Kursverfall Trauma-Tag für die Weltbörsen - Dow Jones verliert fast 400 Punkte
Hamburg/New York/Frankfurt am Main - Kurz vor 21 Uhr deutscher Zeit erreichte die Panik ihren Höhepunkt. Da stand der Dow-Jones-Index an der New Yorker Börse mit mehr als 800 Punkten im Minus - so viel wie nie zuvor an einem einzigen Tag. Der bisherige Negativrekord von minus 778 Punkten, genau eine Woche alt - er war gefallen. Nachrichtenagenturen und Börseninformationsdienste überboten sich mit eiligen Meldungen.
"Tatsache ist, die Leute haben Angst, und das einzige was sie tun ist verkaufen", sagte Ryan Detrick", Stratege bei Schaeffer's Investment Research in New York, zur Associated Press. "Die Investoren räumen ihre Portfolios auf und schmeißen alles raus, weil nichts anderes zu helfen scheint."

Börsenhändler Tom Kalikas auf dem Parkett der US-Börse NYSE: Angst vor der Rezession
Foto: APDann kam doch noch die Trendwende - bis zum Handelsschluss erholte sich der Dow Jones Punkt um Punkt, blieb aber unter 10.000 Zählern - zum ersten Mal seit dem Herbst 2004. Der Schlussstand: 9959 Punkte, ein Minus von 3,5 Prozent. Der breiter gefasste S&P-500-Index schloss 3,8 Prozent tiefer bei 1057 Zählern. Der Index der Technologiebörse Nasdaq Stock Market verlor 4,3 Prozent und ging mit 1862 Punkten aus dem Handel.
"Was wir hier sehen ist eine totale weltweite Krise", sagte Anthony Conroy von BNY ConvergEx. "Und was eine Rezession angeht: Wenn man sich die Konjunkturdaten des vergangenen Monats ansieht, dann stecken wir schon mittendrin."
"Es ist offiziell, das Paket wirkt nicht"
Besonders schlimm erwischte es wieder einmal die Finanzwerte. Die Aktie der Bank of America gab als schwächster Wert im Dow 6,55 Prozent ab. Merrill Lynch: minus 9,26 Prozent. JPMorgan: minus 4,14 Prozent. Wachovia: minus 6,92 Prozent. Citigroup: minus 5,12 Prozent.
Kein einziger Wert der 30 Dow-Jones-Titel hielt sich im Plus. Ab besten schnitten noch Pfizer (minus 0,32 Prozent), Exxon Mobil (minus 0,8 Prozent) und General Electric (minus 0,88 Prozent) ab.
Der Börsentag hatte in Asien begonnen, wie er in den USA endete: mit Minuszeichen und roten Zahlen an den Kurstafeln. In Tokio schloss der wichtigste Index des Kontinents, der japanische Nikkei , auf dem niedrigsten Stand seit viereinhalb Jahren - bei 10.473 Punkten. Der breiter gefasste Topix-Index fiel um 4,67 Prozent unter die psychologisch wichtige 1000-Zähler-Marke auf 999 Punkte. Ob in Shanghai, Hongkong, Taiwan, Südkorea oder Singapur - überall gab es kräftige Verluste von teilweise mehr als vier Prozent.
Die Begründung dort wie anderswo: Am Markt herrschte Unsicherheit darüber, ob das 700-Milliarden-Dollar-Hilfspaket der US-Regierung für die Finanzbranche die erhoffte Wirkung bringe. In New York sagte später ein Marktbeobachter später sardonisch: "Es ist offiziell, das Hilfspaket wirkt nicht."
Amerikanische Fed will Hilfspaket aufstocken
Angesichts der dramatischen Lage hat die US-Notenbank am Abend die Ausweitung ihres Kreditprogramms für Krisenbanken angekündigt. In verschiedenen Einzelmaßnahmen kann die Federal Reserve damit bis Jahresende insgesamt bis zu 900 Milliarden Dollar in den Geldmarkt pumpen - so will sie die Verstopfung des Kreditflusses wieder beseitigen.
Auch Europas Börsen erlebten einen dramatischen Handelstag. "Es brennt an allen Ecken und Enden", brachte es ein Börsianer auf den Punkt.
Der Dax in Frankfurt m Main verbuchte mit einem Minus von 7,1 Prozent den größten Tagesverlust seit Januar. Der deutsche Leitindex beendete den Xetra-Handel auf 5387,01 Punkten und damit so niedrig wie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr. Der Stoxx 50 der größten Börsengesellschaften Westeuropas büßte ebenfalls 7,1 Prozent ein.
Trotz der neuen Milliardenhilfen stürzte die Aktie des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate ab - Anleger sprachen von einem zunehmenden Vertrauensverlust in den Bankensektor. HRE-Aktien schlossen bei 4,70 Euro, ein Minus von 37,42 Prozent. "Das Management hat das Vertrauen endgültig verspielt. Man kann bei der Hypo Real Estate nichts mehr berechnen", sagte Analystin Susanne Knips von der Dresdner Bank. In der Nacht zum Montag hatten sich Bundesregierung und Finanzbranche auf eine Aufstockung der Kreditlinien für die strauchelnde Bank geeinigt.
Handel in Brasilien und Russland mehrfach ausgesetzt
In Sog der HRE fielen die Papiere von Dexia um bis zu 20,3 Prozent auf 6,81 Euro. Da konnte auch die Beteuerung des belgisch-französischen Finanzkonzerns die Anleger nicht beruhigen, die Risiken in Zusammenhang mit der HRE-Krise hätten nur geringen Einfluss auf die eigene Zahlungsfähigkeit.
Unter starken Verkaufsdruck gerieten aber auch Industriewerte. "Wenn die Banken die Kredite einschränken müssen, dann leidet darunter die Industrie", sagte ein Händler.
In der Bilanz von SAP hinterließ die Finanzkrise schon erste Spuren. Die Entwicklung an den Finanzmärkten habe unmittelbar vor Ende des dritten Quartals zu einem "abrupten und unerwarteten Abschwung unseres Geschäfts" geführt, teilte Europas größter Software-Hersteller mit. SAP-Papiere brachen daraufhin um 16,41 Prozent auf 28,84 Euro ein und verbuchten das größte Tagesminus seit Oktober 1996.
Der Kursrutsch war in Schwellenländern sogar noch drastischer:
- Der Bovespa -Index im brasilianische São Paulo, Brasilien, fiel bis mittags Ortszeit um 15,06 Prozent, so dass der Handel zum zweiten Mal für eine weitere Stunde ausgesetzt wurde.
- Auch die Börsen in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires und in Mexiko- Stadt fielen zeitweise um rund zehn Prozent. In allen drei Ländern stieg der Kurs des US-Dollar rapide.
- Besonders dramatisch brach der russische Aktienmarkt ein. Nach einem extrem trägen Geschäft, das im Tagesverlauf dreimal ausgesetzt werden musste, verlor der RTS-Interfax-Index im Computerhandel 19,1 Prozent. Aktien des Energieriesen Gasprom sanken im Parketthandel an der St. Petersburger Effektenbörse um 17,28 Prozent.
Die Angst vor der Rezession war auch an den Rohstoffmärkten spürbar. Der Preis für Gold zog deutlich an. Der Preis für ein Barrel Rohöl der richtungweisenden Sorte WTI hingegen fiel zeitweise unter 90 Dollar.
Falls sich dieser Kursrutsch mittelfristig auf den Benzinpreis auswirkt - dann wäre immerhin das eine gute Nachricht für die Konsumenten.
itz/Reuters/AP/dpa