Krisenkonzern Arcandor rüstet zum entscheidenden Gefecht
Hamburg - Karl-Gerhard Eick läuft die Zeit davon. Allein für dieses Jahr muss der Arcandor-Chef 960 Millionen Euro auftreiben, um die Sanierung seines kriselnden Konzerns voranzutreiben. Sorgenkind ist das Geschäft mit den Karstadt-Kaufhäusern, eine der drei tragenden Säulen Arcandors.
Um den Konzern zu retten, hat der Manager, der Arcandor selbst erst seit dem 1. März 2009 lenkt, alle Hebel in Bewegung gesetzt. Er hat mit Metro, zu der auch Karstadts Erzrivale Kaufhof gehört, über eine Übernahme verhandelt. Er hat nach eigenen Angaben mit der italienischen Mediobanca einen neuen Geldgeber gefunden, der 40 Millionen Euro bereitstellen würde.
Vor allem aber bettelt Eick beim Bund: Arcandor hat eine Staatsbürgschaft über 650 Millionen Euro beantragt - und zeigte sich noch vor wenigen Tagen zuversichtlich, mit dieser Bitte erhört zu werden. Am Donnerstag hatte sich der Bürgschaftsausschuss der Bundesregierung erstmals vertraulich mit Eicks Antrag befasst. Der Manager sagte anschließend, die Gespräche seien "sehr gut verlaufen".
Am Mittwoch nun erhielten Eicks Hoffnungen einen herben Dämpfer: Erst drohten mehrere kleinere Gläubigerbanken damit, ihre Arcandor-Kredite nicht zu verlängern - dann verkündete Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, er sehe kaum noch Chancen auf Staatshilfen. Der CSU-Politiker sagte, die EU-Kommission habe eine "sehr klare Ansage" gemacht, dass der Kaufhauskonzern bereits zum 11. Juli 2008 in Schwierigkeiten gewesen sei. Damit sei ein ganz wichtiges Kriterium entfallen, Hilfen aus dem Deutschlandfonds beziehen zu können. Er habe Eick darauf hingewiesen, dass er andere Wege suchen müsse, um die Arbeitsplätze zu retten.
Viel Zeit bleibt dafür nicht. Arcandor muss bis zum 12. Juni Kredite in Höhe von 650 Millionen Euro bei seinen drei großen Gläubigerbanken BayernLB, Dresdner Bank und der Royal Bank of Scotland refinanzieren. Alle drei verlangen ein Sanierungskonzept für die defizitären Karstadt-Warenhäuser und den Quelle-Versandhandel - sowie eine Absicherung der Kredite durch den Staat. Eick selbst hatte bereits vor Wochen geunkt: "Wenn wir die Bürgschaft nicht erhalten, stünde Arcandor vor der Insolvenz."
Kurz: Die Aussichten auf eine Rettung des Konzerns haben sich am Mittwoch weiter verdüstert. Die Aktie verlor erneut an Wert. Tausende Jobs sind bedroht, die Gewerkschaft Ver.di geht auf die Barrikaden. Die Haupteigentümer, Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz und die Privatbank Sal Oppenheim, müssen Branchenkennern zufolge um viele Millionen bangen.
Auch die Regierung gerät immer stärker in die Zwickmühle: Einerseits darf sie nicht den Anschein erwecken, die insgesamt gut 53.000 deutschen Arcandor-Mitarbeiter im Stich zu lassen - andererseits muss sie, nach der umstrittenen Rettung des Autobauers Opel, knallhart verhandeln, um nicht als Dukatenesel von Verliererfirmen abgestempelt zu werden. In der undurchsichtigen Gemengelage gibt es derzeit nur einen Gewinner: den Karstadt-Konkurrenten Kaufhof.
Wer will was bei Arcandor? SPIEGEL ONLINE zeigt die Protagonisten des Machtkampfs - und analysiert ihre Interessen.
Karstadt-Chef Stefan Herzberg und Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick: Krisenmanager am Abgrund
Das Duo Herzberg/Eick führt einen erbitterten Rettungskampf, und die beiden Manager kämpfen ihn mit der Kraft der Verzweiflung. Die EU-Kommission hat einer Bürgschaft des Bundes laut Wirtschaftsminister Guttenberg mehr oder weniger unverhohlen eine Absage erteilt. Der Manövrierraum der beiden Manager ist dadurch weiter zusammengeschrumpft.
Einem Branchenkenner zufolge stünde vor allem Eick im Falle einer Arcandor-Insolvenz als der Verlierer dar. Er hatte den leckgeschlagenen Konzern erst am 1. März 2009 von Thomas Middelhoff übernommen - jetzt droht er, mit ihm unterzugehen. Im Konzern hatte man Insidern zufolge vor allem auf die politischen Beziehungen des früheren Telekom-Finanzchefs gehofft - doch die scheinen bislang nicht sehr viel genützt zu haben.
