Kritik an der EZB Der fatale Irrtum der Stabilitätsfanatiker

Die Sorge der Deutschen ist groß: Kritiker werfen der Europäischen Zentralbank vor, sich immer mehr von den vermeintlich guten alten Prinzipien der Bundesbank zu verabschieden. Vor allem der Kauf von Staatsanleihen gilt vielen als Todsünde. Dabei machen die Währungshüter genau das Richtige.
Von Peter Bofinger
EZB-Zentrale in Frankfurt: Die Deutschen verlieren Einfluss

EZB-Zentrale in Frankfurt: Die Deutschen verlieren Einfluss

Foto: Boris Roessler/ dpa

Hamburg - Mit dem umfangreichen Ankauf von Staatsanleihen ist die Europäische Zentralbank (EZB) zunehmend in die Kritik deutscher Ordnungspolitiker geraten. Alles begann mit einem Interview von Axel Weber in der Börsenzeitung vom 11. Mai 2010, in dem er feststellte, dass der Ankauf von Staatsanleihen erhebliche stabilitätspolitische Risiken berge. Der Rücktritt folgte neun Monate später.

Im August 2011 nahm dann das deutsche Staatsoberhaupt eine Tagung von Wirtschaftsnobelpreisträgern zum Anlass, um diese Politik der EZB zu kritisieren: "Das kann und wird auf Dauer nicht gut gehen." Am 8. September war von Otmar Issing, dem ehemaligen Chefvolkswirt der EZB zu hören: "Die EZB hat mit den Käufen von Staatsanleihen die Zinskosten von Italien und Spanien nach unten gedrückt und so die Sanktionsfunktion des Marktes geschwächt". Der bisherige Schlusspunkt ist der Rücktritt von Chefvolkswirt Jürgen Stark. Das hat Hans-Werner Sinn - offenbar von Günther Oettinger Fahnen-Vorschlag inspiriert - dazu veranlasst, sogar einen Boykott der EZB durch Deutschland zu fordern.

Bei dieser aufgeregten Diskussion ist es wichtig, zunächst zwischen zwei unterschiedlichen Problemfeldern zu unterscheiden. Auf der einen Seite ist zu prüfen, wie sich die Anleihekäufe auf die Geldpolitik der EZB und damit auf ihr Hauptziel der Preisstabilität auswirken. Auf der anderen Seite muss man sich fragen, welche Anreize davon auf die Fiskalpolitik in den Mitgliedsländern ausgehen. Dadurch können sich mittelfristig allerdings ebenfalls nachteilige Auswirkungen auf die Preisstabilität des Euro-Raums ergeben.

Mit den Anleihekäufen werden Kredite der EZB zurückgefahren

Die direkten Auswirkungen auf die Geldpolitik bestehen darin, dass mit dem Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB zusätzliche Guthaben der Banken bei der Notenbank entstehen. Diese Guthaben könnten nun theoretisch dazu verwendet werden, zusätzliche Kredite an die Privatwirtschaft zu vergeben. Die EZB geht jedoch so vor, dass sie in dem Maße, in dem sie den Banken durch Anleihekäufe zusätzliche Liquidität bereitstellt, ihre Kredite an die Banken zurückfährt, so dass der Effekt auf die Bankguthaben "sterilisiert" wird.

So war vor einem Jahr der Anleihebestand der EZB um rund 100 Milliarden Euro geringer als heute. Dafür lagen die Refinanzierungskredite rund 80 Milliarden Euro höher. Zudem nutzt die EZB die Möglichkeit, die Liquidität der Banken über verzinsliche Termineinlagen zu sterilisieren. Auf die Kreditvergabe der Banken haben die Anleihekäufe bisher keinen expansiven Effekt ausgeübt. Die Zuwachsrate der Kredite an den Privatsektor ist mit derzeit 2,4 Prozent im Vorjahresvergleich weiterhin sehr schwach und die von den Privaten gehaltene Geldmenge wächst mit derzeit zwei Prozent deutlich schwächer als der von der EZB angestrebte Referenzwerte von 4,5 Prozent.

Problematischer sind die Auswirkungen auf die fiskalische Disziplin im Euro-Raum. Die meisten deutschen Ökonomen haben ein unerschütterliches Vertrauen in die "Marktdisziplin". In einer kollektiven Amnesie wird dabei völlig verdrängt, dass der größte Teil der heutigen Probleme nicht auf eine mangelnde Fiskaldisziplin, sondern vielmehr ein massives Marktversagen zurückzuführen ist.

Mit Schuldenstandsquoten von 42 und 29 Prozent galten Spanien und Irland noch bis zum Jahr 2007 als vorbildlich in ihrer Haushaltspolitik. Das Problem waren undisziplinierte Finanzmärkte, die ohne jedes Risikobewusstsein die ihnen anvertrauten Gelder in Betonruinen vergruben. Erstaunlicherweise haben diese massiven Fehlentwicklungen damals weder dem deutschen Bundesbank-Präsidenten noch die beiden deutschen Chef-Ökonomen der EZB veranlasst, ähnlich deutliche Warnungen abzugeben wie bei den Anleihekäufen der EZB.

