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WERBUNG Kultureller Kahlschlag

Das Werbeverbot der EU trifft die Zigarettenindustrie hart: Der Kampf um Marktanteile wird schwieriger.
Von Hermann Bott
aus DER SPIEGEL 50/1997

Unter Deutschlands Handelsfürsten nahm sich als erster Rewe-Chef Hans Reischl die Manager der Zigarettenkonzerne vor. Tabakwerbung werde ja bald verboten, meinte er schon vor Wochen, da würden die Hersteller einen dreistelligen Millionenbetrag sparen.

»Ihr glaubt doch wohl nicht, daß ihr das ganze Geld behalten könnt«, blaffte Reischl die Chefs von Philip Morris (Marlboro) und der BAT (HB) an: Sie müßten ihm künftig Zigaretten billiger liefern.

Rund 650 Millionen Mark geben die deutschen Hersteller jährlich für Reklame aus. Rewe und andere Handelskonzerne müssen sich aber noch gedulden, bis sie an einen Teil dieser Gelder kommen.

Am Donnerstag vergangener Woche einigten sich die EU-Gesundheitsminister auf ein nahezu totales Werbeverbot für Tabakwaren. Doch erst im Jahr 2001 muß in allen EU-Staaten Zigarettenwerbung auf Plakaten und im Kino verschwinden; ein Jahr später sind Zeitungen und Zeitschriften reklamefrei.

Von 2003 an dürfen die Zigarettenhersteller keine nationalen Sport- und Kulturveranstaltungen mehr sponsern, und zum 1. Oktober 2006 ist endgültig Schluß: Dann darf auch kein Zigarettenlogo mehr auf den Rennwagen der Formel 1 kleben.

Noch vor den Tabakkonzernen schrien die Kinobesitzer auf, denen etwa 80 Millionen Mark jährlich, fast die Hälfte ihrer Werbeeinnahmen, fehlen werden. Jedes vierte Kino werde das nicht überleben, jammerte Alexander Bartmeyer, Leiter der Ufa-Kino-Werbeunternehmen, es drohe ein »kultureller Kahlschlag«.

»Entsetzt« ist der Fachverband Außenwerbung über das kommende Verbot, das Aufträge für 280 Millionen Mark jährlich vernichtet. Dabei sind sich fast alle Experten einig, daß ein Werbeverbot den Zigarettenverbrauch nicht beeinflußt. Auch Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer hat »keine überzogenen Erwartungen«, daß die Deutschen dann weniger rauchen.

Seehofer und seine österreichische Kollegin waren die einzigen, die sich gegen ein Verbot stemmten. Im elften Anlauf seit 1989 siegten letzte Woche schließlich die Zigarettengegner in der EU, angeführt von Frankreich, Italien und Irland.

Nur die Griechen und Niederländer setzten ein paar läppische Ausnahmeregelungen durch: Griechische Kioskbesitzer dürfen weiterhin Reklametafeln aufstellen; indirekte Werbung - etwa für Camel-Boots oder Davidoff-Rasierwasser - bleibt erlaubt, aber nur für die bereits bestehenden Markenartikel.

»Nackte Regulierungswut«, kommentiert Ernst Brückner, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Cigarettenindustrie, den Brüsseler Beschluß. Zwar verkünden die Tabakkonzerne - gestützt auf Statistiken - , daß ein Werbeverbot keinen vom Rauchen abbringt.

Doch wie fast alle seiner Kollegen fürchtet Ludger Staby, Vorstandsvorsitzender von Reemtsma (West), daß ein Werbeverbot »die Marktanteile zementiert«. Reemtsma bliebe mit einem Marktanteil von 23 Prozent hinter Philip Morris (42 Prozent) der ewige Zweite. Ein Prozent Marktanteil bedeutet 330 Millionen Mark Umsatz.

»Schlimmer noch«, sagt Staby, »Trends werden festgeschrieben": Aufsteigende Marken steigen weiter, fallende Marken sind vor dem Absturz nicht zu retten.

Bei der BAT, vor Reynolds (Camel) und Rothman (Lord Extra) die Nummer drei in Deutschland, ist die HB der wichtigste Umsatzbringer, doch der Absatz sinkt von Jahr zu Jahr. Der Niedergang der HB sei nicht aufzuhalten, meint BAT-Chef Georg Domizlaff, er könne aber durch massive Werbung den Abstieg verlangsamen. Um seinen Hoffnungsträger Lucky Strike weiter nach oben zu schieben, muß er viele Jahre lang viel Geld in die Werbung stecken.

Selbst der Marktführer Philip Morris fürchtet bei einem Werbeverbot Probleme: So bröckelt beispielsweise der Absatz der f 6 ab, der meistgerauchten Zigarette unter den Ostmarken.

Am meisten aber plagt die Konzerne eine andere Sorge: Bei einem Werbeverbot könnte der Kampf um Marktanteile über den Preis ausgefochten werden - so wie Reemtsma Anfang der achtziger Jahre seine Marke West nur durch eine Preissenkung in den Markt drückte. Das führte zu einem erbitterten Preiskrieg, bei allen Konzernen brachen die hohen Gewinne weg.

Längst verdient die Branche - bei einem Päckchenpreis von zumeist 4,80 bis 5 Mark - wieder blendend. Aldi verkauft ein Päckchen seiner Handelsmarke Kora für 3,65 Mark. Die Aldi-Ware, gibt ein Zigarettenmanager zu, sei »von guter Qualität, und Aldi verdient daran«.

Eine vage Hoffnung bleibt: Seehofer erwägt, vor dem Europäischen Gerichtshof gegen das Werbeverbot zu klagen. Plakat- und Kinowerbung seien keine grenzüberschreitenden Medien und würden somit nicht in die EU-Kompetenz fallen.

Logisch ist die EU-Politik ohnehin nicht: Brüssel subventioniert mit jährlich zwei Milliarden Mark den Tabakanbau in der Gemeinschaft.

[Grafiktext]

Anteile am deutschen Zigarettenmarkt; erstes Halbjahr 1997

[GrafiktextEnde]

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