Zwar protestieren einige Politiker wie CSU-Chef Horst Seehofer und SPD-Chef Franz Müntefering gegen den EU-Beschluss. Doch die Interessenlage in der Politik ist äußerst diffus - das Lager der Staatshilfegegner ist weit größer als beim gerade geretteten Autobauer Opel. Auch bei den Seehofer-Äußerungen handelt es sich Polit-Insidern zufolge nicht um einen Schwenk nach dem Motto: CSU-Chef jetzt doch für Arcandor-Hilfen. Seehofer stört sich eher daran, dass die EU und nicht der deutsche Prüfungsausschuss über die Bürgschaften entscheiden.
Nach derzeitigem Faktenstand kommen für Arcandor aber nur noch staatliche Hilfen unter sehr hohen Auflagen in Frage, die zudem allesamt erst von der EU abgesegnet werden müssten.
Unter Druck bringt das Gespann Herzberg/Eick auch das Ergebnis einer Studie von PricewaterhouseCoopers (PwC). Nach Informationen von manager-magazin.de haben Experten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arcandor die Eignung für eine Bürgschaft verwehrt. Diese sei mit erheblichen Risiken behaftet. Der Konzern verfüge praktisch über keine freie Substanz mehr. Darüber hinaus könnten künftige Beteiligungsverkäufe zu erheblichen Buchverlusten führen.
Die PwC-Prüfer widersprechen - wie die EU - der Behauptung, das Unternehmen sei erst durch die Finanzkrise in Schwierigkeiten geraten. Arcandor befinde sich vielmehr seit Jahren in Schwierigkeiten, wodurch die Liquidität des Unternehmens stetig aufgezehrt worden sei.
Kritisch könnten sich für Arcandor zudem die Kreditverhandlungen mit der staatseigenen Förderbank KfW entwickeln. Arcandor hat dort neben der Bitte um Bundesbürgschaften nach eigenen Angaben einen Antrag auf Darlehen in Höhe von mehr als 200 Millionen Euro gestellt. Die PricewaterhouseCoopers-Prüfer urteilten in ihrer Stellungnahme allerdings, Investments in Arcandor seien "für Banken nicht werthaltig".
Eick und Herzberg läuft die Zeit davon, und die Fakten scheinen gegen sie zu sprechen. Entsprechend schwach wirken auch die Argumente, mit denen sie Staatshilfen für Arcandor verteidigen. Herzberg erregte unter anderem mit der Behauptung Aufsehen, Karstadt sei systemrelevant, da ohne die Kaufhäuser viele Innenstädte zu veröden drohten.
Gegen das Argument, Arcandor sei bereits vor dem Ausbruch der Finanzkrise in argen Schwierigkeiten gewesen, protestierte Eick mit der schwammigen Begründung: "Wir haben hier eine Situation, die uns durch die Finanzkrise vom Kapitalmarkt abschneidet." Es handele sich um eine "Sondersituation".
Solche Argumente wirken wenig überzeugend. Eick spielt deshalb jetzt vor allem den einen Trumpf aus, den er noch in der Hand hält: Er betont immer wieder, dass Zehntausende Arbeitsplätze im Falle der Insolvenz bedroht seien.
Arcandor-Haupteigentümer Madeleine Schickedanz und das Bankhaus Sal Oppenheim: Angst vor einem Multimillionengrab
In der Diskussion um mögliche Staatshilfen für Arcandor rückt zunehmend die öffentlichkeitsscheue Unternehmerin Madeleine Schickedanz ins Rampenlicht. Die 65-jährige Quelle-Erbin ist nach dem Bankhaus Sal. Oppenheim (29 Prozent) die größte Aktionärin. Ihr Anteil am Konzern beträgt knapp 27 Prozent. Bis vor kurzem gehörte sie zu den reichsten Deutschen.
Jetzt drohen Schickedanz durch eine mögliche Arcandor-Pleite hohe Verluste. Die Arcandor-Aktie ist nur noch zwei Euro wert - und liegt damit weit unter dem Kaufpreis, zu dem die Investorin selbst ihre Anteile erworben hat. Im Markt wird vermutet, dass Schickedanz auf dem Papier bereits jetzt mehrere hundert Millionen Euro verloren hat.
Einen Anteil von 19,5 Prozent ihres Aktienbesitzes hat Schickedanz bereits an die Bank Sal Oppenheim abgegeben. "Sie hatte damit anscheinend ursprünglich Kredite der Bank besichert, doch dann tilgte die Bank damit einen Teil ihrer Schulden", sagt Branchenexperte Ulrich Eggert. "Seitdem trägt auch Sal. Oppenheim einen Teil des Risikos einer möglichen Arcandor-Pleite."
Zudem habe das Institut, eine der bedeutendsten Privatbanken Europas und ohnehin durch die Eiszeit im Interbankenmarkt belastet, Arcandor Kredit gewährt. Jetzt drohe deren Totalausfall.
Für die beiden Haupteigentümer heißt die Arcandor-Strategie daher aktuell: Rettung um beinahe jeden Preis - egal, ob mit Staatshilfen oder mittels einer Übernahme durch Kaufhof.
Entsprechend machen die Eigentümer zum einen der Regierung Zugeständnisse. Denkbar sei, dass die Familien Oppenheim und Schickedanz ihre Aktienpakete als Sicherheit für einen benötigten Kredit von 650 Millionen Euro bereitstellten, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Mittwoch unter Berufung auf gut unterrichtete Kreise.