Die Märkte sind in der Regel wenig vorausschauend

Es ist daher schon etwas paradox, wenn die von den Staaten mit riesigen Beträgen geretteten Finanzmärkte nun zum Hüter der durch sie beeinträchtigten Fiskaldisziplin erhoben werden. Wie wenig sie für die Funktion geeignet sind, kann man schon daran erkennen, dass sie noch bis weit in das Jahr 2008 keinen nennenswerten Risikoaufschlag für griechische Anleihen gefordert hatten. Das Problem der Marktdisziplin besteht einfach darin, dass Märkte in der Regel wenig vorausschauend sind, dann irgendwann durch ein bestimmtes Ereignis plötzlich aufwachen und umso panischer reagieren.

Genau das ist der Grund, wieso die Marktdisziplin für die Währungsunion so gefährlich ist. Italien hat seit Jahrzehnten einen hohen Schuldenstand, ohne dass das die Märkte sonderlich gestört hätte. Doch durch den immer erratischeren Kurs der europäischen Politik kam es im Juli 2011 dazu, dass die Märkte nun plötzlich an der Bonität Italiens zu zweifeln begannen.

Die Risikoprämie für italienische Anleihen gegenüber Bundesanleihen stieg von zwei auf über vier Prozentpunkte. Für ein Land mit einem hohen Schuldenstand bedeuten höhere Zinsen, dass sich die Haushaltslage verschlechtert und die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung beeinträchtigt wird. Da dies von Märkten wahrgenommen wird, steigen die Zinsen weiter. Wenn dann auch noch die Rating-Agenturen das Land herabstufen, ist der Teufelskreis perfekt. Genau das mussten Griechenland, Irland und Portugal erfahren.

Das Grundproblem der Marktdisziplin besteht also darin, dass die vom Markt ausgehende Bewertung das Problem noch erheblich verschärfen kann. Das ist so ähnlich, wie wenn ein Schüler, der eine schlechte Note erhält, bei der nächsten Klassenarbeit schwierigere Aufgaben gestellt bekommt als seine Mitschüler.

Keine Alternative zu den Anleihekäufen der EZB

Aus diesem Grund gab es im August keine Alternative zu den Anleihekäufen der EZB. Hätte sie auf die deutschen Stabilitätsapostel gehört, wären die Zinsen für Italien und Spanien schnell in den zweistelligen Bereich geraten. Im Prinzip hätten beide Länder dann unter den Rettungsschirm EFSF schlüpfen müssen, dieser ist hierfür jedoch viel zu klein.

Bei den damals allein für das Jahr 2011 noch fällig werdenden italienischen Staatsanleihen in Höhe von 75 Milliarden Euro hätte das Ganze so in einer Zahlungsunfähigkeit Italiens enden können. Vor die Wahl gestellt zwischen ordnungspolitischen Grundprinzipien, die in eine Götterdämmerung hätten führen können, und einem pragmatischen Kurs hat die EZB unter Trichets Führung somit genau das Richtige getan.

Doch das bedeutet nicht, dass nun alles im grünen Bereich ist. Die Kritiker des EZB-Kurses haben insoweit Recht, als es grundsätzlich nicht die Aufgabe einer Notenbank sein sollte, die Mitgliedstaaten in Krisensituation zu unterstützen. Doch die Alternative ist dann nicht, sie schutzlos willkürlichen Marktmechanismen auszusetzen. Die Absicherung muss vielmehr über eine gemeinschaftliche Haftung für Staatsschulden in der Form von Euro-Bonds vorgenommen werden. Auf diese Weise wird das Risiko der Insolvenz eines einzelnen Staates vorher ausgeschaltet.

Das setzt wiederum eine strikte gemeinschaftliche Kontrolle über die Budgets hoch verschuldeter Staaten voraus, idealerweise durch das Europäische Parlament. Anstelle der Marktdisziplin tritt dann die Disziplin durch eine demokratisch legitimierte Institution. Anders als bei den Anleihekäufen der EZB wird dabei die gemeinschaftliche Haftung für Schulden mit einer wirksamen gemeinschaftlichen Kontrolle über Budgets gekoppelt.

Wenn deutsche Politiker und Ökonomen heute die Anleihekäufe der EZB kritisieren, sollten sie sich der Tatsache bewusst sein, dass sie dafür indirekt die Verantwortung tragen. Sie haben die beiden vergangenen Jahre verstreichen lassen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wie man Italien im Falle eines Vertrauensverlustes der Märkte wirksam absichern kann. Als einzig handlungsfähiger europäischer Institution bleibt der EZB dann keine andere Wahl.

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