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GEWERKSCHAFTEN Kühles Klima

Auch die Gewerkschaften sind kein geschlossener Block: Das zeigte der Streit um die letzten Interviews von DGB-Chef Vetter.
aus DER SPIEGEL 3/1977

Als die Nation über ihn sprach, war Heinz Oskar Vetter nicht zu sprechen.

Zwei Tage vor Silvester reiste der DGB-Chef nach Spanien. Und drei Tage später erschien das vorerst letzte Interview des Gewerkschafters: Nachdem er im SPIEGEL die Bundesregierung im allgemeinen und Arbeitsminister Herbert Ehrenberg im besonderen verunsichert hatte, legte er sich in der vorletzten »Welt am Sonntag« mit den Kollegen an.

Zur Not, empfahl der DGB-Chef, sollten sich die Gewerkschaften dem Millionenheer der Arbeitslosen zuliebe mit kürzerer Arbeitszeit und Lohnverzicht abfinden: »Wir gehen da gar nicht so gern ran, aber wir haben die Keule in der Hand.«

Die Kollegen sahen das anders. ÖTV-Chef Heinz Kluncker wollte ebensowenig von Vetters Vorstoß wissen (siehe Interview Seite 25) wie die mächtige IG Metall des Eugen Loderer. Vize Hans Mayr machte es kurz: »Der Verzicht auf Lohnausgleich bringt beschäftigungspolitisch nichts.«

Wenig später distanzierten sich auch die Vetter-Vertrauten in der DGB-Zentrale. Während der Chef sich ausruhte, wiegelten sie ab: Der Vorsitzende habe »lediglich eine analysierende Bemerkung im Vorfeld der Beantwortung zusammenhängender Fragen« gemacht.

Die Vorsicht scheint begründet. Denn wie berechtigt oder blauäugig Vetters Vorschlag auch sein mag -- die Kontroverse um seine Interviews machte sichtbar, was bislang nur Gewerkschaftsinsider gewußt haben: Der DGB ist kein festgefügter Block, die Position des DGB-Chefs gegenüber den Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften keineswegs unumstritten.

Vetter selbst fühlt sich berechtigt und verpflichtet, die Haltung seiner Organisation zu interpretieren und darüber hinaus die Bewegung mit eigenen Vorschlägen und Anregungen zu steuern.

Die Vorsitzenden der finanzstarken Einzelgewerkschaften dagegen sehen in dem DGB-Chef nicht viel mehr als einen obersten Repräsentanten. Analog der Arbeitsteilung zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler habe sich der DGB-Vorsitzende aus der praktischen Politik herauszuhalten. Er sei zwar der protokollarisch ranghöchste Gewerkschafter. Doch die Richtlinien der Politik würden von den 16 Einzelgewerkschaften bestimmt. »Der DGB hat nicht 7,5 Millionen, sondern 16 Mitglieder«, verbreitet etwa ÖTV-Chef Kluncker.

Laut Satzung hat der finanziell von den Industriegewerkschaften abhängige DGB »allgemeine gewerkschafts- und gesellschaftspolitische Aufgaben« wahrzunehmen. Die mit Abstand wichtigste Aufgabe der Arbeitnehmerorganisationen dagegen, das Aushandeln der Tarifverträge, ist den Industriegewerkschaften vorbehalten, Günter Döding, Vorstand der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten: »Da hat der DGB überhaupt nichts zu sagen:«

Politische Äußerungen des DGB-Vorstands -- neben Vetter, seinen beiden Stellvertretern und sechs weiteren hauptamtlichen Vorständen gehören dem Gremium die Vorsitzenden der 16 Einzelgewerkschaften an -- haben nur Gewicht, wenn die Spitzen der Arbeitnehmerorganisationen einer Meinung sind. Und daran hapert es gelegentlich.

Denn die Industriegewerkschaften sind in mindestens zwei politische Lager gespalten:

* Die Gewerkschaften Bau, Chemie und Bergbau mit ihren Wortführern Rudolf Sperner, Karl Hauenschild und Adolf Schmidt tendieren mehr zu einer sozialdemokratischen Politik nach Art von Kanzler Schmidt. »Die sind doch mit der SPD verheiratet«, meinen ihre Gegner.

* Die beiden mächtigsten Gewerkschaften, die IG Metall und die ÖTV, dagegen legen Wert auf größere Distanz zur sozialdemokratischen Regierungspolitik. Diese Gewerkschaften, aber auch kleinere, wie etwa die IG Druck und Papier, zeigen offen ihre Verärgerung über Schmidts sozialliberales Kabinett.

Die Schmidt-Kritiker nehmen vor allem Anstoß daran, daß Bonns neues Mitbestimmungsgesetz mit dem darin vorgesehenen Sonderstatus für die leitenden Angestellten die vom DGB angestrebte Einheit der Arbeitnehmerschaft gefährdet. Der sozialliberalen Wirtschaftspolitik werfen sie vor, bei der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Lehrstellenknappheit zu versagen. »Das Klima ist kühler geworden«, weiß IG-Metall-Vize Hans Mayr, »und wird auch noch längere Zeit kühl bleiben.«

Metaller und ÖTV-Funktionäre waren deshalb durchaus mit DGB-Chef Vetter einverstanden, als er die Regierung annahm: »Der Honigmond ist vorbei.«

Doch der Vorschlag zur Arbeitszeitverkürzung fand keine Gnade: Die Funktionäre von IG Metall und ÖTV, die in den nächsten Wochen harte Tarifrunden durchzustehen haben, fürchten, Vetters Idee werde ihnen nur taktische Nachteile einbringen. Denn Arbeitszeitverkürzungen kommen erst in ihrer langfristigen Strategie vor -- und auch dann nicht um den Preis schmerzhafter Reallohnsenkungen.

Maßgebliche IG-Metall-Experten haben nämlich Gefallen an dem Plan gefunden, Produktivitätsfortschritte der Wirtschaft nicht mehr wie bisher allein durch höheren Barlohn abzuschöpfen, sondern auch durch kürzere Arbeitszeit auszugleichen. Genauer: Der Lohn steigt nur noch um die Inflationsrate. Die steigende Arbeitsproduktivität dagegen wird durch mehr Freizeit -- etwa längeren Urlaub -- abgegolten.

Kleinere Gewerkschaften wie etwa die Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG) sind schon weiter. NGG-Vorstand Günter Döding will seiner Basis demnächst eine ganze Palette neuer Vorschläge unterbreiten: Überstundenzuschläge und Zulagen für Schichtarbeiter sollen künftig durch mehr Freizeit ersetzt werden.

Diese Pläne, behaupten die Gewerkschafter, würden durch Vetters Aktivitäten nur gestört. Die wichtigste Passage in Vetters Interview, mokierte sich ein Spitzenfunktionär vor Vertrauten, sei wohl nur der letzte Satz gewesen.

Darin hatte Heinz Oskar Vetter seine erneute Kandidatur für den Chefsessel angemeldet.

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