UBS-Zocker vor Gericht "Er glaubte, er habe einen magischen Touch"

Ex-Banker Adoboli: "Er gewinnt oder verliert"
Foto: NEIL HALL/ ReutersDie Anklagebank im englischen Gerichtssaal heißt "Dock". Hier, hinter Panzerglas, fanden sich am Freitag beim Prozess gegen den früheren Finanzmarkthändler Kweku Adoboli die Journalisten wieder. Der Medienandrang in Saal 3 des Southwark Crown Court war so groß, dass das "Dock" kurzerhand zum Pressebereich umfunktioniert wurde. Der Angeklagte Adoboli hingegen saß im Saal neben seinen Anwälten.
Es war der zweite Prozesstag im größten Betrugsfall der Londoner City. 2,3 Milliarden Dollar soll Adoboli innerhalb von drei Jahren verspielt haben. Zwischen Oktober 2008 und September 2011 soll er systematisch sämtliche Sicherungssysteme der Schweizer Großbank UBS ausgetrickst haben, um mit Milliarden zu spekulieren und seine wachsenden Verluste zu tarnen.
Adoboli sei von dem Motiv geleitet gewesen, "seinen Bonus, seinen Status, seine Karrierechancen und sein Ego zu vergrößern", sagte Staatsanwältin Sasha Wass in ihrem Eingangsplädoyer.
Auf den Tag genau vor einem Jahr, am 14. September 2011, war der Skandal aufgeflogen. Nun muss der 32-jährige ghanaische Diplomatensohn sich vor Gericht verantworten. Er ist wegen Betrugs in zwei Fällen und Buchfälschung in zwei Fällen angeklagt.
Adoboli sei ein "Zocker" und "Meisterbetrüger", der seinen Arbeitgeber über seine Aktivitäten im Dunkeln gelassen habe, sagte Wass. Es gebe einen fundamentalen Unterschied zwischen einem Investmentbanker und einem Zocker. Ein Investmentbanker bemühe sich stets darum, seine Verluste zu minimieren. Der Zocker hingegen verlasse sich auf den Zufall, "er gewinnt oder verliert".
Die Staatsanwältin beschrieb Adoboli als einen ehemals respektierten Banker, der nach und nach außer Kontrolle geraten sei. "Wie die meisten Zocker glaubte er, er habe einen magischen Touch", sagte sie. Damit habe er die UBS an den Rand des Zusammenbruchs geführt. "Herr Adoboli war eine oder zwei Wetten davon entfernt, die größte Schweizer Bank zu zerstören", sagte Wass. Im August 2011 hätten sich die von Adoboli angehäuften Buchverluste auf fast zwölf Milliarden Dollar summiert.
Am Anfang wollte er nur Verluste verschleiern
Angefangen hatte laut Staatsanwaltschaft alles im Oktober 2008. Damals hatte der junge Trader, der in London mit sogenannten Exchange Traded Funds handelte, einen Verlust von 400.000 Dollar gemacht. Damit die Kollegen es nicht merkten und sein Ruf nicht darunter litt, verbuchte Adoboli der Staatsanwaltschaft zufolge im UBS-Computersystem einen imaginären Profit in gleicher Höhe. Als er merkte, dass er damit durchkam, wiederholte er die Aktion.
In den folgenden Jahren wurden die Einsätze immer höher, die Vertuschung immer raffinierter. Laut Wass betrieb Adoboli ein paralleles Buchungssystem mit imaginären Handelspartnern, wo er imaginäre Profite und Verluste versteckte. Er habe seine "eigene interne Bank" geschaffen, sagte Wass.
Adoboli kannte die Kontrollsysteme der Bank genau, weil er in diesem Bereich 2003 als Trainee angefangen hatte. Es habe manchmal Nachfragen der Risikokontrolleure gegeben, sagte Wass. Aber Adoboli habe stets eine plausible Erklärung parat gehabt.
