Kriegskosten gegen null
Noch ehe Bagdad bombardiert wurde, verhandelten Kuweiter in Saudi-Arabien und in den USA mit Unternehmen, die beim Aufbau des Landes mitverdienen möchten. Und wer da vor allem zum Zuge kommt, war allen Interessenten auch schon klar.
»Die alte Politik, den billigsten Anbieter zu nehmen«, teilte Scheich Saud Nasir el-Sabbah, Kuweits Botschafter in Washington, öffentlich mit, »gilt nicht mehr.« Die Aufträge für den Wiederaufbau werden nach politischer Opportunität vergeben.
Das von Kämpfen und den Irakern mutwillig zerstörte Land braucht derzeit alles - Bauten, Straßen, Flugplätze müssen wiederhergerichtet, Wasser- und Stromleitungen repariert, die Ölförderanlagen wieder in Betrieb gebracht werden.
Die Kosten für den Wiederaufbau werden auf 100 Milliarden Dollar geschätzt. Es wird das gewaltigste Investitionsprogramm seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als Europa in Trümmern lag. Und verdienen sollen daran vor allem jene, die bei der Befreiung Kuweits die Hauptlast trugen - Amerikaner, aber auch Briten und Franzosen.
Deutsche Firmen, traditionell eher bei den Irakern im Geschäft, haben wenig Aussichten. Auch die Japaner sind, obwohl sie als einzige Industriemacht neben Kanada nicht zur Aufrüstung des Irak beigetragen haben, aus dem Rennen. Um nicht als Kriegsgewinnler zu gelten, hat Japans Regierung die großen Unternehmen im Lande gewarnt, sich in Kuweit vorzudrängen.
Das würde auch nicht viel bringen. Die Kuweiter haben längst entschieden, wer verdient und wie wiederaufgebaut wird; sie möchten eine moderne High-Tech-Gesellschaft errichten, die auf palästinensische, jordanische und sudanesische Arbeitskräfte in Zukunft verzichten kann. Erst einmal aber geht es ans Aufräumen. Und schon da liegen die Amerikaner vorn.
Kuweits Exilregierung hat mit US-Außenminister James Baker vor Kriegsbeginn bereits einen etwa dreimonatigen Ausnahmezustand für Kuweit vereinbart, in dem die nötigen Schwerarbeiten durch das U.S. Army Corps of Engineers organisiert werden. Das Corps hat die dafür veranschlagten 45 Milliarden Dollar bereits auf dem Konto.
Als Helfer beim Aufräumen beauftragten die Amerikaner vorwiegend Amerikaner. Der »Patriot«-Hersteller Raytheon in Massachusetts liefert für 5,7 Millionen Dollar Flughafenausstattung an den Kuwait International Airport. Um das von den Irakern restlos gestrippte Kommunikationsnetz wiederherzustellen, werden als nächstes Computer von IBM, drahtlose Telefonsysteme von Motorola und Satelliten von der New Yorker Telefonfirma AT & T geliefert.
Die zusammengebrochene Stromerzeugung wird zunächst durch einen Satz Notstromaggregate der Maschinenbaufirma Caterpillar ersetzt. Lastwagen kommen zunächst von General Motors, Ford und Chrysler, nicht von Mercedes oder Volvo.
Doch das alles sind nur kleine Vorspiele des großen Kuweit-Booms: Das Scheichtum mit dem einst höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt besteht nur noch aus ausgeschlachteten Betonburgen, zersplitterten Bürgerhäusern und einer vollkommen ruinierten Ölindustrie. Die Meerwasserentsalzungsanlagen sind zerstört.
Die Kuweiter wollen den Wiederaufbau ihres Landes über eine großangelegte Kreditaufnahme finanzieren. Das Scheichtum hat im Ausland über das Kuwait Investment Office (KIO) ein Vermögen von mindestens 100 Milliarden Dollar angehäuft, es können auch 200 Milliarden sein. Dazu gehören Beteiligungen an führenden europäischen Unternehmen wie Daimler-Benz, Hoechst, BP und der britischen Midland Bank. Da dürften Finanziers leicht zu finden sein.
Das Geld, das den Aufbau des gewaltigen Auslandsvermögens ermöglichte, stammte allein aus der Erdölindustrie. Möglichst rasch wollen die Kuweiter deshalb vor allem ihre Bohrlöcher und Raffinerien wieder betriebsbereit machen. Aber gerade da stehen sie den größten Problemen gegenüber.
Die von den Irakern vorsätzlich angerichteten Verwüstungen sind überhaupt noch nicht zu beziffern. Von den rund 1000 kuweitischen Ölbohrlöchern stehen etwa 600 in Flammen. Fachleute schätzen, daß täglich drei Millionen Barrel Öl wegbrennen - da werden Tag für Tag über 50 Millionen Dollar abgefackelt, von den Umweltschäden ganz zu schweigen. Der Wiederaufbau der Ölfelder allein wird über zehn Milliarden Dollar kosten (siehe Titelgeschichte Seite 166).
»Wenn wir die Raffinerien überhaupt wieder hinkriegen sollen«, so Karim el-Said, Sprecher der Planungsgruppe für den Wiederaufbau, »dann müssen wir an die Firmen heran, die sie gebaut haben.« Außer den Bauten selbst nämlich hat Irak, so el-Said, »Kuweits institutionelles Gedächtnis zerstört«. Die Blaupausen sind weg. Duplikate haben nur die Hersteller.
