische Banco Popolare di Intra verklagte die Bank of America aus dem gleichen Grund. Mittlerweile gibt es bei jedem fünften Fall Rechtsstreitigkeiten darüber, wer für wie viel Prozent des eingetretenen Schadens haftet.
Kenner fürchten Kettenreaktion
Das allein wäre freilich kein Problem. Permanent verlieren Investoren irgendwo Geld mit Investments, weil sie die Risiken falsch eingeschätzt haben oder falsch beraten wurden. Die Gefahr von Kreditderivaten besteht Buffett und anderen Mahnern zufolge darin, dass ungünstigere Marktbedingungen zu einem Domino-Effekt führen könnten. "Wenn es da draußen ein long-term-capital-management-artiges Risiko gibt, dann besteht es am Kreditderivate-Markt", sagt Gradante von der Hennesse Group mit Bezug auf die bislang folgenschwerste Pleite eines Hedge-Fonds, die beinahe das globale Finanzsystem in eine schwere Krise gestürzt hätte.
Das Geschäft mit den Papieren findet nicht über eine Börse statt, sondern "Over The Counter" (OTC), also im direkten Kontakt zweier Händler am Telefon. Banken, Versicherer und Hedge-Fonds schieben sich die Risiken so lange gegenseitig zu, bis sie selbst den Überblick verloren haben: Die 14 Top-Händler, in der Branche als die "14 Familien" bezeichnet, kamen zwar 2005 auf Druck der Regulierungsbehörden zusammen, um Ordnung in ihre häufig einzig auf Notizzetteln dokumentierten Geschäfte zu bringen. Um bis zu 70 Prozent reduzierten sie ihre nirgends bestätigten Swap-Geschäfte.
Dennoch bleibt der Handel mit Kreditderivaten weitgehend unreguliert, kaum beaufsichtigt und entsprechend spekulativ. Die Verflechtungen der Akteure führen dazu, dass selbst ein relativ kleines Problem eine Kettenreaktion zur Folge haben kann. "Schon ein oder zwei Kreditausfälle könnten sehr zerstörerisch wirken", warnt Anton Pil, Chef des Anleihegeschäfts bei JP Morgan. Weil für den Handel mit Kreditderivaten nur ein geringer Einsatz nötig ist, entstehen riesige Hebel. Das Londoner Analysehaus Lombard Street Research hat errechnet, dass ein solcher Hebel bei einem CDO den Faktor 54 erreichen kann: Schon ein Preisverfall von 2 Prozent würde ein ganzes Hedge-Fonds-Portfolio auslöschen.
Die enormen Hebel führen dazu, dass Manager schnell gezwungen sind, ihre Positionen aufzulösen, wenn es zum Kursrutsch kommt. Problematisch wird das, wenn viele Hedge-Fonds gleich positioniert sind. Der Verkaufsdruck drückt die Preise weiter, im Extremfall finden sich keine Käufer mehr für die Derivate. Die Hedge-Fonds können ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen und gehen Pleite. Im schlimmsten Fall reißt das die Banken gleich mit. Weil nur wenige große Häuser aktiv im Geschäft sind, ist auch ihre Zahlungsfähigkeit gefährdet, wenn zu viele Hedge-Fonds ausfallen. Doch das viele Geld, das mit den Papieren zu verdienen ist, lässt die Risiken vergessen. Und es lockt selbst die schärfsten Kritiker der Branche: Warren Buffett schrieb seinen Anlegern im März über einige Papiere, die er gekauft hatte: "Warum, mögen Sie sich fragen, spielen wir mit solch möglicherweise giftigem Zeug herum." Seine Antwort: "Derivate sind genau wie Aktien und Anleihen manchmal einfach deutlich unterbewertet."