Die imaginären Trades erlaubten Adoboli nach Angaben der Staatsanwaltschaft, die tägliche Handelsobergrenze von 100 Millionen Dollar zu brechen und große Risiken einzugehen, ohne sie entsprechend abzusichern. Eine Zeitlang machte Adoboli so beträchtliche Gewinne. Bis Ende Mai 2011 hatte er laut Staatsanwaltschaft insgesamt über hundert Millionen Dollar für die Bank erwirtschaftet.
Der Erfolg bei seinen Geschäften spiegelte sich auch in seinem Einkommen wieder. Sein Einstiegsgehalt von 33.000 Pfund plus Bonus von 7500 Pfund im Jahr 2005 verzehnfachte sich binnen fünf Jahren fast. 2010 erhielt er laut Staatsanwaltschaft 110.000 Pfund Gehalt plus 250.000 Pfund Bonus.
Im Sommer 2011 begann die "Pyramide des Betrugs", wie Wass die Zockereien bezeichnete, jedoch zu wanken. Ende Juni war Adoboli bereits eine Milliarde Dollar im Minus. Er war von einigen Wendungen der Euro-Krise und der Haushaltskrise in den USA überrascht worden. Im August sei er in Panik verfallen, so Wass. Die Risikokontrolleure fragten immer häufiger nach seinen scheinbar ungedeckten Positionen.
"Meisterbetrüger" oder Bauernopfer?
Am Morgen des 14. September schließlich fielen Adoboli nach Darstellung der Staatsanwaltschaft keine Ausflüchte mehr ein. Ein UBS-Kontrolleur namens Will Stewart wollte von ihm die Namen seiner Handelspartner und die genauen Summen aller Handelsgeschäfte. Um halb zwei Uhr mittags verließ Adoboli laut Wass das Büro und hinterließ eine Nachricht: Er sei beim Arzt. Eine Stunde später schrieb er eine E-Mail an Stewart, in der er gestand, sich mit irregulären Transaktionen verspekuliert zu haben. Niemand habe davon gewusst.
"Ich habe das Büro aus Gründen der Diskretion verlassen", zitierte Wass aus der E-Mail. "Ich dachte, es sei nicht weise, heute Nachmittag am Schreibtisch zu sein". Und Adoboli fügte hinzu: "Ich übernehme die volle Verantwortung für meine Handlungen und den Sturm, der nun kommt."
Der Händler wurde umgehend ins Büro zurückbeordert und von seinen Chefs bis tief in die Nacht verhört. In diesen Gesprächen schilderte er laut Staatsanwaltschaft, wie er die Kontrollen der Bank umgangen hatte. Er versicherte demnach auch, dass er allein gehandelt habe und seine Chefs nichts von seinen Aktivitäten gewusst hätten.
Doch bleiben viele Fragezeichen. Wie konnte Adoboli so lange unentdeckt bleiben? Hat wirklich niemand in der UBS von dem riskanten Pokerspiel etwas gewusst? Hat das Management Adoboli vielleicht sogar gewähren lassen, weil er zunächst ordentliche Gewinne machte? Oder ist Adoboli wirklich der "Meisterbetrüger", als den die Staatsanwaltschaft ihn darstellt?
Während Adoboli vor einem Jahr seine Schuld aus Sicht der Staatsanwaltschaft bereits eingestanden hat, argumentiert er inzwischen anders. Die Verteidigung wird laut Wass die Position vertreten, dass das UBS-Management eingeweiht war und an dem Betrug beteiligt sei. Adoboli behaupte nun, alle drei Kollegen in seinem Team hätten Bescheid gewusst, sagte Wass. Sie werde beweisen, dass dies falsch sei.
Der UBS stehen nun unangenehme Wochen bevor. Das Innenleben der Bank wird öffentlich seziert wie nie zuvor. Kommende Woche werden die ersten Experten aus dem Londoner Finanzviertel befragt. UBS-Chef Sergio Ermotti hat seine Mitarbeiter in einer Rundmail bereits auf harte Zeiten eingestimmt