LUFTFAHRT Lautes Feldgeschrei
Wenn du einen Bullen am Schwanz packst«, riet Robert Joedicke von der New Yorker Brokerfirma Shearson Lehman Brothers, »dann darfst du ihn auf keinen Fall wieder loslassen.«
Der Mann, dem diese Western-Weisheit galt, war Carl C. Icahn, 49, begnadeter Dollar-Jongleur aus der Bannmeile von Wallstreet. Er hatte in einem achtmonatigen Übernahmekampf gegen den Konkurrenten Frank Lorenzo von Texas Air und gegen das Management von TWA die Herrschaft über TWA gewonnen. Seit dem 2. Januar sitzt er auf dem Chefsessel der viertgrößten amerikanischen Fluggesellschaft.
Der Sessel ist hart, und der Fight war teuer. Denn Icahn, gegenwärtig mit 52 Prozent an TWA beteiligt, mußte die letzten Reserven der von ihm dirigierten Finanzgruppe zusammenkratzen, um zu gewinnen. Und, schlimmer noch, er gewann, als TWA in die Verluste flog. »Er wird nun alle Hände voll zu tun haben«, prophezeit ihm Broker Joedicke.
Der Kampf um die Fluggesellschaft TWA, mit lautem Feldgeschrei ausgetragen, war selbst für die oft burleske US-Finanzszene ungewöhnlich.
Erst kam einer, der gezielt die Aktien des »übernahmeverdächtigen« Unternehmens TWA aufkaufte, um sie dann später mit Gewinn an echte Interessenten losschlagen zu können. Dieser eben war Wallstreet-Finanzier Icahn, der schon öfter durch solche Coups aufgefallen war. Binnen weniger Monate hatte er ein Drittel der TWA-Aktien in seinen Besitz gebracht und bot den freien Aktionären der Firma einen Übernahmekurs von 18 Dollar an.
Dann kam einer, der die Firma TWA zur Abrundung seines schnell wachsenden Luftfahrt-Imperiums gut gebrauchen konnte. Das war Frank Lorenzo, der als Boß von Texas Air die nationale Fluggesellschaft Continental Air Lines aufgekauft und die Regionalflugfirma New York Air gegründet hatte. Er wollte Icahn und den übrigen TWA-Aktionären die Firmenanteile für 23 Dollar das Stück abkaufen.
Dieser Deal schien Mitte 1985 perfekt: Das TWA-Management und Lorenzo
unterzeichneten ein Fusionsabkommen. Doch so gut der Ruf des Harvard-gesalbten Texas-Air-Chefs in Management-Kreisen war, so schlecht schnitt er bei den Gewerkschaften ab.
Lorenzo, 45, gilt als rabiater Lohndrücker: Als er bei Continental einstieg, stellte er das Unternehmen kurzerhand unter den US-Pleiteparagraphen Chapter 11, der das Recht gibt, zwecks Sanierung sämtliche Abkommen, auch über Lohn und Arbeitsbedingungen, zu annullieren.
Lorenzo feuerte die gesamte Continental-Mannschaft von 12000 Leuten und stellte die Besseren davon zu teils halbierten Löhnen wieder ein. Die Folge: Continental fliegt heute wieder mit Gewinn.
Als die Vereinigungen der Piloten und der Mechaniker anfingen, die Übernahme der TWA durch Lorenzo anzufeinden, sah Spekulant Icahn die Chance, noch stärker bei TWA einzusteigen. Aus dem Gefecht um den besten Profit aber wurde unversehens ein Zweikampf kongenialer Finanzzauberer. Die Wetten im Fight Icahn gegen Lorenzo lauteten in Wallstreet bald drei zu eins.
Denn Icahn, der die TWA nicht in einen schon vorhandenen Flugkonzern einbauen mußte, konnte sich freier bewegen. Und er suchte sich seine Verbündeten genau dort, wo die heftigsten Feinde Lorenzos saßen - bei den Gewerkschaften.
Mit ihnen schloß er Schritt für Schritt Abkommen, die weniger brutal waren als das, was die Gewerkschaften von Lorenzo zu befürchten hatten, die aber dennoch um die 250 Millionen Dollar im Jahr einsparen sollen.
So müssen die Piloten unter Icahn zu 26 Prozent und die Mechaniker zu 17 Prozent niedrigeren Gehältern arbeiten. Bei Lorenzos Continental aber hatten die Piloten nur noch die Hälfte ihrer einstigen Bezüge erhalten, und ihre Arbeitsplätze wackeln dennoch.
