Krisen-Stimmung Rezessionsangst ergreift die Weltwirtschaft
Hannover - Die Experten sind in Alarmstimmung. Norbert Walter, Chefsvolkswirt der Deutschen Bank, sieht die Kreditkrise längst nicht ausgestanden: "Wir kennen den Abschreibungsbedarf der Banken noch nicht in vollem Umfang", sagte er heute der "Neuen Presse". Die Krise werde für Deutschland Folgen haben. Auch die Wirtschaftsweisen Peter Bofinger und Wolfgang Franz erwarten, dass es noch weit schlimmer kommt. "Den Höhepunkt der Finanzkrise erwarte ich erst für Mitte des Jahres", sagte Bofinger der "Berliner Zeitung".
Immerhin: 1,75 Prozent Wirtschaftswachstum traut Walter der deutschen Wirtschaft dieses Jahr noch zu - und damit haben die Deutschen sehr viel mehr Anlass für Optimismus als die Bürger anderer Länder. Denn in immer mehr Regionen mehren sich die Vorzeichen einer Rezession. SPIEGEL ONLINE gibt den Überblick:
Beispiel USA - der gestrige Tag war eigentlich schon schlimm genug. Die größte US-Bank Citigroup verkündete in Folge der Kreditkrise Abschreibungen von 18 Milliarden Dollar, zudem muss das Geldinstitut auf Milliardenspritzen von Investoren setzen - ebenso wie die Investmentbank Merrill Lynch. Doch damit seien die Institute noch längst nicht aus dem Schneider, warnt das "Wall Street Journal". Die Citigroup etwa sei in großem Stil im Kreditkartengeschäft aktiv - und auch in diesem Kreditbereich werden Milliardenausfälle immer wahrscheinlicher.
Der Finanzguru und Ex-US-Notenbankchef Alan Greenspan warnte schon gestern in der Zeitung: "Rezessionen kommen nicht auf die sanfte Art. Sie werden üblicherweise durch eine Unstetigkeit an den Märkten signalisiert und die Daten der vergangenen Wochen können ganz klar in diese Richtung interpretiert werden." Schon im Dezember hatte Greenspan Berichten zufolge erklärt, er sehe die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA bei etwa 50 Prozent.
In Großbritannien zeigen sich die Auswirkungen der Finanzkrise bereits auf dem Eigenheimmarkt: Der von der Immobilienvereinigung Royal Institution of Chartered Surveyors berechnete Stimmungsindex der Immobilienbranche sank im Dezember zum fünften Mal in Folge auf minus 49,1 Prozent und damit auf den tiefsten Stand seit November 1992. Auch die Aussichten für die Zukunft hätten sich deutlich verschlechtert, teilte die Immobilienvereinigung mit. "Der Markt für Eigenheime bekommt deutlich die Auswirkungen der Kreditklemme und die Zinserhöhungen 2007 zu spüren", sagte der Sprecher der Immobilienvereinigung, Ian Perry.
In Japan wurde heute bekannt, dass die Verbraucherstimmung auf den tiefsten Stand seit fast fünf Jahren gefallen ist. Der entsprechende, von der Zentralbank BOJ vierteljährlich berechnete Index fiel im Dezember von minus 27,4 Prozent im September auf minus 40,7 Prozent zurück. Für das kommende Jahr sind die japanischen Konsumenten ebenfalls pessimistisch gestimmt. Der Ausblick-Index, der das Vertrauen in die Zukunft der japanischen Konjunktur widerspiegelt, ging auf minus 41,4 Prozent von minus 22,9 Prozent im September zurück.
Auch Osteuropa erreicht die Finanzkrise laut "Handelsblatt" inzwischen: Einer Umfrage der Zeitung zufolge erwarten Chefs großer Banken in Mittel- und Osteuropa einen Rückgang des Wirtschaftswachstums dort in Höhe von zwei Prozentpunkten auf durchschnittlich 5,5 Prozent. Der Hintergrund: Steigende Refinanzierungskosten, eine Verringerung der Aktienquote bei US-Investoren und die sinkende Nachfrage aus Westeuropa und den USA. Ökonomen warnen dem Blatt zufolge, diese Trends würden sich auch in den Bilanzen der in der Region aktiven Geldinstitute niederschlagen. "Das kräftige Wachstum wird sich abschwächen", zitiert das "Handelsblatt" auch Herbert Stepic, Chef der österreichischen Raiffeisen International.
Ölpreis fällt auf unter 92 Dollar
Ein weiteres deutliches Zeichen für die Schwierigkeiten der Weltwirtschaft: Sogar der lange notorisch hohe Ölpreis gibt kräftig nach. Ein Barrel der US-Sorte WTI zur Auslieferung im Februar kostete im frühen Handel 91,69 Dollar und damit 21 Cent weniger als zum Handelsschluss am Vortag. Und schon am gestrigen Mittwoch war der Preis kräftig gesunken. Dabei hatte der Ölpreis erst Anfang des Jahres die Rekordmarke von 100 Dollar geknackt.
Kein Wunder, dass fast alle Börsen weltweit auch heute auf Talfahrt gehen. Nachdem gestern schon fast die US-Aktienmärkte herbe Tagesverluste verzeichnet hatten, schlossen heute auch die asiatischen Börsen tief im Minus. An der asiatischen Leitbörse in Tokio verlor der Nikkei für 225 führende Werte 3,35 Prozent und lag damit auf den tiefsten Stand seit mehr als zwei Jahren. Der Hongkonger Hang Seng sackte gar um 5,37 Prozent ab. Der Shanghai Composite Index, der wichtigste Börsenindex auf dem chinesischen Festland, gab um 2,81 Prozent nach.
Auch in Europa war die Stimmung an den Börsen mies - wenn auch nicht ganz so dramatisch wie in Asien: Der Dax rutschte gegen Mittag unter die psychologische Marke von 7500 Punkten. Der Index gab 1,17 Prozent auf 7477 Zähler ab. Für den MDax ging es um 1,49 Prozent auf 8528 Punkte nach unten. Der TecDax rutschte um 3,43 Prozent auf 818 Zähler ab. Etwas moderater reagierten die übrigen europäischen Börsen: Der europäische Leitindex EuroStoxx 50 verlor bis zur Mittagszeit 0,76 Prozent 4109,58 Punkte. Der Euronext 100 büßte 1,07 Prozent auf 914,61 Punkte ein. In Paris sank der CAC 40 um 0,73 Prozent auf 5212,59 Zähler. Der Londoner FTSE 100 verlor 0,89 Prozent auf 5972,20 Punkte.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die Preise für Eigenheime in Großbritannien seien wegen der Kreditkrise auf das tiefste Niveau seit 1992 gefallen. Tatsächlich handelt es sich um ein Stimmungsbarometer des britischen Branchenverbands Royal Institution of Chartered Surveyors, das so tief gefallen ist. Der Fehler entstand aufgrund einer fehlerhaften Agenturübersetzung.
ase/AP/dpa/ddp/Reuters