Hersteller der einst für zwei Milliarden Dollar gebauten Mina-Abdullah-Raffinerie ist die Anlagenbaufirma Halliburton Co. aus Dallas. M.W. Kellogg Co., eine Tochter der Dresser Industries Inc., hat die 1979 fertiggestellte Minael-Ahmadi-Raffinerie gebaut, der Welt größte Propangas-Anlage.
Ganz groß wird vor allem die Bechtel Corporation in San Francisco mit Kuweit ins Geschäft kommen. Bechtel ist ein weltweit operierender Konzern, zu dessen Spitzenmanagern die einstigen Reagan-Minister Caspar Weinberger (Verteidigung) und George Shultz (Äußeres) gehörten. Unter Bechtels Regie war das bisher teuerste kommerzielle Bauwerk der Welt, die Transalaska-Pipeline, entstanden.
Anfang 1990 hatte der ehemalige Außenminister George Shultz, inzwischen im Bechtel-Aufsichtsrat, im letzten Augenblick verhindert, daß die Firma für den Irak eine große Chemiefabrik baut. Bechtel wird nun in vielen Großprojekten beim Wiederaufbau Kuweits eine führende Rolle übernehmen.
Neben den Amerikanern werden in Kuweit vor allem die Briten zum Zuge kommen, die schon im Krieg starken Einsatz gezeigt hatten. Sie rechnen mit etwa 15 Prozent des Auftragsvolumens.
Mitte Februar hat Britanniens forscher Außenminister Douglas Hurd zwecks Unterzeichnung von Absichtserklärungen mit einer Wirtschaftsdelegation die kuweitische Exilregierung besucht. Die Briten, einst Bunker-Bauer bei Saddam Hussein, werden im Straßen-, Hafen- und Hochhausbau dabeisein.
Weniger Hoffnungen auf die Nachkriegsbeute können sich die Rüstungsfirmen machen. Für sie wäre das große Ersatzbeschaffungsgeschäft ausgebrochen, wenn viele alliierte Geräte wie Flugzeuge, Panzer, Hubschrauber oder gar Schiffe draufgegangen wären. Doch die krachende Abrüstung fand einseitig zu Lasten der Iraker statt.
Lediglich Cruise Missiles vom Typ »Tomahawk« (McDonnell Douglas, General Dynamics) und Patriot-Raketen (Raytheon) werden nachbestellt. Die U.S. Air Force will 120 neue C-17-Frachtflugzeuge bei McDonnell Douglas kaufen. Zusatzgeschäfte kommen allenfalls aus dem Ausland: Saudi-Arabien, Israel und Kuweit gelten als sichere Kunden für Flugzeuge und Lenkwaffen.
Die US-Regierung will allerdings nach dem sensationellen Erfolg ihrer lasergeleiteten Raketen tiefer in die Forschung für das von Präsident Reagan begonnene Verteidigungssystem SDI einsteigen. Das Verteidigungsministerium würde offenbar auch gern die Gelegenheit nutzen, sein Arsenal kräftig aufzustocken. So will das Pentagon gleich 500 neue Patriot-Raketen bestellen. Während des Krieges wurden 140 abgefeuert. Abgeordnete des US-Kongresses argwöhnen, daß die Militärs nach dem Golfkrieg eine Chance sehen, die geplanten Kürzungen des Verteidigungshaushaltes zu umgehen.
Alfred Steinherr, Chefökonom der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg, sieht denn auch die langfristigen Kosten des Einsatzes am Golf für die USA gegen null tendieren. Geschickt haben es die Amerikaner verstanden, den Aufmarsch als eine internationale Dienstleistung zu organisieren, über die nun abgerechnet wird. Schon die Militärkosten sind zu fast 90 Prozent von anderen, vorwiegend von Kuweit, Saudi-Arabien, Japan und Deutschland, übernommen worden. Der Kuweit-Auftragsboom für Amerika bringt den Rest.
Deutschlands Industrielle dagegen stehen nach dem Ende des Krieges im Abseits. Erschreckt erkennen sie, daß Bonns deutliches Desinteresse am Nahost-Konflikt sie Milliarden durch entgangene Geschäfte kostet. Zwar werden Unternehmen wie BMW, Mercedes-Benz und Porsche bei der Ersatzbeschaffung für die von den Irakern in Kuweit gestohlenen Luxus-Autos nicht übergangen. Doch vom eigentlichen Boom fällt nichts ab.
Im Irak, wo etwa deutsche Baufirmen früher gut beschäftigt waren, ist noch keine Chance für neue Verträge zu sehen. Und für die Kuweiter gilt, was ihr Botschafter in Washington so formuliert: »Wir haben erkannt, wo unsere Freunde sitzen und wo nicht.«
Das haben möglicherweise auch andere - die Geschäfte werden nicht nur in Kuweit für Deutsche schwieriger. Die Saudis etwa haben die ängstliche Haltung mancher Partner nach dem irakischen Einmarsch in Kuweit nicht vergessen: Mitarbeiter deutscher Firmen haben damals ganz schnell das Land verlassen.