Icahn hingegen verzuckerte den Gewerkschaften die Abkommen durch ein paar Zugaben, die in der Tarifgeschichte wohl einmalig sind. Für den Fall, daß Icahn seine TWA-Aktien ausgerechnet an Lorenzos Texas Air verkauft, steht den Gewerkschaften die Hälfte des Gewinns, bei Verkäufen an andere Gesellschaften ein Viertel zu.
»Wir haben Lorenzo geschlagen«, triumphierte Flugkapitän Harry R. Hoglander, Chef der Pilotengewerkschaft bei TWA, vergangenen August. Das Management der TWA schwenkte nun von Texas Air zu Icahn um und befürwortete das 24-Dollar-Übernahmeangebot des Finanzmannes an die übrigen TWA-Aktionäre.
Im Dezember, der Endphase des Übernahmekampfes, fiel der Kurs des TWA-Papiers an der New Yorker Börse von 21 auf unter 16 Dollar. Denn TWA machte zunehmend Verluste - trotz Rekordbuchungen im Luftverkehr, trotz großer TWA-Gewinne auf den Interkontinentalstrecken und obwohl 1985 zwei große TWA-Konkurrenten, United und Pan Am, durch Streiks ihres Flugpersonals behindert wurden. Das Unternehmen, so schätzen Wallstreet-Experten, werde für 1985 mit 150 Millionen Dollar Defizit abschließen. 90 Millionen Dollar soll das Unternehmen allein im vierten Quartal verloren haben.
Icahn, nun mit 52 Prozent Mehrheitsgesellschafter der Firma, bekam daraufhin Ärger mit seinen eigenen Finanziers. Noch vergangenen August hatte der Finanzmakler für jede Aktie 19,50 Dollar in bar und 4,50 Dollar in Vorzugsaktien zahlen wollen. Anfang Dezember waren daraus 11 Dollar in bar und 13 Dollar in Papieren geworden.
Mitte Dezember reduzierte Icahn sein Bar-Angebot auf Null: Wer seine Aktien abgibt, bekommt 24 Dollar in Vorzugsaktien und sonst nichts. Wer nicht verkaufen will, könne die Chance wahrnehmen, »Carl's Partner« zu werden - so ein TWA-Manager.
Über dieses Angebot sollten die TWA-Aktionäre in der zweiten Dezember-Hälfte abstimmen. Rasch tauchte nun Konkurrent Lorenzo wieder aus der Deckung auf und bot, falls die TWA-Aktionäre das letzte Icahn-Angebot ablehnten, 22 Dollar je Aktie in bar.
Dies sei, teilte Lorenzo in einem Rundbrief mit, »ein attraktives Angebot«. Nachdem Icahn den künftigen Neinaktionären der TWA weitere Diskussionen versprochen hatte, ging Lorenzos Angebot unter.
Wie weit sich Carl Icahn in der Hatz um TWA vom Pfade der Vernunft entfernt hat oder ob er noch etwas Besonderes im Sinn hat, darüber rätselt die Wallstreet-Riege. Gemessen an dem gegenwärtigen Kurs der TWA-Aktie nämlich hat der Finanzmann, dessen durchschnittlicher Kauf-Einsatz pro TWA-Papier bei 19,5 Dollar lag, schon über vier Dollar je Aktie verloren und sitzt überdies auf hohen Kreditkosten.
Gewinner dagegen ist der Verlierer des Machtkampfs: Frank Lorenzo kann von Icahn Zahlungen erwarten, die ihm ein Plus von rund 50 Millionen Dollar bringen. Mit diesem Geld, ließ Lorenzo durchblicken werde er den Run auf eine andere US-Fluggesellschaft beginnen.
Icahn, der mit dem TWA-Kauf am Ende seiner Möglichkeiten steht, wird wohl das Gegenteil machen müssen: Er wird TWA an größere Interessenten wie etwa American Airlines oder Northwest Orient verkaufen müssen.
An einem schnellen Weiterverkauf aber hindert den Finanzmann noch eine Kleinigkeit: Bis September 1987 darf Icahn nur verkaufen, wenn auch die Kleinaktionäre ihre TWA-Papiere zu den gleichen Konditionen wie er selbst loswerden.
Diese Chancen aber stehen schlecht. Denn auch für die kommende Zeit erwartet TWA Verluste, und Wallstreet erwartet schlechte TWA-Kurse.