Gleichzeitig sperrt sich Sal. Oppenheim explizit nicht gegen Fusionsverhandlungen mit der Metro AG. "Wir sind nicht gegen einen Zusammenschluss", versicherte Janssen gegenüber dem SPIEGEL. Doch der könne "nicht unter Druck vollzogen werden, sondern nur in ehrlichen Gesprächen auf Augenhöhe".
Kaufhof-Chef Lovro Mandac: Der lachende Dritte
Lovro Mandac, der Chef des Karstadt-Konkurrenten, ist derzeit der einzige Gewinner des Arcandor-Überlebenskampfes. Mit jedem Tag, den sein Konkurrenten der Insolvenz näher rückt, kann er härtere Bedingungen für eine Übernahme stellen.
Mehrfach hat Mandac deutlich gemacht, dass die Arcandor-Leitung in dem möglichen neuen Superkonzern mit mehr als 200 Warenhäusern nicht sehr viel mitzureden hätte. Branchenkennern zufolge sind die Verhandlungen, die die Kontrahenten zwischenzeitlich führten, letztlich an dieser Bedingung mit gescheitert - was aus Sicht von Karstadt kaum verwundert.
Oppenheim-Bankier Carl Janssen vermutet nach SPIEGEL-Informationen ohnehin, dass die dreiste Offerte nie ganz ernst gemeint war. Eher wolle Kaufhof/Metro der Regierung signalisieren, dass die Option einer privatwirtschaftlichen Lösung bestehe - was die Notwendigkeit einer Staatsbürgschaft reduziere.
Ebenso argumentiert auch Mandac. Er sagt, er halte Staatshilfen für Arcandor nicht für erforderlich. "Es gibt genügend privatwirtschaftliche Lösungen, um aus dem Dilemma herauszukommen." Er sei jederzeit zu Gesprächen mit Arcandor bereit.
"Wir sind sicher, dass wir von den 90 Häusern 60 übernehmen und in unser Galeria-Kaufhof-Konzept integrieren können", sagte Metro-Finanzvorstand Thomas Unger der "Welt". Damit würde der Konzern "dem weit überwiegenden Teil der Karstadt-Beschäftigten eine gesicherte Zukunft geben". Arcandor-Chef Karl-Gerhard Eick hatte den Metro-Vorschlag bisher abgelehnt.
Die rund 4000 Mitarbeiter in den 30 zu schließenden Filialen würden nicht zwangsläufig alle arbeitslos, sagte Unger. "Wir haben selbstverständlich schon mal vorgefühlt: Es gibt Interesse einer ganzen Reihe von Handelsketten an den Häusern. Unsere eigene Elektronik-Handelskette Saturn gehört dazu." In jeder neuen Form der Nutzung würden immer auch erfahrene Handelsmitarbeiter gebraucht. Laut Unger könnte bereits "Ende Juli das erste Gerüst der Deutsche Warenhaus AG stehen".
Branchenkenner vermuten allerdings, dass Metro Arcandor in die Insolvenz drücken will - der Konzern hätte dann immer noch die Option, Karstadt billig zu kaufen.
Gewerkschaften: Angst vor dem tausendfachen Job-Kahlschlag
Schützenhilfe bekommen Karstadt-Chef Herzberg und Arcandor-Chef Eick von der Arbeitnehmerseite. Gewerkschaften plädieren für Staatshilfen - und lehnen eine Fusion mit dem Wettbewerber Kaufhof ab.
Sie fürchten in diesem Fall einen Job-Kahlschlag - und offenbar sind die Sorgen nicht unbegründet: Metro werde in diesem Fall bis zu 20.000 Stellen streichen, schätzt Branchenexperte Eggert. Arcandor-Insider sprechen im "Handelsblatt" gar von einem drohenden "Blutbad". Ihre Furcht: Ein Drittel aller Karstadt-Filialen könnte unter Metro-Führung wegfallen.
Angesichts der Politik-Bemühungen um die Rettung von Opel fordert Ver.di-Chef Frank Bsirske daher Staatshilfen für Arcandor. Die Zahl der Arbeitsplätze müsse in der Politik "in jedem Fall großes Gewicht haben", ebenso die Zukunft des Unternehmens, sagte er der "Berliner Zeitung". "Beides scheint mir bei Karstadt gegeben zu sein", betonte Bsirske.
Ver.di-Vizechefin Möning-Raane warnt explizit vor einer Fusion mit Kaufhof: "Ein solches Zusammengehen kann man auf keinen Fall in einer Notsituation durchsetzen, denn da wären die Opfer sehr viel größer, als wenn sich zwei Partner auf Augenhöhe zusammentun", sagte sie in einem Interview mit SPIEGEL ONLINE.
Kaufhof-Chef Mandac nennt Berichte über einen drastischen Arbeitsplatzabbau im Fall einer Fusion dagegen "Panikmache". "Es gibt Überlappungen nur in 32 Städten. Das ist nicht viel", sagte er im ZDF-Morgenmagazin.